Arbeitsrechtsexpertin: »Ein Schritt in Richtung Gleichbehandlung«

Arbeitsrechtsexpertin Johanna Wenckebach über Diskriminierung in der Teilzeit, Maßnahmen dagegen und aktuelle Erfolge vor Gericht

Viele Pflegekräfte arbeiten in Teilzeit. Ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts beendet nun ihre Diskriminierung bei Überstundenzuschlägen.
Viele Pflegekräfte arbeiten in Teilzeit. Ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts beendet nun ihre Diskriminierung bei Überstundenzuschlägen.

Eine Pflegerin, die in Teilzeit arbeitet, hat vor dem Bundesarbeitsgericht geklagt, weil ihr Überstundenzuschläge verwehrt wurden. Hintergrund war ein Tarifvertrag zwischen der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und einem ambulanten Dialyseanbieter. Das Gericht hat ihr Anfang Dezember recht gegeben. Was beinhaltet das Urteil?

Das Urteil hat sich mit einem Tarifvertrag und der Frage befasst, wann Beschäftigte Überstundenzuschläge für Mehrarbeit erhalten. Die Regelung sah die Zuschläge für Teilzeitbeschäftigte erst ab dem Moment vor, wo sie die Arbeitszeit Vollzeitbeschäftigter überschritten. Es war für Teilzeitbeschäftigte also viel schwieriger, an diese Zuschläge zu kommen. Diese oder sehr ähnliche Regelungen finden sich auch in anderen Tarifverträgen. Sie bedürfen nun einer Prüfung.

Das BAG hat der Pflegefachkraft eine Zeitgutschrift und eine sechsstellige Entschädigung zugesprochen. Was bedeutet die Entscheidung für Teilzeitbeschäftigte?

Das Urteil ist ein weiterer Schritt in Richtung Gleichbehandlung und hat eine strukturelle Bedeutung über den Einzelfall hinaus. Da die allermeisten Teilzeitbeschäftigten in Deutschland nach wie vor Frauen sind, geht es auch um Gleichstellung von Frauen und Männern im Arbeitsleben. Es ist schade, dass diese Fortschritte so mühsam durch jahrelange Prozesse erkämpft werden müssen.

Interview

Johanna Wenckebach ist Justiziarin der IG Metall und seit Juni 2023 Professorin für Rechtswissenschaften mit dem Schwerpunkt Arbeitsrecht an der University of Labour. Zuvor war sie Direktorin des gewerkschaftsnahen Hugo-Sinzheimer-Instituts für Arbeitsrecht.

Wie begründet das Arbeitsgericht die Entscheidung?

Schon der Europäische Gerichtshof hatte 2023 entschieden, was das BAG nun für das deutsche Recht umgesetzt hat: Das ist eine Diskriminierung, für die keine Rechtfertigungsgründe vorlagen. Das BAG hat in der tariflichen Regelung einen Verstoß gegen das gesetzliche Diskriminierungsverbot Teilzeitbeschäftigter gesehen. Zudem sah das Gericht einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes. Da nämlich die meisten Teilzeitbeschäftigten Frauen sind, liegt auch eine mittelbare Frauendiskriminierung vor. Die scheinbar geschlechtsneutrale Regelung, wer Überstundenzuschläge bekommt, wirkt sich indirekt eindeutig zulasten von Frauen aus.

Ist das Problem mit dem Urteil behoben?

Frauen und insbesondere Teilzeitbeschäftigte werden durch weitere Mechanismen strukturell diskriminiert. Nicht alle sind so leicht greifbar wie die jetzt verurteilte explizite Überstunden-Regelung in Tarifverträgen. Teilzeitbeschäftigte werden immer noch benachteiligt: etwa bei der Weiterbildung und bei der beruflichen Weiterentwicklung. Außerdem ist es trotz jahrelanger Forderung von Gewerkschaften und Frauenverbänden nicht gelungen, einen Anspruch auf Aufstockung der Arbeitszeit gesetzlich zu regeln. So bleibt für viele Frauen Teilzeitbeschäftigung eine Einbahnstraße.

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Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts war auch nötig, weil klare gesetzliche Regelungen fehlen. Wo sehen Sie hier Nachbesserungsbedarf?

Der Fall zeigt, dass durchaus auch die Tarifvertragsparteien gefordert sind. Die Gewerkschaften werden die Arbeitgeber zum Handeln auffordern. Das strukturelle Problem der anhaltenden Diskriminierung Teilzeitbeschäftigter ließe sich durch gesetzliche Regeln erheblich verbessern. Dazu gehört ein Rückkehrrecht in Vollzeit oder das Recht, von Teilzeit auf Vollzeit aufzustocken. Auch braucht es eine bessere Regelung der Elternzeit. Denn Teilzeitarbeit ist entscheidend für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Elternzeit ist, das lässt sich an den Daten zu Erwerbsbiografien ablesen, der Einstieg in die Geschlechtertrennung bei der Sorgearbeit. Hier von Anfang an Männer stärker in die Kinderbetreuung einzubinden, kann entscheidende Weichen stellen. Es sollten beim Elterngeld mehr Vätermonate geschaffen werden. Außerdem ist die Familienstartzeit umzusetzen, die Vätern gleich nach der Geburt eines Babys freie Tage ermöglicht. Wenn die strukturelle Diskriminierung der Frauen abgeschafft wird, ist es natürlich auch ein Anreiz für Väter, in Teilzeit zu arbeiten und mehr Sorgearbeit zu übernehmen.

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