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Mit Arbeitern aus Namibia gegen den Fachkräftemangel in Berlin
Die IHK Berlin plant ein Ausbildungszentrum in Windhoek
Die Fachkräftelücke in Berlin ist gewaltig. Bereits heute fehlen laut der Industrie- und Handelskammer (IHK) Berlin 90 000 Fachkräfte, 2030 könnten es 261 000 sein. Um die Lücke zu schließen, will die IHK ausländische Arbeitskräfte für den Arbeitsmarkt der Hauptstadt gewinnen. Dazu werden Pläne für ein Ausbildungszentrum in Berlins Partnerstadt Windhoek, Hauptstadt von Namibia, vorangetrieben. Das Beispiel soll dann in anderen Regionen Schule machen.
Die IHK hält es für möglich, dass Anfang 2026 mit der Ausbildung begonnen werden kann. Ziel sei ein Potenzial von bis zu 3000 Abschlüssen pro Jahr. Das sagte Sebastian Stietzel, Präsident der IHK Berlin, zu »Table Media«. Die Jugendarbeitslosigkeit ist in Namibia mit rund 40 Prozent sehr hoch. Die Bürgermeisterin von Windhoek, Queen Kamati, habe immer wieder betont, dass daher ein Eigeninteresse Namibias an der Kooperation bestehe, so Stietzel. Während der Ausbildung sollen die Azubis Deutsch lernen. Man wolle sich auf Berufe konzentrieren, die besonders dringend gebraucht werden. Dazu zählen Bereiche wie Unternehmensdienstleistungen und Gastgewerbe, aber auch Berufsbilder aus Industrie und Handwerk, sagte Stietzel. Zunächst würden deutsche Ausbilder*innen eingesetzt, mit der Zeit dann namibische Ausbilder*innen weiterqualifiziert.
Aus einer Antwort der Senatswirtschaftsverwaltung auf eine Anfrage des SPD-Abgeordneten Sven Meyer, die »nd« vorab vorliegt, geht hervor, dass erst noch geprüft werden muss, inwiefern eine duale Ausbildung gemäß deutschen Standards realisierbar ist. »Nach aktuellem Planungsstand erwartet die IHK, dass die Kosten einer Ausbildung in Namibia, unter denen in Deutschland liegen werden«, hatte der Senat bereits im Oktober auf eine Anfrage der AfD-Fraktion geantwortet. Wie der Senat weiter mitteilt, sollen die Kosten der Ausbildung durch die Unternehmen, etwa in Form von Stipendien, durch Bildungskredite oder durch die Auszubildenden selbst finanziert werden.
»Eine Eigenfinanzierung oder ein Stipendium birgt die Gefahr, dass schon privilegierte junge Menschen dem namibischen Arbeitsmarkt entzogen werden und eben keine Qualifizierung der bisher Unqualifizierten stattfindet«, kritisiert Meyer gegenüber »nd«. Der Fraktionssprecher für Arbeit erklärt weiter, dass gerade die Refinanzierung von Darlehen oder Krediten die Ausgebildeten dazu drängen dürfte, eine Arbeit in Deutschland aufzunehmen. Solche Finanzierungskonzepte würden also den sogenannten Braindrain begünstigen, während die Unternehmen gleichzeitig Kosten sparen. »Es ist nicht ausgeschlossen, dass am Ende die Berliner Wirtschaft, die in der Hauptstadt zu wenig ausbildet, hier auf die kostengünstigere Quelle für Fachkräfte zurückgreift«, sagt Meyer.
Er plädiert stattdessen für ein Ausbildungsgehalt, wie es in Deutschland gesetzlich vorgeschrieben ist. Jedoch müsse auch dann bestimmt werden, welches Verhältnis von Ausgebildeten, die nach Deutschland migrieren, und solchen, die in der Heimat verbleiben, als ausgewogen und anzustreben gilt. Auch müsse geklärt werden, durch welche Maßnahmen dieses Verhältnis sichergestellt werden soll.
Für das Ausbildungszentrum der IHK sind derlei Regelungen offenbar nicht vorgesehen. Präsident Stietzel beruft sich stattdessen auf »Erfahrungswerte«, wonach rund 20 Prozent der Ausgebildeten nicht das Land verlassen würden. Allerdings: »Es ist unsere Intention, dass 100 Prozent der Ausgebildeten auf dem Berliner Arbeitsmarkt landen könnten«, sagte Stietzel. Mittelfristig soll das Projekt aber auch Unternehmen der ehemaligen deutschen Kolonie offenstehen.
Nach Vorlage der von Meyer erhobenen Kritik erklärte die IHK »nd«, sie setze auf eine verantwortungsvolle und nachhaltige Gestaltung internationaler Ausbildungsprojekte. Mit dem Zentrum in Windhoek soll auch der lokale Arbeitsmarkt in Namibia gestärkt werden. Es sei zudem nur als »eine Ergänzung zu den zahlreichen Aktivitäten der IHK Berlin zur Förderung der dualen Ausbildung in Berlin« zu verstehen. Nicht nur privilegierten Gruppen, sondern gerade auch Personen aus bildungsfernen Schichten sollten Möglichkeiten zur Entwicklung aufgezeigt werden, teilte die IHK mit.
Medienberichten zufolge zählt die IHK die Stadt Windhoek, das Wirtschaftsministerium Namibias und den Berliner Senat zu den Partnern des Projekts. Der Senat lässt jedoch wissen, es gebe keine formelle Unterstützung. Man sei vor dem Hintergrund der Städtepartnerschaft lediglich im Austausch, teilte ein Sprecher »nd« mit. »Die tatsächliche Machbarkeit und die Vereinbarkeit des Projekts mit den Belangen und Gegebenheiten vor Ort bedürfen indes noch der näheren Betrachtung und Darlegung durch die IHK, bevor durch den Senat geklärt werden kann, ob das Projekt unterstützt wird.«
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