- Politik
- Gemeinschaftsprojekt Karlahof
Geben und bekommen, ohne zu verrechnen
Auf dem Karlahof wird ein Leben jenseits der Tauschlogik erprobt
Wie würdet ihr den Karlahof beschreiben?
Sonja: Es ist ein Gemeinschaftsprojekt, bei dem wir in kollektiver Subsistenz tauschlogikfreies Wirtschaften und ein möglichst gewaltfreies soziales Miteinander probieren. Die Menschen, die hier leben, bespielen den Hof zusammen mit Leuten, die nicht hier wohnen.
Carmen: Wir haben einen großen Gemüsegarten, einige Ackerbau- und auch Naturschutzflächen. Außerdem haben wir mehrere Werkstätten wie Tischlerei, Schlosserei, Bäckerei und Verarbeitungsküche, eine Streuobstwiese und eine Imkerei. Insgesamt legen wir großen Wert auf die Gestaltung unserer sozialen Prozesse und haben einmal in der Woche ein gemeinsames emotionales Plenum. Das ist neben dem Orga-Plenum ein wichtiger Ort, um sich auszutauschen.
Seit wann gibt es den Karlahof?
Carmen: Der Karlahof an sich wurde in den Nullerjahren von einer Stiftung gekauft. Sie ist die Eigentümerin und verleiht den Hof an Gruppen. Und wir sind eine Gruppe, die sich seit 2013 auf dem Hof tummelt und ihn bespielt.
Sonja und Carmen leben auf dem Karlahof, einem Gemeinschaftsprojekt in der Uckermark auf einem ehemaligen LPG-Gelände. Sie sprechen im Namen des Kollektivs und freuen sich über Post an: karlahof@gegenseitig.de
Wenn ihr von Subsistenz sprecht, inwiefern könnt ihr euch selbst versorgen mit dem, was ihr auf dem Hof anbaut oder produziert?
Sonja: Ich würde Wert darauf legen, dass wir eine kollektive Subsistenz haben. Die Idee ist nicht, dass wir als einzelner Hof uns autark bewegen, sondern dass wir in einem größeren Netzwerk möglichst viel in Subsistenz wirtschaften wollen. Hier auf dem Hof können wir uns zu 90 Prozent selbst mit Gemüse versorgen. Und auch mit Getreide und Brot. Unsere jährliche Brennholz-Aktion wird getragen von vielen Menschen aus unserem Netzwerk, die ihre Zeit und Energie in das gemeinsame Holzmachen stecken, damit es auf dem Karlahof auch im Winter schön warm bleibt. Viele andere Dinge können wir natürlich nicht selbst herstellen.
Carmen: Grundsätzlich existieren mehrere Begriffe für das, was wir hier tun. Die Vorgängergruppe hat angefangen mit nicht-kommerzieller Landwirtschaft und wir haben das übernommen und nennen es kollektive Subsistenz, tauschlogikfreies Wirtschaften oder solidarische Gegenseitigkeit. Ein weiterer Begriff, mit dem wir die Tätigkeiten beschreiben, ist verrechnungsfreies Geben und Bekommen. Es geht darum, nicht verrechnend in Beziehung zu treten, sondern im Vertrauen zueinander, dass ich was reingebe und auch genug bekomme und wir gemeinsam dadurch unser Leben selbstorganisiert gestalten und füreinander sorgen.
Ich denke, dass die meisten Menschen dieses Aufrechnen stark verinnerlicht haben. Wie gut gelingt es euch, da einen Schritt herauszutreten?
Sonja: Ich glaube, wir müssen uns immer wieder selbst daran erinnern, dass wir nicht aufrechnen wollen. Weil das schon sehr tief in uns drinsteckt. Je mehr persönliche und dauerhafte Beziehungen im Netzwerk entstehen und je mehr ich mich mit den anderen in dem Ausprobieren verbunden fühle, wie eine andere Welt möglich ist, desto weniger mache ich mit dem permanenten Aufrechnen weiter. Ich glaube, das ist ein Prozess, sich zu fragen: Welche Kapazitäten habe ich gerade an Zeit, Geld oder materiellen Ressourcen, die ich einfach geben kann, um eine Idee damit zu stärken, unabhängig davon, ob ich direkt etwas dafür zurückbekomme? Oder sich auch zu trauen, etwas zu nehmen, ohne etwas zu geben.
Carmen: Man sagt immer Geben und Nehmen, aber beides hat was von: Ich bin der aktive Part darin. Vielleicht ist Geben und Bekommen das passendere Begriffspaar? Ich bekomme Unterstützung, wenn es mir schlecht geht, ohne etwas dafür tun zu müssen. Oder wir bekommen die Wärme, die der Wald mit Holzproduktion geleistet hat.
Müssen wir nicht auch Dinge aktiv zurücknehmen, die uns im Kapitalismus genommen werden?
Carmen: Ja, vielleicht müssen wir uns zurücknehmen im Sinne von zurückerobern, wie wir uns als Menschen besser organisieren können, als es uns der Kapitalismus anbietet. Im Grunde müssen wir uns fragen, inwieweit die sozialen Beziehungen funktionieren, die wir durch Kapitalismus produzieren. Sie sind ja oft durch Nichtwissen und Anonymität gekennzeichnet. Ich weiß nicht, unter welchen Ausbeutungsverhältnissen die Dinge im Supermarkt hergestellt wurden. Ich kenne die Verkäuferin nicht, ich gebe das Geld, nehme meine Ware, und tschüss. Das hat die Qualität, dass ich mich nicht um meine sozialen Belange kümmern muss und mich, solange ich genügend Geld habe, scheinbar unabhängig von anderen versorgen kann. Aber wir haben auch ein wahnsinniges Problem damit. Menschen fühlen sich nirgends zugehörig. Es gibt kein soziales Miteinander durch diese anonymen Verrechnungsbeziehungen. Und deswegen versuchen wir als Alternative, wie wir uns wieder in Versorgungsnetzwerken verbünden können, mit dem Menschenbild, dass wir uns erst mal vertrauen.
Ihr produziert ganz tolle Aufstriche, die ihr dann auch einfach hergebt. Inwieweit lässt sich mit diesen Aufstrichen die Idee der Tauschlogikfreiheit in die Welt tragen?
Sonja: Der Vorteil an den Aufstrichen ist, dass sie haltbar sind und dass sie ein Etikett haben, auf das man seine weltverändernden Botschaften schreiben kann. Deshalb können sie in einem Laden oder einem Umsonstschrank stehen und Menschen erreichen, die wir gar nicht kennen.
Carmen: Wie so Ideenhäppchen. Sie verändern nicht die Welt, aber geben einen kleinen Ausblick, dass wir es auch anders machen könnten. Und auf den Etiketten gibt es die Rubrik »Was wir gerade suchen« und eine Kontaktadresse, falls Menschen uns etwas spenden wollen.
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Sind Spender*innen eure einzige Geldquelle?
Sonja: Ein Großteil sind Spenden und das, was wir als Personen, die hier auf dem Hof leben, außerhalb mit Lohnarbeit verdienen. Manchmal bekommen wir auch Fördergelder für Workshops oder verschiedene Maßnahmen, wie etwa das Anlegen von Naturschutzhecken auf unseren Feldern.
Carmen: Für größere Baustellen nehmen wir auch Privatdarlehen auf, von Leuten, die gerade Geld rumliegen haben und uns damit unterstützen wollen. Aktuell suchen wir Direktkredite für eine Dachsanierung, die ansteht.
Wie organisiert ihr zum Beispiel die Krankenversicherung für Leute, die nicht außerhalb einer Lohnarbeit nachgehen?
Carmen: Alle, die hier auf dem Hof wohnen, sind Teil der gemeinsamen Basisökonomie. Wir finanzieren gemeinsam die Gesamtausgaben des Hofs, und die bestehen aus drei Posten: sämtliche Betriebskosten, die Hofkasse, über die wir alle zugekauften Lebensmitteln finanzieren, und Krankenkassenbeiträge. Wenn Leute nicht über ihre Lohnarbeit sowieso sozialversichert sind, dann geht ihr individueller Krankenkassenbeitrag auch als Ausgabe in die gemeinsame Basisökonomie. Ein-, zweimal im Jahr machen wir Bieterunden, und alle, die hier wohnen, beteiligen sich mit einem Betrag, den sie dazu beisteuern können. Das klappt ziemlich gut. Schwierig ist es immer wieder, wenn wir große Summen für Investitionen brauchen, um die Gebäude hier zu erhalten oder größere Maschinen anzuschaffen.
Habt ihr den Eindruck, dass ihr über die Jahre mehr Projekte für das Netzwerk gewonnen habt und dass sich die Idee weiterverbreitet?
Sonja: Ich würde schon sagen, dass wir inzwischen mehr vernetzt sind mit anderen Projekten oder auch Einzelpersonen, dass es aber immer noch eine eher lose Vernetzung ist, weil Brandenburg so ein großes Flächenland ist. Ich glaube, es sind vor allem die Distanzen, die es schwierig machen, im Vergleich zum Wendland etwa.
Carmen: Schön wär’s deswegen, wenn sich in unserem Umfeld noch ein paar Projekte ansiedeln würden.
Gibt es denn noch Flächen dafür?
Carmen: Ganz konkret bei uns gibt es ackerbauliche Flächen. Falls es Leute gibt, die zum Beispiel Ideen in Richtung Agroforst entwickeln wollen oder auch andere Ideen, die zum Karlahof passen könnten: Meldet euch gerne!
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