- Berlin
- Asylpolitik
Von der Türkei nach Berlin: Gefoltert, geflüchtet, gestorben
Der Kurde Fethullah Aslan starb mit 28 Jahren in einem Berliner Krankenhaus, nachdem sein Asylantrag abgelehnt wurde
Eine Beerdigung ist normalerweise keine Nachricht. Die von Fethullah Aslan Anfang Dezember in Mardin, einer Stadt im Südosten der Türkei, schaffte es trotzdem in die Lokalzeitung »Mardin Haber«. Mit nur 28 Jahren starb der Kurde am 25. November in der psychiatrischen Abteilung eines Berliner Krankenhauses, vermutlich durch Suizid. Keine Woche vorher war ihm beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) ein Ablehnungsbescheid seines Asylantrags in die Hand gedrückt worden. Er wurde am 5. Dezember beerdigt.
Aslans Fall wirft ein Schlaglicht auf die restriktive Praxis deutscher Asylbehörden im Umgang mit Geflüchteten aus der Türkei im Allgemeinen und Kurd*innen im Besonderen. Fethullah Aslan wurde 1996 in Nusaybin, einer Kleinstadt an der Grenze zu Syrien, geboren. Er war Mitglied der Oppositionspartei HDP. Wegen seiner politischen Überzeugungen und seiner kurdischen Herkunft geriet er immer wieder ins Visier von Polizei und Justiz. Während seines Wehrdienstes 2017 wurde er beschuldigt, Mitglied der Arbeiterpartei Kurdistans PKK zu sein, verhaftet und misshandelt. Auslöser war vermutlich, dass er auf seinem Telefon kurdische Symbole gespeichert hatte. Auch danach hatte er immer wieder Probleme mit der türkischen Polizei, wurde bedrängt, zu spitzeln.
So auch, nachdem am 19. August 2019 das Erdoğan-Regime die Bürgermeister der mehrheitlich kurdischen Städte Diyarbakir, Mardin und Van des Amtes enthob. Bei den Kommunalwahlen im April 2019 hatte die linke Oppositionspartei HDP insgesamt 64 Bürgermeisterposten gewonnen – was die Regierung in Ankara nicht dulden wollte. Sie beschuldigte einen Großteil der Politiker, Terrorunterstützer zu sein und ersetzte sie durch Zwangsverwalter. Fethullah Aslan beteiligte sich an den Protesten dagegen und wurde am 21. August festgenommen.
Was dann folgte, war ein Martyrium, dokumentiert in türkischen Presseberichten. In einem am 3. September von der Nachrichtenagentur Mezopotamya veröffentlichten Interview schildert Fethullah Aslan, dass er einen Verhaftungsbericht unterschreiben sollte, in dem frei erfundene Vorwürfe aufgeführt gewesen seien. »Ich hatte Angst, dass ich unschuldig im Gefängnis bleiben würde, wenn ich unterschrieben hätte«, sagte Fethullah Aslan damals. Als er sich weigerte, das Dokument zu unterschreiben, wurde er schwer misshandelt. Aslan wurde gezwungen, sich auszuziehen, wurde auf seine Genitalien geschlagen. Er musste sich an eine Wand stellen und wurde mit einem Schlagstock traktiert. »Während des Schreckens, den ich erlebte, konnte ich nichts anderes tun, als zu weinen und Angst zu haben«, sagte Fethullah der Agentur Mezopotamya. Danach sei er halb bewusstlos und verletzt ins Krankenhaus gebracht worden. Eine Wunde am Rücken musste mit sechs Stichen genäht werden.
»Ich denke, es wäre möglich gewesen, ein Gerichtsverfahren zu gewinnen.«
Yaşar Ohle Rechtsanwalt
Wie die kurdische Nachrichtenagentur ANF berichtet, wagte er es sogar, wegen der erlittenen Folter Anzeige zu erstatten. Wie so oft bei Polizeigewalt verliefen die Ermittlungen im Sande. Noch im September 2019 sei das Verfahren eingestellt worden. Videoaufnahmen wurden nicht gesichert, Zeugen nicht gehört. Aslans Anwalt Fevzi Adsız sagte zu ANF: »Mein Mandant war sowohl Folter ausgesetzt, wie auch seine Rechte verletzt wurden, weil keine wirksamen Ermittlungen durchgeführt wurden.« Nachdem auch ein Verfahren vor dem türkischen Verfassungsgericht keinen Erfolg gebracht hatte, wurde 2020 eine Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingereicht.
Als Aslan am 25. Juli 2023 erfuhr, dass gegen ihn ein Verfahren wegen angeblicher Mitgliedschaft in einer Terrororganisation geführt wird – in der Asylakte findet sich die Kopie einer Mitteilung der Generalstaatsanwaltschaft Mardin mit dem Hinweis, dass es einen Geheimhaltungsbeschluss gibt –, entschloss sich Aslan zur Flucht nach Deutschland. Über Serbien, Ungarn und Österreich gelangte er nach Bayern, wo er am 10. August 2023 am Grenzübergang Burghausen von der Polizei aufgegriffen wurde. In einer seiner Anhörungen beim Bamf berichtet er, dass er keine zehn Tage vor seiner Ausreise erneut festgenommen und misshandelt worden sei.
Die Protokolle der Befragung zeigen, wie zwei Welten aufeinanderprallen: Auf der einen Seite Aslan, der ohne Anwalt in den mehrstündigen Anhörungen versucht, seine Verfolgung darzulegen. Auf der anderen Seite die Beamten des Bamf. Wiederholt wird in den Akten darauf hingewiesen, dass Aslan in seinen Aussagen zeitlich springe, wird bemängelt, dass er seine Dokumente nicht sortiert habe, wird gefragt, warum er seine Verfolgungsgeschichte nicht ausreichend dokumentieren könne. Aslan sagt laut Protokoll, er habe bei einer Rückkehr in die Türkei Angst vor einer Festnahme oder davor, getötet zu werden.
nd.Muckefuck ist unser Newsletter für Berlin am Morgen. Wir gehen wach durch die Stadt, sind vor Ort bei Entscheidungen zu Stadtpolitik – aber immer auch bei den Menschen, die diese betreffen. Muckefuck ist eine Kaffeelänge Berlin – ungefiltert und links. Jetzt anmelden und immer wissen, worum gestritten werden muss.
Der Asylantrag wird abgelehnt. Er habe seine begründete Furcht vor Verfolgung nicht glaubhaft gemacht, heißt es im Bescheid, der weitestgehend aus Textbausteinen besteht. Teils wird Aslan als »Antragsstellerin« bezeichnet. Es sei nicht erkennbar, dass er Maßnahmen ausgesetzt war, die über die Ahndung sonstiger krimineller Taten ohne politischen Bezug hinausgingen, so das Bamf. Auch dass Aslan wiederholt festgenommen wurde, ist für die Behörde kein Grund anzunehmen, dass der Kurde in der Türkei verfolgt wird. Denn: »Nach eigenen Angaben sei er jedoch freigelassen worden.«
Theoretisch hätte Aslan gegen den Bescheid klagen können. Doch dazu kam es nicht, Aslan verpasste die Klagefrist. Eine Sprecherin des Landesamts für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) teilt auf nd-Anfrage mit, dass Aslan bis zum 17. März in der Unterkunft Groscurthstraße im Bezirk Pankow untergebracht war. Laut Akte wurde der Asylbescheid am 19. März zugestellt. »Er wurde wegen unbegründeter Abwesenheit von mehr als drei Tagen vom Betreiber ausgecheckt«, so die Sprecherin. Im Internet und in türkischen Medien war kolportiert worden, dass er die Unterkunft verlassen musste, nachdem es eine Schlägerei gegeben habe, weil er eine Kurdistan-Fahne in seinem Zimmer aufgehängt hatte. Das LAF teilt mit, dass der Betreiber keine Kenntnis über eine angebliche Schlägerei habe. Auch sei kein Hausverbot ausgesprochen worden. In seiner vorherigen Unterkunft allerdings hatte Aslan Hausverbot erhalten, weil er gegen die Regeln verstoßen habe. »Wollte seine Flagge nicht vom Fenster nehmen. Auch nicht nach mehreren Ermahnungen«, ist dort handschriftlich vermerkt.
Eigentlich müssen Asylbewerber dem Bamf einen Umzug innerhalb von zwei Wochen mitteilen. Aslan hat das erst nach mehr als einem Monat mit einer Meldebescheinigung vom 23. April gemacht. Der Bescheid gilt dadurch als zugestellt – die Klagefrist ist verstrichen, der Bescheid rechtskräftig. Hätte Aslan eine Chance gehabt, bei rechtzeitiger Klage noch Asyl zu bekommen? Rechtsanwalt Yaşar Ohle wurde von Aslans Hinterbliebenen im Todesermittlungsverfahren beauftragt. Er hat Aslan zwar nicht im Asylverfahren vertreten, ist aber auf Asylverfahren zur Türkei spezialisiert und sagt: »Wenn man das, was in der Akte aufgeführt wird, mit weiteren Unterlagen hätte untermauern können, denke ich, dass es möglich gewesen wäre, zu gewinnen.«
Ohle berichtet von den Schwierigkeiten in Befragungen beim Bamf. Die Verdolmetschung sei nicht immer präzise, was manchmal zu Missverständnissen führe. »Wir tragen bei Gericht eigentlich immer vor, dass man die Protokolle nicht wörtlich nehmen sollte«, so der Anwalt. In Bezug auf Asylverfahren aus der Türkei habe er den Eindruck, dass die Anforderungen gestiegen seien. »Teilweise werden Ablehnungen damit begründet, dass die Türkei sich in öffentlichen Erklärungen gegen Folter ausspricht, oder dass nicht ersichtlich sei, dass Antiterroreinheiten Menschen festnehmen und zu Aussagen zwingen wollen.« Obwohl unabhängige Überprüfungen immer wieder zu dem Ergebnis kommen, dass in der Türkei gefoltert wird und dass die Justiz nicht unabhängig ist. Insgesamt zeige sich, dass das Bamf viele Fälle ablehne, die dann vor Gericht gewonnen werden, so Ohle. Vor allem aber steige der Druck, abgelehnte Asylbewerber*innen abzuschieben.
»Deutschland versucht aus Fluchtabwehrgründen die Türkei zu einem sicheren Drittstaat aufzubauen«, sagt Emily Barnickel vom Berliner Flüchtlingsrat. Die Türkei bekomme sehr viel Geld zur Abwehr von Geflüchteten von der EU. 2023 beantragten 61 181 türkische Staatsangehörige Asyl, 84 Prozent von ihnen waren Kurd*innen. Und die Anerkennungsquote lag bei nur 18 Prozent. Emily Barnickel sagt, dass kurdische Asylbewerber*innen aus der Türkei wesentlich seltener Asyl in Deutschland bekommen, als ethnisch türkische. »Die gruppenspezifische Verfolgung, unter der Kurd*innen leiden, wird einfach nicht anerkannt.«
Zu einer gerichtlichen Überprüfung kommt es in Aslans Fall nicht. Ein mithilfe eines Anwalts gestellter Folgeantrag wird abgelehnt. Auch hier hätte Aslan theoretisch klagen können. Als ihm der Ablehnungsbescheid am 21. November bei einem Termin beim Bamf in die Hand gedrückt und er aufgefordert wird, eine Erklärung zur freiwilligen Ausreise zu unterschreiben, bricht er in Tränen aus, filmt sich selbst dabei. Am Ende bringen ihn dazugerufene Polizist*innen gefesselt in die Notaufnahme, wo er mit Esketamin ruhiggestellt wird. In einem Behandlungsbericht steht, dass er immer wieder fragte, ob das ein Albtraum sei und erklärte, dass er lieber sterben wolle, als in die Türkei zurückzukehren. Er wird in das Krankenhaus gebracht, in dem er vier Tage später stirbt.
Einer gemeinsamen Erklärung des Kurdischen Frauenbüros für Frieden Cênî und der Initiative »Ihr seid keine Sicherheit« zufolge trat Aslan nach der Ablehnung seines Asylantrags in den Hungerstreik. Die beiden Organisationen zweifeln an, dass ein Suizid unbemerkt hätte geschehen können. Im Krankenhaus soll er permanent überwacht worden sein. Es sind Vorwürfe, die sich nicht überprüfen lassen. Aslan war in einem normalen Krankenhaus untergebracht, deswegen hat der Berliner Senat keine Informationen zu dem Fall. Das Krankenhaus teilt »nd« mit, man erteile grundsätzlich zu patientenbezogenen Daten und Sachverhalten keine Auskunft. »Als Krankenhaus unterliegen wir der Schweigepflicht«, sagt eine Sprecherin.
Wie Yaşar Ohle sagt, sei das vorläufige Ergebnis der Ermittlungen der Polizei, dass es sich um einen Suizid handelt. Aslan soll mit einer Plastiktüte über dem Kopf erstickt sein. Mit einem ausführlichen Bericht ist erst in einigen Wochen zu rechnen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.