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BSW: Strukturell eher ein Franchise-Unternehmen

Das BSW hat Wahlerfolge erreicht und regiert jetzt in Thüringen und Brandenburg. Eine lebendige Partei muss es aber erst noch werden

Wohin entwickelt sich das BSW? Sicherlich auch für die Thüringer Spitzenfrau Katja Wolf eine spannende Frage.
Wohin entwickelt sich das BSW? Sicherlich auch für die Thüringer Spitzenfrau Katja Wolf eine spannende Frage.

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser – dieses Lenin zugeschriebene Diktum wird seit einiger Zeit von einer ganz und gar unrevolutionären Partei mit Leben erfüllt. Zwar hätte der russische Revolutionär gewiss keine Freude an dem Sammelsurium, das vom Bündnis Sahra Wagenknecht als Programm ausgegeben wird; an der straffen Organisation des BSW im Stile einer Kaderpartei dagegen wohl schon. Denn Kontrolle durch Wagenknecht selbst und ihre engsten Vertrauten über alles, was irgendwo in der Partei läuft, das ist bislang ein Wesenselement dieses Politunternehmens, das sich im Parteienspektrum nirgendwo zuordnen lassen will und strukturell eher einem Franchise-Unternehmen gleicht.

Und doch stößt das für Deutschland einzigartige Modell einer Partei, in der alles auf eine Person zugeschnitten ist, nicht einmal ein Jahr nach der Gründung an Grenzen und erzeugt seine eigenen Widersprüche. Was sich zunächst wie eine große Erfolgsgeschichte liest – gute bis eindrucksvolle Ergebnisse bei diversen Wahlen von der EU bis zur kommunalen Ebene sowie Beteiligung an zwei Landesregierungen –, kommt allmählich in den Niederungen des Alltags an. Bisher wird die penible Auswahl der wenigen zugelassenen Mitglieder streng durchgezogen; nur ein sehr kleiner Teil der Interessenten darf sich Parteimitglied nennen. In Brandenburg beispielsweise, wo das BSW bei der Landtagswahl mit 13,5 Prozent drittstärkste Kraft wurde und nun mit der SPD eine Regierung bildet, gibt es nur etwa 50 Mitglieder; in der Landeshauptstadt Potsdam sind es genau vier. Und das bei rund 2000 Aufnahmeanträgen im Bundesland. Anderswo sieht es ganz ähnlich aus.

Gemessen daran ist es erstaunlich, welche Konflikte unter den wenigen geprüften und für gut befundenen Mitgliedern dennoch entstehen können. Während der langwierigen Thüringer Koalitionsverhandlungen schalteten sich Wagenknecht und ihre engsten Vertrauten mehrfach massiv in die Meinungsbildung des Landesverbands ein, weil der Berliner Führung die in Erfurt vereinbarten Formulierungen zum Thema Krieg und Frieden nicht gefielen. Die spielen zwar in der praktischen Landespolitik keinerlei Rolle, wurden aber Gegenstand einer aufgeladenen Symboldiskussion. Das ging so weit, dass Wagenknecht in Fraktionssitzungen eingriff, dass ihre Leute in den Medien Front gegen die Thüringer Landesvorsitzende Katja Wolf machten und Aufpasser nach Erfurt geschickt wurden, um die Thüringer auf Linie zu bringen. Und selbst die Frage, wer bei Landesparteitagen eigentlich abstimmungsberechtigt ist, liegt weitgehend in der Hand der Parteispitze in Berlin.

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In Brandenburg wurde einem Landtagsabgeordneten, der die hohen friedenspolitischen Ansprüche des BSW angesichts der geplanten Raketenstationierung auf einem Luftwaffenstützpunkt nicht erfüllt sieht und deshalb den SPD-Mann Woidke nicht zum Regierungschef wählen wollte, umgehend nahegelegt, sein Mandat abzugeben. In Mecklenburg-Vorpommern wurde einem Mitglied, das ohne Erlaubnis von ganz oben für den Landesvorsitz kandidieren wollte, die Sache schleunigst ausgeredet, und zwar so, dass er seinen »Fehler« öffentlich einsah. Solche Episoden zeigen: Kontroversen und Debatten mag man nicht beim BSW, wo auf Veranstaltungen gern die Treue zu Sahra Wagenknecht bekundet wird.

Wer einen Parteitag dieser noch jungen Partei erlebt hat – teilweise finden sie hinter verschlossenen Türen statt –, weiß, wovon die Rede ist. Kandidatenlisten werden vorab festgelegt, Konkurrenzkandidaturen sind verpönt, Fragen an die Kandidaten werden äußerst kurz gehalten, und wer für irgendetwas kandidiert, muss zusichern, dass er im Falle der Nichtwahl für keinen anderen Posten oder Listenplatz antritt. Wobei auch Nichtwahl nicht vorgesehen ist. Als kürzlich in Sachsen-Anhalt die Liste für die Bundestagswahl aufgestellt wurde, bewarb sich die stellvertretende Landesvorsitzende Sylvia Winkelmann-Witkowsky um Platz fünf unter anderem mit der rechtswidrigen Forderung, straffällige migrantische Jugendliche gleich mit ihrer ganzen Familie abzuschieben. Das sorgte für Protest bei der Wahlversammlung; die Kandidatin verfehlte knapp die Mehrheit der Stimmen. Daraufhin legte der Landesvorsitzende John Lucas Dittrich – ein 20-jähriger Lehramtsstudent, der wie so ziemlich alle BSW-Führungskräfte von der Berliner Zentrale ausgewählt wurde –, ein Wort für die umstrittene Kandidatin ein; es gab einen zweiten Wahlgang mit knapper Mehrheit für Winkelmann-Witkowsky und Dittrich bekannte sich dazu, »diese Themenbreite zu bespielen«.

Damit folgt er seiner Parteivorsitzenden, die jüngst nach dem Sturz des Assad-Regimes in Syrien zu den ersten gehörte, die schnelle Abschiebungen syrischer Flüchtlinge verlangte. Inhaltlich Seit’ an Seit’ mit AfD und rechten CDU-Leuten. Wagenknechts harte Haltung in Sachen Migration und Asyl, bei der ihr das BSW geschlossen folgt, ist eine der inhaltlichen Anschlussstellen nach rechts und rechts außen. Strukturell wird das von einem gelockerten Verhältnis zur AfD begleitet. Soetwas wie eine Brandmauer lehnt man ab und stimmt hier und da Anträgen der rechtsextremen Partei zu. Der Brandenburger BSW-Landesvorsitzende Robert Crumbach bemerkte, man habe Sondierungsgespräche mit der AfD »allein deshalb« abgelehnt, »weil wir zusammen keine Mehrheit haben«.

Aber nicht diese Offenheit sorgt für Grummeln im BSW, sondern die Tatsache, dass immer noch Tausende darauf warten, endlich als Mitglied mitmachen zu dürfen. Das führt zu Ungeduld, Frustration, teils auch zu Wutausbrüchen wie jenem in Vorpommern. Dort traten drei von vier BSW-Kreistagsabgeordneten aus der Partei aus; zwei von ihnen sind auch Stadtverordnete in Ueckermünde. Anlass war der BSW-Gründungsparteitag in Mecklenburg-Vorpommern, bei dem den Delegierten wie üblich von der Parteizentrale in Berlin zwei Vorsitzende vorgesetzt wurden. Einer der beiden ist der Schweriner Justiz-Staatssekretär Friedrich Straetmanns, bis zum Sommer Linke-Mitglied. Er durfte innerhalb kurzer Zeit mit Protektion aus Berlin BSW-Mitglied, Landeschef und Spitzenkandidat für die Bundestagswahl werden, während andere Beitrittswillige zwar Wahlkampf machen sollten, aber seit etlichen Monaten hingehalten werden. Das trägt zu dem Urteil des Kreistagsabgeordneten Detlef Rabethge bei, die BSW-Führung handele wie eine SED 2.0. Die Austritte im Nordosten sind umso bemerkenswerter, da der Wechsel der kompletten Ueckermünder Linke-Stadtratsfraktion zum BSW vor fast einem Jahr einer der ersten größeren Übertritte war, von erheblichen Hoffnungen begleitet.

Zunächst aber schauen alle nach Erfurt und Potsdam. Dort muss sich das BSW jenseits großer Worte zum ersten Mal der politischen Realität und den von Wagenknecht sehr hoch geschraubten Erwartungen stellen. Ab sofort steht es unter verschärfter Beobachtung – durch die politische Konkurrenz, durch die Medien, durch die eigenen Anhänger. Viele von denen kommen aus der Linkspartei oder ihrem Umfeld und haben schon die eine oder andere Enttäuschung in Sachen Mitregieren hinter sich. Umso genauer werden sie hinsehen. Und falls die BSW-Führung irgendwann die restriktive Mitgliederpolitik lockert, werden auch an der Basis Auseinandersetzungen nicht ausbleiben. Selbst wenn das im bisherigen monolithischen Parteiverständnis der BSW-Gründer nicht vorgesehen ist.

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