Adventskalender: Türchen auf, Hirn aus

Für Melanie Jaeger-Erben nimmt die Vorweihnachtszeit bizarre Züge an

Konsum an Weihnachten – Adventskalender: Türchen auf, Hirn aus

Die Weihnachtsfeiertage stehen bevor und mit ihnen das Endgame des vorweihnachtlichen Kaufrauschs. Längst haben wir uns an die bereits Ende August mit dem Verkauf von Lebkuchen und Schokoweihnachtsmännern beginnende Dauerbeanspruchung unserer Geldbeutel und Aufmerksamkeiten gewöhnt. Der Kapitalismus liebt Weihnachten und schafft es, jede noch so kleine Tradition der Adventszeit in einen maximalen Umsatztreiber zu verwandeln.

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Eine besondere Blüten treibende Entwicklung der vergangenen Jahre ist der Adventskalender-Hype. Einst ein nettes Pappding mit Mini-Schokoladen von fragwürdiger Qualität, ist er zu einem Symbol eines bis zur Absurdität unersättlichen Konsumismus geworden. Schokolade? Lächerlich! 2024 kaufen wir Adventskalender mit Craft Beer, veganen Proteinriegeln, Heilkristallen oder Luxus-Parfum-Miniaturen. Und nein, es hört nicht bei den Menschen auf: Auch Hunde, Katzen und vermutlich bald auch unsere Zimmerpflanze können sich inzwischen über eigene Türchen freuen – gefüllt mit Leckerlis, Spielzeug und irgendwann vielleicht auch mal Spezialdünger mit Weihnachtsaroma.

Meine persönlichen Höhepunkte aus der Welt des überambitionierten Vorweihnachtsmarketings:

  • Der Energy-Drink-Kalender, mit dem wir uns durch den Weihnachstress dopen können. Denn wer schläft, kann nichts kaufen.
  • Ein Whiskey-Kalender für 300 Euro, der jeden Tag 2 cl Hochprozentiges bietet als herzliche Einladung zum vorweihnachtlichen Leberversagen.
  • Der Klo-Adventskalender: Er wirbt mit dem albernen Spruch »Nur noch 24 Häufchen bis Heiligabend« und lässt uns selbst auf dem Stillen Örtchen den konsumverliebten Weihnachstcountdown zelebrieren – mit Rätseln, Fun Facts und Klopapier-Origami.

Man muss es den Herstellern lassen: Sie haben es geschafft, ein Konzept zu entwickeln, das komplett entgrenzt ist. Es gibt Adventskalender für jeden Geschmack, jede Nische, jede Spezies. Es gibt sogar Kalender für Weihnachtsmuffel. Wer sogar den Verweigerern genau das andrehen kann, dem sie sich eigentlich verweigern wollen, der hält quasi die Fäden der Welt in der Hand.

Melanie Jaeger-Erben

Prof. Melanie Jaeger-Erben lehrt Technik- und Umweltsoziologie an der Brandenburgischen TU Cottbus-Senftenberg.

Klingt alles auf eine absurde Art lustig, ist aber so genial wie gefährlich. Der Adventskalender sollte einst das Warten versüßen und ist mittlerweile ein 24-Tage-Heiligabend mit einem materiellen Highlight pro Tag. Als wäre es unerträglich, nur an einem Tag beschenkt zu werden. Anscheinend sagt nichts »Wir lieben Weihnachten« mehr als ein Produkt, das den Heiligabend bis zum Konsum-Overkill dehnt. Und das Menschen dazu bringt, 100 Euro für einen Kalender auszugeben, der ihnen am Ende 24 winzige Dosen Marmelade beschert – von denen vielleicht drei gut schmecken.

Dabei sind die sinnlos verbrauchten Ressourcen und Abfallmengen nur ein Teil des Problems. Viel fataler ist die Gewöhnung an den Überkonsum und das tägliche Zelebrieren des Viel-zu-viel als selbstverständlicher Aspekt der Adventszeit. Der Adventskalender ist das ultimative Symbol für unsere Bereitschaft, jeden Tag mit nutzlosem Konsum zu füllen – egal wie teuer oder albern es ist. Türchen auf, Hirn aus. Es ist Weihnachten.

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