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Nach dem Ende von Assad: Eine Stadt ohne Syrer

Nach dem Sturz von Assad drohen Massenabschiebungen in das ehemalige Kriegsgebiet Syrien

Syrer feiern im Berliner Bezirk Neukölln den Vormarsch der Rebellen auf Damaskus in Syrien.
Syrer feiern im Berliner Bezirk Neukölln den Vormarsch der Rebellen auf Damaskus in Syrien.

Die Nachricht vom Sturz des Regimes in Damaskus erreichte mich in Mexiko-Stadt. Auf einer Bank im Parque España, mitten im mittlerweile durch zahlreiche Gringos gentrifizierten Stadtteil La Condesa, verfolgte ich atemlos die Berichte aus Syrien und sah die Bilder aus Berlin, wo Tausende Syrer*innen tanzend den Fall des Massenmörders feierten. Wie gerne wäre ich dabei gewesen, um diesen Moment mit ihnen zu teilen – und zum ersten Mal während meiner Reise verspürte ich Heimweh.

Doch gleich darauf stieß ich auf die ersten Äußerungen europäischer Politiker*innen, die keine Sekunde zögerten, um Massenabschiebungen in das weiterhin von zahlreichen Staaten bombardierte Land zu fordern. Und diese erinnerten mich schmerzhaft daran, warum ich dennoch dringend Urlaub von diesem kalten und kaltherzigen Kontinent brauchte.

Das schien auch jener Moment im Parque España zu bekräftigen: Eine mehrere Meter hohe Skulptur aus unverputztem Beton in Form einer offenen Hand, die 1974 von republikanischen Exilanten errichtet wurde, um den mexikanischen Präsidenten Lázaro Cárdenas zu ehren. Der linke Politiker nahm während des Spanischen Bürgerkriegs zehntausende Geflüchtete auf, die später mit ihren Beiträgen in Kunst, Kultur und Bildung die mexikanische Gesellschaft nachhaltig prägten. Als der Diktator Franco starb, kamen keine mexikanischen Politiker auf die Idee, ihre baldige Rückführung zu fordern.

Yossi Bartal

Yossi Bartal ist seit 2006 ein begeisterter Wahl-Neuköllner. Aufgewachsen in West-Jerusalem lernte er früh, dass Selbsthass die edelste Form des Hasses ist. Mit einer gesunden Dosis Skepsis gegenüber Staat und Gesetz schreibt er für nd.Digital jeden dritten Montag im Monat über Parallelgesellschaften, (Ersatz-) Nationalismus und den Kampf für eine bessere Welt.

Und so sehr ich mir wünsche, dass Syrien bald als unabhängiges, demokratisches und pluralistisches Land aufblüht, aus dem niemand außer Kriegsverbrecher mehr fliehen muss, erschreckte mich die Vorstellung, dass die Bundesrepublik in naher Zukunft weniger syrisch werden könnte. Nein, nicht wegen der befürchteten gravierenden Auswirkungen auf die Arbeitswelt oder die medizinische Versorgung und Pflege, wie manche Sozialdemokraten*innen warnen. Unabhängig von ihrer ökonomischen Ausbeutung haben die rund eine Million Syrer*innen, die in Städten und auf dem Land, im Osten wie im Westen ein neues Zuhause gefunden haben, Deutschland zu einem lebenswerteren Ort gemacht. Mit ihrer Anwesenheit haben sie das Land ein Stück schöner und menschlicher werden lassen.

Denn noch nie war eine große Migrationsbewegung nach Deutschland so von Heldentum geprägt: von den Demonstrant*innen, die trotz Scharfschütz*innen und Folterer*innen massenhaft auf die Straße gingen, um Freiheit zu fordern. Von den Frauen und Männern aller ethnischen und religiösen Gruppen, die sich basisdemokratisch organisierten und unter Belagerung auf ihre Menschlichkeit beharrten. Und von den Hunderttausenden, die sich gegen das europäische Grenzregime mit ihren bloßen Körpern behaupteten. So ansteckend war ihre Widerstandskraft, dass sie 2015 dazu beitrugen, die vielfältigsten und größten sozialen Mobilisierungen hierzulande auf die Beine zu stellen – und dabei das Unglaubliche vollbrachten: den Deutschen die wahre Gastfreundschaft beizubringen, wenn auch nur kurzlebig.

Die eindrucksvollen Bilder aus dem »Sommer der Migration« sind zwar mittlerweile etwas verblasst, doch der Einsatz syrischer Aktivist*innen, Kulturschaffender*innen und Wissenschaftler*innen ist in vielen Bereichen inzwischen deutlich spürbar. Juristinnen wie Joumana Seif und Mazen Darwish, der Politiker Tareq Alaows, Schriftstellerinnen wie Yassin al-Haj Saleh und Rasha Abbas, der Dramaturg Mohammad Al-Attar, der Filmemacher Orwa Nyrabia oder der Journalist Hussam El Zaher sind nur einige Namen, die spontan in den Sinn kommen. Ohne sie – und die vielen anderen, die in den vergangenen Jahren aus Syrien geflüchtet sind – wäre sowohl das kulturelle Leben als auch die Zivilgesellschaft in Deutschland um einiges ärmer.

Ihr Beitrag ist besonders angesichts der aktuellen politischen Entwicklungen unverzichtbar. Denn er ist von einem politischen Empfinden geprägt, das aus dem Widerstand gegen Diktatur und Krieg hervorgegangen ist. Es erklärt sich daher von selbst, dass die Forderung, Syrer*innen so bald wie möglich abzuschieben, genau aus jener Ecke kommt, die nicht nur migrationsfeindlich, sondern auch demokratiefeindlich agiert: AfD-Politiker*innen oder rechte Scharfmacher wie CSU-Chef Markus Söder oder Jens-»Muslime sollen nackt duschen«-Spahn fühlen sich von ihnen nicht nur »kulturell überfordert«, sondern anscheinend auch politisch bedroht.

Ganz persönlich kann ich mir Berlin kaum ohne die zahlreichen Freund*innen aus Syrien vorstellen – egal, ob sie »gut integriert« und sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind oder nicht. Sie sind mir alle sehr ans Herz gewachsen und sollen dort leben, wo sie es wünschen. Eine Stadt ohne Spahn dagegen käme mir geradezu herrlich vor. Ich wäre sogar bereit, ihm ein Startgeld von 1000 Euro zu spenden, falls er freiwillig den nächsten One-Way-Flug nach Budapest oder Wien nimmt. Familiennachzug inklusive.

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