Broadcast: Poröser ist schöner

Die Demotapes von Broadcast gehen sofort ins Herz

  • Benjamin Moldenhauer
  • Lesedauer: 3 Min.
Zurück zur Brüchigkeit: Broadcast 2010 beim Sónar Galicia in A Coruña.
Zurück zur Brüchigkeit: Broadcast 2010 beim Sónar Galicia in A Coruña.

Die Musik von Broadcast aus Birmingham flog im Electronica-Universum des britischen Warp-Labels immer ein wenig unter dem Radar. Es gab ein sehr erfolgreiches Album, das 1997 breit rezipiert wurde, »The Noise Made by People«. Danach formulierte die Band um die 2011 an einer Lungenentzündung verstorbene Sängerin Trish Keenan ihren Soundkosmos bis in die letzten Feinheiten immer weiter aus. Soundscapes und Klangexperimente ersetzten mehr und mehr das klassische Songformat.

Dabei blieben die Grundkoordinaten immer die gleichen: Broadcast griffen, darin Stereolab sehr ähnlich, auf verschiedene Hipster-Universen der 60er Jahre zurück und amalgamierten Sixties-Pop, Psychedelia mit den frühen Verbindungen von Electronica und Pop. Auch der Gesang von Trish Keenan orientierte sich an der Psychedelic-Band The United States of America, die als eine der ersten seltsame Synthesizersounds und andere elektronische Klanggeneratoren in ihre eh schon weirden Popsongs einfließen ließ. Broadcast sind neben den bereits erwähnten Stereolab ein Paradebeispiel für den postmodernen Zitatpop der 90er.

Plattenbau

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Die Musik wurde also zunehmend flächiger, bin hin zum 2013 postum erschienenen Soundtrack zu Peter Stricklands Film »The Berberian Sound Studio«, der die Klangerzeugung zu einem 60er-Jahre-Horrorfilm rekonstruiert und eine Spielwiese für die experimentelle Seite der Band bot. Umso überraschender klingen die jetzt veröffentlichten Demos aus den Jahren 2000 bis 2009, die aus den archivierten 4-Spur-Kassetten und Mini Discs aus Trish Keenans Archiv zusammengestellt wurden.

Auf den zwei Alben »Spell Blanket« und »Distant Call« sind spartanische Songskizzen zu hören, die Opulenz und das Überschießende der Alben ist durchgestrichen. Stattdessen haben Broadcast in ihren Demos eine in ihrer Brüchigkeit sehr anrührende Lo-fi-Ästhetik kultiviert, die weit mehr ist als »The Song Before the Songs Comes Out«, wie der Opener von »Spell Blanket« ankündigt.

Auf den insgesamt sechs Plattenseiten sind ein paar der schönsten Songs verborgen, die Broadcast in die Welt gestellt haben. Zum Beispiel »March of the Fleas«, ein gerade einmal zweiminütiges Stück Dream Pop, das heute in seiner Verhalltheit und Zerfaserung (und mit einem zärtlichen Tritt aufs Distortion-Pedal) wie eine Bubblegum-Variante der späteren Ambient-Experimente von Grouper wirkt. Oder der Folksong »Tears in the Typing Pool«, der im Original auf dem Album »Tender Buttons« von 2005 zu finden ist und sich in der Demoversion vollends in ein sprödes Stück Antifolk verwandelt.

»Distant Call« und »Spell Blanket« versammeln insgesamt 50 Stücke, die in ihrer Gesamtheit einen Sound freilegen, der im Broadcast-Universum untergründig immer präsent war, aber von der Masse an Sounds und Verweisen partiell verdeckt blieb: poröser, jede Geste der Stärke negierender Bedroom-Pop.

Broadcast: »Distant Call – Collected Demos 2000–2006« (Warp Records)
Broadcast: »Spell Blanket – Collected Demos 2006–2009« (Warp Records)

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