Werbung
  • Kultur
  • »Es liegt an dir, Chéri« im Kino

Immer freundlich bleiben!

In der Tragikomödie »Es liegt an dir, Chéri« von Florent Bernard geht es um den Ermüdungsbruch in einer Ehe nach über 20 Jahren

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 5 Min.
Sandrine (Charlotte Gainsbourg) will ab jetzt allein leben.
Sandrine (Charlotte Gainsbourg) will ab jetzt allein leben.

Früher waren Ehedramen noch echte Dramen, man denke an Ingmar Bergmans »Szenen einer Ehe«. Oder auch an bissige Komödien wie »Blaubarts achte Frau« von Ernst Lubitsch. Heute sind sie oft weder das eine noch das andere, sondern bloß gut gemeint.

Vielleicht ist Regisseur Florent Bernard auch einfach zu jung für den Film »Es liegt an dir, Chéri« über den Ermüdungsbruch in einer Ehe nach über 20 Jahren. Er selbst ist schließlich erst 33, das ist heute das Alter, in dem viele anfangen zu überlegen, ob sie sich nun fester binden sollten oder nicht. Meist wissen sie es nicht, und diesem endlosen Zögern zuzusehen, ist dann auch nicht sehr unterhaltsam.

Aber eine weiß hier genau, was sie nicht will: Charlotte Gainsbourg als langjährige Ehefrau Sandrine will nicht, dass es in ihrer Ehe mit Christophe (auf redliche Weise raubeinig: José Garcia) so weitergeht wie bisher. Sie hat den Entschluss gefasst, sich von Christophe zu trennen, dem Vater ihrer beiden fast erwachsenen Kinder, die nun bald zum Studium das Haus verlassen.

Nicht dass es einen greifbaren Grund für die Trennung gäbe. Er ist weder gewalttätig, noch trinkt er oder hat anderweitige Verhältnisse. Er arbeitet in einer Autoverleihfirma, das hat schon fast proletarische Züge im ansonsten gutbürgerlichen französischen Beziehungskrisenkino. Auch Sandrine ist eine einfache Angestellte in einem Reisebüro (gibt es so was noch?). Obsessiv von ihrer Arbeit besessen sind also beide nicht, sondern froh, wenn sie nach Feierabend nach Hause kommen. Eigentlich könnte sie das verbinden. Aber Sandrine hat entdeckt, dass sie Christophe nicht mehr liebt. Sie meint nicht die romantische Liebe der Anfänge, sondern die simple Tatsache, dass sie sich allein besser fühlt als zusammen mit ihrem Mann. Ist das ein hinreichender Trennungsgrund?

nd.DieWoche – unser wöchentlicher Newsletter

Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.

Doch einer findet sich: Christophe hört die Mailbox seines Handys nie ab, und so verpasst er regelmäßig ihre kleinen Aufträge, die sie ihm hinterlässt. Manchmal ist dann tatsächlich kein Futter für die Fische im Aquarium mehr da. Lässt sich das beheben? Mit gutem Willen natürlich, aber Sandrine hat keinen guten Willen mehr für Christoph. Sie kann ihm nichts wirklich vorwerfen; aber sich vorstellen, auch die nächsten 20 Jahre noch mit ihm zusammenzuleben, das kann sie auch nicht. Sie will ab jetzt allein leben.

Als Erstes fragt sie die beiden Kinder Bastian und Lorelei, ob sie damit einverstanden wären, wenn sie auszöge. Den beiden scheint das ziemlich egal zu sein, sie zucken mit den Schultern. Ja, klar, kein Drama. Wäre dies nicht der Augenblick, einen durchaus auch kritischen Blick auf die hier herrschende Leidenschaftslosigkeit, die allgegenwärtige Apathie zu werfen? Was ist los mit einer Gesellschaft, in der man sich nicht mehr ernsthaft aneinander reibt, sondern aus lauter Desinteresse aneinander sogar langjährige Beziehungen schlicht einschlafen lässt? Und daran ist hier gewiss nicht allein Christophe schuld.

Für ihn ist es ein Drama, er versteht die Welt nicht mehr. Was hat er falsch gemacht, was soll plötzlich der Trennungsgrund sein, ein schlichtes: Ich mag nicht mehr? Das kann er nicht akzeptieren und beschließt, seine Ehe und damit auch die Familie zu retten. Er nötigt sie, mit ihm ein Wochenende lang jene Orte zu besuchen, die in ihrer gemeinsamen Geschichte eine Rolle spielten. Natürlich ist das vergebliche Liebesmüh, und spätestens an dieser Stelle beginnt Christophe einem leidzutun. Er hat keine Chance, aber weiß es nicht.

Die Suche nach der verlorenen Zeit kann verbinden oder trennen.

Diese Art Ehetristesse so in Szene zu setzen, dass man als Zuschauer dennoch innerlich beteiligt bleibt, würde ein psychologisches Gespür des Regisseurs in Sachen Zeit voraussetzen, das dieser wegen seiner Jugend wohl (noch) nicht haben kann. Also begeht er den Fehler, den Leerlauf einer Beziehung, die Folter der vergehenden Zeit, die keine geteilte mehr ist, zu ignorieren. Stattdessen dreht er eine Komödie mit lauter unbeholfenem Slapstick – und das sehr gegen den Widerstand von Hauptdarstellerin Charlotte Gainsbourg. Sie spielt Sandrine ohne große Gesten und Ausbrüche als Frau in mittleren Jahren, die nur weiß, was sie nicht will, aber nicht, was sie will. Erst einmal muss sie für sich sein, dann kann sie es vielleicht herausfinden in der Zeit, die ihr noch bleibt.

Schade, dass das Potenzial einer Schauspielerin wie Charlotte Gainsbourg sich hier kaum entfalten kann. Schließlich hat sie sich uns in Lars von Triers »Melancholia« und »Nymphomaniac« mit Figuren eingeprägt, die von Dämonen getrieben sind.

Die Suche nach der verlorenen Zeit kann verbinden oder trennen. Sandrine drängt eine latente Panik zu einem Entschluss, von dem niemand weiß, ob er halten wird, was er verspricht. Diese Ungewissheit könnte zum dramatischen Mittelpunkt dieses Films werden, stattdessen verliert er sich in lauter Nettigkeiten. Nein, keiner soll hier verletzt zurückbleiben. So lächeln und winken sie sich überaus freundlich zu, als Sandrine am Ende ihren kleinen Möbelwagen selbst steuert, wohin auch immer. Kein Beinbruch, sondern nichts anderes als der Selbstverwirklichungsweg, den jeder gehen sollte?

Gut so!, sagt uns Regisseur Florent Bernard, der sich gern FloBert nennt, vermutlich weil ihm die Flaubert-Assoziation gefällt. Aber ein Flaubert ist er nun gerade nicht, denn dieser lotete hinter der mühsam aufrechterhaltenen bürgerlichen Fassade die Abgründe an Einsamkeit, Angst und Getriebenheit aus. Dazu bedarf es oft nur einiger kleiner Striche und Andeutungen.

Charlotte Gainsbourg versucht – mit wachsender Resignation ihrer Rolle gegenüber –, genau dies in ihrem Spiel auszudrücken: ein unbestimmtes Unbehagen, das sie selbst nicht benennen kann, aber auch nicht länger ignorieren will. Da geht es Charlotte Gainsbourg in »Es liegt an dir, Chéri« (welch infantiler Filmtitel!) dann wie Sandrine in ihrer Ehe: Sie funkt vergeblich SOS, weil es für dieses Signal hier ganz einfach keinen Empfänger gibt. Und so treiben Darsteller und Zuschauer am Ende in Belanglosigkeit vereint im Meer des Zeitgeistes dahin.

»Es liegt an dir, Chéri«, Frankreich 2024. Regie und Buch: Florent Bernard. Mit: Charlotte Gainsbourg, José Garcia, Lily Aubry, Hadrien Heaulmé. 102 Min. Kinostart: 19. Dezember.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -