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Ehrenamtliche geben, Berlin nimmt
Was Berliner Behörden nicht schaffen, fangen Vereine wie Moabit hilft oder die Berliner Kältehilfe auf
Vormittags, 11 Uhr, auf dem Gelände des Gesundheits- und Sozialzentrums in der Turmstraße in Moabit: Eine Schlange von Menschen hat sich vor Haus R gebildet, die Wartenden sprechen verschiedene Sprachen, das Alter ist durchmischt. Im Haus hat der Verein Moabit hilft seinen Sitz. Ehrenamtliche lassen die Wartenden nach und nach in das Gebäude. In einem großen Raum befinden sich Kleider- und Sachspenden; eine Mutter mit Kind sucht passende Kleidung zusammen, andere warten noch, bis auch sie hereindürfen.
In einem anderen Bereich sind kleine Tische mit Stühlen aufgebaut, hier finden montags bis freitags Sozial- und Asylverfahrensberatungen statt. An den Tischen gehen Mitarbeiter*innen des Vereins zusammen mit den zu Beratenden Dokumente, Formulare und Anträge durch.
»Wir nehmen hoheitliche Aufgaben der Stadt wahr, wir schließen die Lücken der Versorgung«, sagt Diana Henniges, Gründerin des Vereins, zu »nd«. Der Beratungsbedarf in Berlin sei viel größer, als ihn die Angebote des Landes abdecken könnten. Deswegen springen Vereine wie Moabit hilft auf ehrenamtlicher Basis ein – unter der Woche werden hier jeden Tag bis zu acht Stunden lang Beratungsgespräche geführt. Am Mittwochvormittag sind alle Tische im Beratungsbereich belegt.
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Dabei sind die Beratungen, gerade auch die Asylverfahrensberatung, essenziell für viele Menschen. »Da müsste es viel mehr Angebote vom Land geben«, sagt die Vereinsgründerin. Zudem müssten die existierenden Angebote bekannter gemacht werden. Und, so Henniges, auch eine falsche Beratung, ein Fehler beim Ausfüllen der Dokumente oder eine verpasste Frist könnten schlimmstenfalls dazu führen, dass Geflüchtete ihren Aufenthaltsstatus verlieren. »Eine Vollkatastrophe«, sagt Henniges. Deshalb müssten solche Beratungen eigentlich von ausgebildeten Fachkräften durchgeführt werden.
Auch in Krisensituationen ist Moabit hilft zur Stelle, um aufzufangen, was die Berliner Behörden nicht schaffen. Als etwa 2015 die Behörden bei der Aufnahme und Unterbringung von Geflüchteten überlastet waren, haben Ehrenamtliche von Moabit hilft Sachspenden und Unterbringungsmöglichkeiten für die Menschen organisiert, die noch auf staatliche Leistungen warten mussten. Und zu Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine seien es ebenfalls Ehrenamtliche gewesen, die zur Stelle waren, um ankommende Geflüchtete zu versorgen und unterzubringen. »Wir haben so viel Essen und Fahrkarten gekauft und Geld investiert für die Unterbringung, weil der Senat sie nicht unterbringen konnte.«
Doch selbst im Berliner Alltag schaffen es die Behörden oft nicht, Menschen zeitnah mit Sozialleistungen oder den Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu versorgen. Auch hier springt Moabit hilft ein, stellt Gutscheine aus, um den Betroffenen über die Runden zu helfen, erzählt Henniges. »Das gilt für Geflüchtete genauso wie für andere verarmte Menschen in Berlin.«
Vom Berliner Senat komme derweil wenig zurück. »Wir Ehrenamtlichen werden ausgebeutet«, sagt die Vereinsgründerin. Zwar gibt es inzwischen die »Ehrenamtskarte« Berlin-Brandenburg, mit der ehrenamtlich Engagierte Vergünstigungen in vielen Einrichtungen, etwa Museen, erhalten. Doch Henniges fordert vor allem eine respektvolle politische Zusammenarbeit. »Wir müssen immer bitten und betteln, um auf Augenhöhe wahrgenommen und nicht belächelt zu werden.«
Die Expertise von Ehrenamtlichen müsse als solche anerkannt und in Entscheidungsprozesse einbezogen werden, sagt Henniges. Es gebe zwar Termine für den Austausch mit Politik und Verwaltung, doch diese würden allzu oft abgesagt und fänden nicht häufig und regelmäßig genug statt. »Ehrenamt sollte nicht als selbstverständlich wahrgenommen werden, sondern als Bereicherung. In anderen Städten werden Entscheidungen zum Beispiel nur mit den Stimmen von Ehrenamtlichen-Vertreter*innen getroffen.« Henniges fordert vom Senat mindestens alle drei Monate einen Runden Tisch mit Ehrenamtlichen, Politiker*innen und Verwaltung; außerdem müsse man sich gemeinsam nachhaltige Konzepte überlegen, um die Menschen in Berlin angemessen zu versorgen.
Den Verein Moabit hilft hat Diana Henniges zusammen mit anderen 2013 gegründet, damals vor allem, um Geflüchteten zu helfen. Inzwischen ist der Verein Anlaufstelle für alle Berliner*innen, die Unterstützung brauchen. »Es gibt eine große Armut in der Stadt. Hier kommt auch die deutsche Omi hin, die mit ihrer Rente nicht auskommt«, erzählt Henniges. Es gebe etwa eine Handvoll fest angestellte Mitarbeiter*innen im Verein und Hunderte Ehrenamtliche, darunter viele, die selbst von Moabit hilft Hilfe erfahren haben und nun die Unterstützung weitergeben wollen. »Im vergangenen Jahr waren es etwa 70 Prozent Geflüchtete unter den Ehrenamtlichen.«
Finanzielle Mittel erhält der Verein allein über Spenden, eine öffentliche Förderung wolle man auch nicht. So sei man komplett politisch unabhängig, und das sei dem Verein sehr wichtig. Denn Moabit hilft will nicht nur Menschen unterstützen, sondern auch politisch arbeiten. »Wir können sagen, was wir wollen.«
Ehrenamtliche Arbeit leistet an vielen Stellen einen entscheidenden Beitrag zur Versorgung der Berliner*innen. Ganz deutlich wird das jeden Winter, wenn es darum geht, obdachlose Menschen nicht auf der Straße erfrieren zu lassen. Deswegen gibt es die Berliner Kältehilfe, die für obdachlose Menschen ein niedrigschwelliges Angebot an Schlafplätzen im Warmen bereithält. Einer der größten Träger der Kältehilfe ist die Berliner Stadtmission, ein eigenständiger Verein innerhalb der evangelischen Kirche. In der Notübernachtung in der Lehrter Straße am Hauptbahnhof können jede Nacht 125 Menschen essen und schlafen.
»Es fühlt sich so an, als würde auf dem Rücken der Ehrenamtlichen gespart.«
Daniel Pittner
Kältehilfe der Berliner Stadtmission
Am Montagabend stehen hier schon um 19 Uhr etwa 30 Menschen im kalten Nieselregen vor der Tür. Sie warten darauf, dass die Unterkunft in einer Stunde für sie öffnet. Drinnen bereitet sich das Team aus Angestellten und Ehrenamtlichen auf den Einlass vor. Insgesamt arbeiten in der Einrichtung nach Angaben der Stadtmission 21 Hauptamtliche, etwa 70 Ehrenamtliche mit Aufwandsentschädigung, die etwas verbindlichere Aufgaben wahrnehmen, und etwa 120 Ehrenamtliche ohne Aufwandsentschädigung. Unter Letzteren seien aber viele dabei, die nur ein- oder zweimal zum »Reinschnuppern« in der Unterkunft geholfen hätten.
In der Notübernachtung Lehrter Straße gibt es außerdem den Ehrenamts-Koordinator Daniel Pittner. Er ist dafür zuständig, sich um die Ehrenamtlichen zu kümmern und ihnen gerade zum Einstieg Begleitung anzubieten. »Es geht auch um Wertschätzung und Anerkennung für die Ehrenamtlichen«, sagt er zu »nd«. Auch in Krisensituationen ist Pittner ansprechbar.
Auf politischer Ebene seien Angestellte der Stadtmission in verschiedenen Gremien beteiligt, sagt Pressesprecherin Barbara Breuer zu »nd«. Politische Mitsprache von Ehrenamtlichen könne helfen, auch andere Sichtweisen zu bekommen. Das Kältehilfe-Angebot wird vom Senat zwar finanziert, aber aus Sicht von Breuer nicht ausreichend: »In den Projektgeldern sind Sozialberatung und medizinische Hilfen nicht vorgesehen. Die finanzieren wir durch Spenden.« Vor allem sei es ein Problem, dass die finanziellen Mittel, verglichen mit dem Vorjahr, nicht erhöht worden seien, obwohl auch die Stadtmission mit Preissteigerungen, etwa einer Vervierfachung der Wäschereikosten, zu kämpfen habe. Deshalb ist auch die Stadtmission auf Spenden angewiesen, um das Angebot zu stemmen.
In der Notunterkunft diskutierten die Mitarbeiter*innen oft über die Politik des Senats und beschwerten sich vor allem über die drohenden Kürzungen im sozialen Bereich. »Das fühlt sich für viele dann schon so an, als würde auf dem Rücken der Ehrenamtlichen gespart«, berichtet Pittner – und zulasten der obdachlosen Menschen, die von den Ehrenamtlichen versorgt werden. »Viele hier sind politisch engagiert und reagieren sehr empfindlich auf mögliche Kürzungen.« Letztlich sei es aber gerade in der Obdachlosenhilfe schwierig, politischen Druck aufzubauen. »Man macht es ja trotzdem«, sagt Pittner. Weder Ehrenamtliche noch Hauptamtliche wollen die Menschen, die sie versorgen, im Stich lassen.
Ein Ehrenamtlicher in der Notübernachtung Lehrter Straße ist der 44-jährige Kranfahrer Steve Eulenstein. Seit acht Jahren betätigt er sich bei der Kältehilfe. Er sei selbst mal für anderthalb Jahre obdachlos gewesen, er kenne jetzige Gäste noch aus der Zeit, in der er selbst hier Unterschlupf gefunden habe. »Es geht nicht, dass sie in diesem Sektor Gelder kürzen. Das kann niemand mehr auffangen«, sagt Eulenstein zu »nd«. Seiner Meinung nach müssten die Politiker*innen, die in Berlin die Entscheidungen treffen, selbst einmal in der Kältehilfe mitarbeiten, um zu sehen, »wie es hier läuft«.
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