Ostkongo: Wer stoppt die M23?

Fragwürdige private Sicherheitsdienste unterstützen den Kongo im Kampf gegen die aufständische Miliz

  • Constantin Leclerc, Goma
  • Lesedauer: 8 Min.
Die Zivilbevölkerung in Nord-Kivu ist auf der Flucht, weil die von Ruanda unterstützte M23-Miliz vorrückt.
Die Zivilbevölkerung in Nord-Kivu ist auf der Flucht, weil die von Ruanda unterstützte M23-Miliz vorrückt.

Ein Morgen am Kivusee im Ostkongo. Vögel zwitschern. Die Sonne glänzt auf dem Wasser. Fischer paddeln in Holzbooten zum Markt in Goma. Hinter der Millionenstadt ragen die Masisi-Gipfel auf. »Kleine Schweiz« nannten die belgischen Kolonialherren einst diese Berge mit Kühen und Käse-Almen. Doch jetzt knallen dort die Bomben und sind bis nach Goma zu hören. Es ist Krieg im Paradies. Und mittendrin ist ein Rentnertrupp aus Europa.

Einer von ihnen ist Romuald, Oberst a.D. der französischen Armee. Man trifft ihn bei einem Glas Rotwein in einem Restaurant am See. Romuald gibt den Gentleman, bei dem man sich unwillkürlich fragt, weshalb er nicht zu Hause bleibt und seine Rente genießt. »Ein bisschen Abenteuer muss sein«, sagt der pensionierte Fallschirmspringer.

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Romuald war schon immer dort, wo es brenzlig wurde. In Mali, in Senegal und in Togo, in Afghanistan und im Kosovo. Nun soll er im Kongo die Kohlen aus dem Feuer holen. Er leitet die kongolesische Filiale der bulgarischen Sicherheitsfirma Agemira. Die Regierung in Kinshasa hat diese Privat-Militärs verpflichtet, weil die heimische Armee sowie die Blauhelmsoldaten der Vereinten Nationen gegen die Rebellen der »Bewegung des 23. März« machtlos sind. Die Miliz, auf Französisch M23 abgekürzt, besetzt seit drei Jahren die Provinz Nord-Kivu. Sie beutet die Coltan-Minen aus, kassiert Zwangsabgaben auf Kaffee und Kakao, auf Kohl, Kartoffeln und Karotten, auf alles, was der fruchtbare Boden hergibt. Die M23 wird laut den Vereinten Nationen vom Nachbarland Ruanda mit modernen Waffen und mit 4000 Soldaten unterstützt.

Romuald will seinen Familiennamen nicht in der Zeitung lesen. Er weiß um das Schmuddelimage der Privat-Militärs, seit Wagner und Blackwater wahllos Zivilisten getötet haben. Von den Söldnern im Ostkongo ist bisher nichts dergleichen bekannt. Der Oberst fürchtet trotzdem um seinen Ruf, zumal seine Kundin, die kongolesische Armee, kein Vorbild für Menschenrechte ist.

Romuald und seine 20 Kameraden von Agemira erklären der Heeresführung, wie sie Krieg gegen die M23 führen sollen und wie sie Ordnung in ihre undisziplinierten Reihen bringen könnten. Agemira wartet die Flugzeuge und Drohnen der Armee und bringt den Kongolesen bei, wie man diese Drohnen steuert. Die Firma kümmert sich auch um den Nachschub, damit der Proviant an der Front ankommt und nicht vorher von Offizieren verkauft wird. Außerdem fädelt Agemira Waffengeschäfte für Kinshasa ein.

Romuald hat Vertraute um sich geschart. Seine Angestellten sind Kameraden aus früheren Zeiten in der französischen Armee. »Wir sind keine Söldner, wir tragen nicht einmal Waffen«, behauptet er.

Die Militär-Pensionäre aus Frankreich haben allerdings 800 Kollegen aus Rumänien und Belarus. Sie arbeiten für die rumänische Militärfirma »Romanii care au activat in legiunea franceza« (Ralf). Sie nennen sich »Romeos« und kooperieren mit Agemira. Die meisten haben früher in der französischen Fremdenlegion gedient. Die Romeos tragen durchaus Waffen. Sie sollen Goma und den strategisch wichtigen Ort Sake am Fuß der Masisi-Berge verteidigen.

Manchmal rückt die M23 Goma gefährlich nahe, wie etwa im Februar. Hunderte westliche Entwicklungshelfer und UN-Angestellte saßen schon auf gepackten Koffern, während die Ralf-Kämpfer zunächst einen »Feind im Inneren« bekämpfen mussten: Stau in der Stadt, verursacht durch Schlaglöcher. Mann sah die weißen Männer in ihren Jeeps fluchen, verhinderte Krieger in der Blechlawine.

»Die Kameraden haben Goma gerettet. Wir kämpfen für eine edle Sache«, beteuert Romuald. Für ihn ist der Fall klar: Ruanda besetze den Kongo völkerrechtswidrig, stehle die Rohstoffe und treibe Millionen Menschen in die Flucht. »Ich habe meiner Frau gesagt, dass ich erst zurückkomme, wenn auch die Geflüchteten nach Hause können«, erzählt Romuald. Und klar, auch die Romeos seien keine Söldner. »Sie kämpfen nur defensiv«, erklärt Romuald. Vier ihrer Soldaten wurden dabei bereits getötet.

Die M23 kontrolliert seit drei Jahren Gebiete der kongolesischen Provinz Nord-Kivu.
Die M23 kontrolliert seit drei Jahren Gebiete der kongolesischen Provinz Nord-Kivu.

Wer als Söldner gilt, steht in der internationalen Konvention gegen die Rekrutierung, den Einsatz, die Finanzierung und die Ausbildung von Söldnern sowie im ersten Zusatzprotokoll der Genfer Konventionen. Die völkerrechtlichen Definitionen seien allerdings sehr eng, »sodass Mitarbeiter von privaten Militär- und Sicherheitsunternehmen nur in wenigen Fällen unter diese Definitionen fallen dürften«, schreibt der wissenschaftliche Dienst des Bundestags. Für die Menschen in Goma sind die fremden Soldaten trotzdem Söldner.

Glaubt man Oberst Romuald, verhören die Geheimdienste in Frankreich und Rumänien die Militärs von Agemira und Ralf, wenn sie auf Heimaturlaub sind. »Sollten wir offensiv auftreten, würden wir im Gefängnis landen«, sagt er. Unabhängig vom Engagement im Kongo wurde der Chef von Ralf, Horatius Potra, vergangene Woche vorübergehend in Rumänien verhaftet. Die Justiz wirft ihm vor, gegen das Waffengesetz zu verstoßen. Potra ist dem Vernehmen nach für die Sicherheit des rechtsgerichteten Präsidentschaftskandidaten Călin Georgescu zuständig. Potra hat in der Vergangenheit auch schon manchen Diktator beschützt.

Im Moment herrscht im Ostkongo offiziell Feuerpause. Sie wird zwar ständig gebrochen. Aber sie lässt den Soldaten aus Europa Zeit zum Einkaufen. Sie fahren in neuen Geländewagen der kongolesischen Armee auf dem Parkplatz des Supermarkts vor. Drahtige Männer, manche mit dem Logo von Ralf auf dem Ärmel, schwärmen gut gelaunt in den Laden. Sie kaufen teure, importierte Schokolade, Chips und Duschgel der Marke »Irischer Frühling«. Manche trinken in der Kaffeebar des Supermarkts Cappuccino, während die kongolesischen Soldaten ihre Fahrzeuge bewachen.

»Kleine Prinzen« nennt Onesphore Sematumba die Kämpfer aus Osteuropa. Der Kongolese ist Analyst bei der Denkfabrik Crisis Group in Nairobi. »Die kongolesischen Soldaten müssen zu Fuß gehen und haben nicht einmal genug zu essen«, kritisiert er. Keine Frage, die Söldner leben besser als ihre kongolesischen Kameraden. Sie logieren in Hotels, die für die Öffentlichkeit gesperrt sind. Die Kongolesen übernachten in erbärmlichen Lagern. »Das ist rassistisch«, findet Sematumba.

Der Analyst hält den Militär-Pensionären zugute, dass sie bisher Goma verteidigen konnten. Aber den Vormarsch der M23 auf dem Land könnten sie nicht stoppen. »Diese hoch bezahlten Leute machen nicht wirklich einen Unterschied«, stellt der Analyst fest.

Laut Oberst Romuald bekommen die Europäer einen Sold von 5000 bis 6000 Dollar, je nach Dienstgrad. Kongolesische Soldaten erhalten bestenfalls ein paar Hundert Dollar im Monat. Romuald beteuert, dass die Söldner, die keine sein wollen, nicht wegen des Geldes im Kongo seien. »Ich mag einfach meinen Beruf«, erzählt er. Mag sein, dass er es ernst meint.

Frank Daumann ist Sportökonom an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena. Aus persönlichem Interesse forscht er über private Sicherheitsfirmen. »Manche Veteranen wollen weiter arbeiten, wenn sie die Armee verlassen. Sie haben einfach Spaß am Job«, ist auch seine Beobachtung.

Nach dem Kalten Krieg haben viele Staaten ihre Armeen verkleinert. Für Auslandseinsätze verpflichten sie oft private Firmen. So seien im Irak und in Afghanistan 50 bis 70 Prozent der Soldaten, die für die USA im Einsatz waren, Privat-Militärs gewesen, sagt Daumann. Die Branche wächst. Das prognostiziert auch die Consulting-Firma Vantage. Sie schätzt, dass die Militärfirmen 2030 weltweit einen Umsatz von 447 Milliarden Dollar erzielen werden. 2022 waren es »nur« 258 Milliarden.

Im Kongo sollen die Rentner aus Europa schaffen, woran die Blauhelm-Mission der Vereinten Nationen seit einem Vierteljahrhundert scheitert: den Osten des Landes befrieden. Mehr als 100 Milizen betreiben dort ihr blutiges Geschäft. Mal sind sie in die Armee integriert, mal meutern sie. Als die M23 erneut zu den Waffen griff, erklärte UN-Generalsekretär António Guterres die Blauhelme kurzum für zu schwach. Sie könnten nicht gegen die M23 kämpfen, da die Miliz aufgrund externer Hilfe technisch überlegen sei.

Sanktionen gegen Ruanda sind bisher nicht im Gespräch. Im Gegenteil. Ruanda ist mit fast 6000 Soldaten der drittgrößte Truppensteller für die weltweiten UN-Missionen. Laut Besoldungstabelle bekommt Ruanda dafür gut sechs Millionen Dollar pro Monat. Außerdem kämpft die ruandische Armee in Mosambik gegen islamistische Terroristen. Dort bauen Total Energies, Exxon Mobil und Eni Flüssiggasprojekte auf. Die EU finanziert den Militär-Einsatz dort mit 20 Millionen Euro. »Kann man ausschließen, dass Ruanda die ausländischen Mittel für den Krieg im Kongo verwendet?«, argwöhnt Oberst Romuald.

»Wenn die privaten Sicherheitsfirmen die Menschenrechte respektieren, können sie nützlich sein, um die heimische Armee auszubilden.«

Jean-Pierre Lacroix
Chef der UN-Friedensmissionen

Zur Monusco, der UN-Friedenstruppe im Kongo, haben die privaten Militärs ein ambivalentes Verhältnis. Eine Monusco-Sprecherin in Kinshasa erklärt: »Mit solchen Gruppierungen kooperieren wir nicht«. Oberst Romuald schmunzelt, wenn er hört, was in der 1800 Kilometer entfernten Hauptstadt geredet wird. »Wenn Kämpfe stattfinden, sprechen wir uns mit der Monusco ab«, erzählt er. Romuald glaubt, dass das »Geschichte schreiben wird«. Das ist möglich. Immerhin sagt Jean-Pierre Lacroix, Chef aller UN-Friedensmissionen, am Telefon in New York: »Wenn die privaten Sicherheitsfirmen die Menschenrechte respektieren, können sie nützlich sein, um die heimische Armee auszubilden.«

Das klappt aber nur, wenn die Ausbilder bleiben. Als Kinshasa vor ein paar Monaten die Ralf-Kämpfer verspätet bezahlte, sind viele Söldner nach Hause geflogen. So wichtig war der Kampf für eine edle Sache dann doch nicht.

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