Thyssen-Krupp: Tausende für Stahl aus Eichen

Beschäftigte und Anwohner demonstrieren gegen Werksschließung

  • David Bieber
  • Lesedauer: 4 Min.
Mit martialischer Optik: Tausende demonstrieren in Kreuztal für den Erhalt des Stahlwerks von Thyssen-Krupp.
Mit martialischer Optik: Tausende demonstrieren in Kreuztal für den Erhalt des Stahlwerks von Thyssen-Krupp.

Die Konzernleitung habe ihr Vorhaben schnell durchdrücken wollen, »aber Solidarität ist unsere Superkraft«, sagt der nordrhein-westfälische IG-Metall-Chef Knut Giesler am Mittwochabend vor rund 2000 Menschen. Die protestieren im siegerländischen Kreuztal gegen die Schließung des Werks von Thyssen-Krupp-Steel (TKS) im Stadtteil Eichen. Viermal so viele Menschen, wie das Werk Beschäftigte zählt, seien zum Fackelzug gekommen, erklärt auch der TKS-Betriebsratsvorsitzende Olaf Vopel aus Duisburg. Wie er sind zahlreiche Kollegen aus anderen Standorten angereist, um ein Zeichen zu setzen.

»In Eichen stehen alle Anlagen still, alle laufen mit. Wir werden alles geben, um eine Zukunft zu haben«, erklärt der dortige zweite Betriebsratsvorsitzende Taylan Ronaesin. Anwesend sind auch viele Menschen aus der lokalen Bevölkerung, die die Konzernentscheidung nicht verstehen. Der Fackelzug ist seit Tagen das Gesprächsthema im beschaulichen Kreuztal mit seinen etwa 31 000 Einwohnern. Das freut Helmut-Rudi Renk. Der Betriebsratsvorsitzende des Werks in Eichen hatte im Vorfeld gegenüber »nd« angekündigt, für Bambule und Aufmerksamkeit zu sorgen.

Protest mit Politprominenz

Die hat er bekommen. Neben überregionalen Medien ist auch Politikprominenz wie NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) anwesend. Sie bekunden auf der Bühne ihre Unterstützung. »Ich stehe an eurer Seite«, unterstreicht Heil und sagt, er wolle sich dafür einsetzen, dass »fair verhandelt« werde. Applaus erntet auch sein Satz, dass die Beschäftigten »keine Kostenstellen mit Ohren« seien.

Er kündigt an, die Kurzarbeiter-Regelungen zu verlängern, um Arbeitsplätze zu erhalten und den Konzern zu entlasten. Laut Regierungsangaben soll das Kurzarbeitergeld künftig für die Dauer von 24 Monaten gelten, statt der bislang lediglich 12 Monate. »Dafür braucht man keine Mehrheit im Bundestag, das geht auch per Verordnung«, erklärt Heil. Seit dem Koalitionsbruch mit der FDP fehlen der Regierung im Parlament die nötigen Stimmen, um Vorhaben durchzukriegen.

Industrie in der Krise

Die Stahlindustrie befindet sich aufgrund von international vergleichsweise hohen Energiepreisen und sinkender Absätze in einer schwierigen Lage. Die wichtigsten Abnehmer sind laut Branche die Bauindustrie, die Automobilindustrie und der Maschinenbau, deren Nachfrage aufgrund ebenfalls stockender Akkumulation zuletzt rückläufig war. Ein internationales Überangebot an Stahl drückt auf die Preise und Profitmargen der Konzerne, die mit Blick auf die ökologische Transformation derzeit Milliardeninvestitionen aufbringen müssen – für die sie von Regierung und EU bereits subventioniert werden.

nd.DieWoche – unser wöchentlicher Newsletter

Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.

Laut Angaben von Thyssen-Krupp sank der Umsatz in der Stahlsparte im vergangenen Geschäftsjahr von etwa 12,3 auf 11,7 Milliarden Euro. Bei den Auftragseingängen verbucht der Konzern einen Rückgang von 18 Prozent, weshalb Kapazitäten abgebaut werden sollen. Im November kündigte der Vorstand an, im Stahlbereich innerhalb von sechs Jahren 11 000 Stellen zu streichen. Der Standort in Kreuztal soll komplett geschlossen werden.

Das war für die rund 600 TKS-Beschäftigten ein Schock. Viele haben sich davon nach wie vor nicht erholt, spürt man an diesem Abend. Kritisiert wird vor allem das unverfrorene Vorgehen der Geschäftsleitung den Betroffenen gegenüber. »Ich habe noch nie so planlose, ideenlose Vorstände erlebt«, sagt Betriebsratsvorsitzender Renk. Der Konzern habe kein Konzept und lege keine Zahlen vor. Die drohende Werkschließung »lassen wir uns nicht gefallen«.

Am Montag hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf dem Industriegipfel im Kanzleramt Schritte zur Unterstützung der kriselnden Branche angekündigt. Dort waren auch Betriebsräte von TKS sowie die Konzernvorstände geladen. Neben einem europäischen Industriegipfel stellte Scholz eine Entlastung bei den Strompreisen für energieintensive Branchen in Aussicht. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass entsprechende Vorhaben vor der Bundestagswahl umgesetzt werden.

Stahlgeschichte der Region vor dem Aus

Dass mit der Stilllegung ein großes Stück Siegerländer Produktionsgeschichte »kaputtgemacht« wird, sei ein Schlag ins Gesicht von vielen Familien, die bereits seit Generationen bei Thyssen-Krupp und seinen Vorgängerunternehmen arbeiten, betont Renk. »Wer Eichen schließen will, greift die Identität des Siegerlandes an«, sagt er zur langen Stahlgeschichte der Region, die knapp 2000 Jahre zurückreiche.

Die Protestierenden tragen Fackeln, Fahnen und Transparente. Die Stimmung ist aufgeladen, aber friedlich. Vor allem aber sind es noch mal viele Hundert Menschen mehr, die die Demonstrierenden mit Jubel am »Roten Platz« empfangen. Auch hier wird mehrfach »Lopez raus« skandiert. Damit ist der Vorstandsvorsitzenden von Thyssen-Krupp gemeint. Der Fackelmarsch ist aus Sicht der IG Metall und des lokalen Betriebsrats ein voller Erfolg. Für den Protestzug sind sogar Kitas und Schulen frühzeitig geschlossen sowie viele Straßen gesperrt worden. Die Nachricht: Eine Stadt steht hinter den Stahlarbeitern aus Eichen.

Ob das Lopez und das »Dreigestirn«, wie Betriebsrat Vopel den Vorstand um ihn, Aufsichtsratsvorsitzenden Siegfried Russwurm und Krupp-Stiftung-Chefin Ursula Gather provokant bezeichnet, zum Umdenken animiert? Die Beschäftigten jedenfalls warten noch immer auf Antworten auf drängende Fragen: So ist der Grund und der Zeitpunkt der Werkschließung unbekannt.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.