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In Scholz we trust?
Am Montag wird im Bundestag die Vertrauensfrage gestellt. Aber was heißt Vertrauen eigentlich für Linke?
So kennt man Olaf Scholz gar nicht. Erst zeigt der schüchterne Schiedsrichter dem Foulspieler Christian Lindner die rote Karte und schickt Teile des Ampel-Teams in die Kabine. Dann wird er auch noch emotional: Diesen Montag will er die Vertrauensfrage stellen. Danach wird auch er vom Platz gehen müssen.
Während die Parlamentarismus-Hooligans sofort in den Feuilletons herumgrölen, die Demokratie stecke in einer Krise, betrachtet das »nd« das Regierungsende ein wenig unaufgeregter. Vertrauen, was soll das schon sein? Gibt es das überhaupt noch? Und was bedeutet es für Linke?
Die Recherche beginnt damit, »Vertrauen« und »Marx« zu googeln. Sie endet schnell, aber überraschend – auf katholisch.de. Nach irgendwelchen Terroranschlägen von 2016 sagte Kardinal Marx: Als Linke müssen wir vertrauen und können nicht zulassen, dass die Angst unser Leben beherrscht oder so ähnlich. Wie schön! Ja, auch wir sollten genauso angstfrei leben wie korrupte Kanzler, kriminelle Kapitalisten und Kinder missbrauchende Kardinäle, die steif und fest darauf vertrauen können, dass sie straffrei davonkommen. Aber das ist ja bekannt und hat
noch nicht den Tiefgang, den die Leute hier erwarten.
Also weiter recherchieren! Am besten auf diesen kleinen Papierhängerchen an den Teebeuteln dieser Eso-Marke. Da steht doch immer irgendwas mit Vertrauen. Nur diesmal nicht, schade. Heute steht da: »Gib uns die Stärke, immer wieder aufzustehen.« Auch eine gute Botschaft an Linke! Müssen wir doch das Grundgesetz hervorkramen, um mehr zu erfahren. Um Vertrauen geht es in Artikel 68. Verliert es der Kanzler, gibt es Neuwahlen. Demokraten lieben diesen Trick. Politikjournalistinnen nicht so. Die müssen ihre Urlaubsplanung für die nächsten Monate in die Tonne drücken.
Aktuell hat nicht nur Scholz, dem sowieso kein geradeaus denkender Mensch jemals vertraut hat, sondern auch andere Politiker solchen Ärger. Nur machen es andere Länder cooler als wir: mit Misstrauensvoten. Das ist das zweite Instrument, das Verfassungen kennen, um einen Regierungschef loszuwerden.
In Frankreich entzogen Linke zusammen mit den Faschos ihrem Premier Michel Barnier gerade das Vertrauen. Und in Kanada initiierten die Konservativen schon drei Abstimmungen gegen Premier Justin Trudeau, die er aber alle überstanden hat. Dabei geht die Initiative von unten aus, also von den Abgeordneten. Hier hat man lieber gewartet, dass der Chef die Regierung von oben stürzt. Typisch.
Ein anderes Problem der deutschen Nation ist neben ihren Führern ihr Volk. Wie die repräsentative Shell-Jugendstudie von diesem Jahr belegt, haben junge Menschen »großes Vertrauen in Staat und Demokratie«. Wie kann das sein? Falls das hier Politiklehrer lesen, eine Bitte: Lassen Sie Ihre Klasse über die Frage diskutieren, inwiefern Vertrauen von Bürger*innen in die Politik der ideologische Kitt ist, der die bestehenden Herrschaftsverhältnisse zementiert. Nur wer mit Ja antwortet, wird versetzt. Eine eins plus bekommt, wer etwas sagt, wie: Vertrauen entsteht in der bürgerlichen Gesellschaft, indem die Hand, die mich füttert und die Hand, die mich schlägt, täglich zur gleichen Zeit auftauchen.
Zur Nominierung von Olaf Scholz als Spitzenkandidat der Brandenburger SPD für die Bundestagswahl lesen Sie auch: Wenn Glatze, dann Scholz – oder Merz
Aber da man heutzutage nicht einmal mehr darauf vertrauen kann, dass Lehrer Zeitung lesen, zurück zur Leitfrage dieses Besinnungsaufsatzes: Was heißt Vertrauen für Linke? So unangebracht es aus linker Sicht ist, Politikern wie Scholz oder Praktikanten wie Lindner zu vertrauen, so schade ist es, wenn Demokratie und Rechtsstaat bald ganz weg sind. Die Vertrauensfrage und Neuwahlen könnten das Letzte sein, was wir noch so richtig genießen können.
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Das Schlimmste an all dem ist nicht, dass Scholz danach wieder mehr Zeit hat, zusammen mit Banken klamme Kassen um Steuereinnahmen zu bringen, oder dass Merz in einer schwarz-grün-gelben Koalition das Vertrauen schwäbischer Hausmänner verspielen könnte, wenn er plötzlich die Schuldenbremse abschafft. Das Schlimme ist – ernsthafter Tonfall an –, dass Linke all dem nichts entgegenzusetzen haben. Sie sind es, denen viele nicht mehr vertrauen. Das ist die wirklich schmerzliche Entwicklung dieser düsteren Zeiten.
Klar, man hat sich auch früher ab und zu gefragt: Wieso sollte man Linken vertrauen, eine andere Gesellschaft aufzubauen, wenn sie nicht mal schaffen, in ihrem Autonomen Zentrum die Klos zu putzen? Heute ist man über dreckige Klos in AZs froh, die noch nicht weggentrifiziert sind.
Dabei geben sich die bürgerlichen Parteien größte Mühe, das Vertrauen des Volkes zu zerstören – Autobahnmaut, Maskendeals, Cum-Ex und, und, und. Aber die undankbaren Linken wissen das einfach nicht zu schätzen! Sie gehen nicht auf die Barrikaden, sie sagen nichts. Gibt es sie noch? Die einzigen, die davon profitieren und Misstrauen gegen die da oben schüren, sind die Rechtsextremen. Das aber leider nicht mit berechtigter Herrschaftskritik, sondern mit gefährlichen antisemitischen Erzählungen.
Und was machen die Linken? Sie vertrauen weder Parlamenten noch der Polizei (warum auch!), sondern ihren Partnern. Dann kriegen sie Kinder und/oder Depressionen. Oder Streit. Zum Beispiel über Israel/Palästina. Das hat wohl etwas Vertrauen in der Szene zerstört.
Aber damit kurz vor Weihnachten nicht alle vom Glauben abfallen, eine gute Nachricht: Auch wenn es keinen Grund gibt, haben Linke noch immer Vertrauen. (Es gibt sie auch noch.) Das zeigt eine andere Umfrage. Sie ist zwar nicht so repräsentativ wie die von Shell, aber dafür direkt aus dem Freundeskreis: Eine Ex-Straßenbahnfahrerin vertraut nur noch der eigenen Ehefrau und Leuten, die Ratten als Tiere halten. So ähnlich geht es dem pensionierten Chemiker: Seit Ströbele nicht mehr mit dem Fahrrad zum Bundestag radelt, vertraut er nur noch seiner Katze, die jeden Tag zur gleichen Zeit miaut, wenn sie fressen will. Eine junge Journalistin vertraut der BVG-App, »weil die jeden Monat automatisch das neue Deutschland-Ticket herunterlädt«.
Eine ehemalige Mitarbeiterin des Gesundheitsamts schreibt, sie vertraue ihrer Partei, der Linken – auf kommunaler Ebene. Immerhin ein linker Anwalt nennt sein Kollektiv als Objekt seines Vertrauens. Ein Produzent von Punkmusik sagt: »Ich vertraue in nichts und niemanden. Auch nicht in mich selbst. Leute, die das von sich behaupten, finde ich zum Kotzen.« Und eine Gewerkschafterin antwortet: »Ich vertraue eigentlich nur dem Kapitalismus.« Der habe sich bisher als ziemlich stabil erwiesen.
Wäre dies einer dieser Psychologie-Podcasts, würde jetzt eine freundliche Frauenstimme, der man anhört, dass auch in ihrem Leben nicht alles glattlief, so etwas sagen wie: Vertrauen ist keine Einbahnstraße. Ob es besteht, hängt nicht nur von den Objekten ab, auf die es sich beziehen soll, sondern auch von den Subjekten, also von uns selbst. Kannst du vertrauen? Vertraust du dir selbst? Vielleicht hat sie recht. Vielleicht ist es Zeit, dass Linke sich wieder selbst vertrauen.
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