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Die Rückkehr der Ost-Platte

Ein Projekt der Technischen Universität Cottbus recyclet DDR-Plattenbauten und spart damit nicht nur Kosten, sondern auch CO2

Betonwände und -decken aus entkernten Plattenbauten können beim Hausneubau wiederverwertet werden.
Betonwände und -decken aus entkernten Plattenbauten können beim Hausneubau wiederverwertet werden.

Über den Plattenbau gibt es starke Meinungen. Wie lautet Ihre, Angelika Mettke?

Ich habe 20 Jahre lang im Stadtteil Sachsendorf in Cottbus in einer Platte gewohnt und kenne die Vorteile, aber auch Schwächen von Plattenbauten. Aus bautechnischer Sicht besteht der Vorteil darin, dass diese Bauten in Montagebauweise mit standardisierten Betonelementen errichtet wurden und demontierbar sind. Durch eine solche Nachnutzung der Platte bleibt die Wertschöpfung erhalten und damit auch die in den Platten gebundene graue Energie.

Was ist die graue Energie?

Das ist die für Herstellung notwendige Energie. Also alles, was an Energie gebraucht wird, damit die Produktion läuft: die Energie für die Materialien, die im Beton verarbeitet werden einschließlich der Transporte und der Zwischenlagerungen. Wann immer vom Klimakiller Beton gesprochen wird, geht es um den Zement: Weltweit ist die Zementproduktion für circa acht Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich. Die Zementindustrie unternimmt insbesondere in den letzten Jahren zwar wahnsinnig große Anstrengungen, die CO2-Bilanz zu verbessern. Aber der Prozess der Zementproduktion ist energieintensiv und verursacht CO2-Emissionen.

Interview

Die Bauingenieurin und Hochschullehrerin Angelika Mettke wurde für ihre Forschung und praktische Umsetzung von Baustoffrecycling 2016 mit dem Deutschen Umweltpreis ausgezeichnet.

Sie sind Professorin an den Brandenburgischen Technischen Universität und leiten das Arbeitsgebiet Bauliches Recycling sowie weitere Forschungsprojekte. Welchen Ansatz verfolgt Ihre Forschung?

Beton zerfällt weder nach 50 noch nach 100 Jahren. Mit hoher Wahrscheinlichkeit auch nicht nach 150 Jahren. Das Pantheon in Rom steht schon über 2000 Jahre. Beton hat eine sehr hohe Lebensdauer und ist recyclingfähig. Damit hat Beton einen wahnsinnigen Vorteil gegenüber anderen Baustoffen, zum Beispiel gegenüber Holz. Es gibt so viele Bauwerke, in denen Beton nicht substituiert werden kann: zum Beispiel Brücken, Kläranlagen, Windräder oder jedes Wohnhaus. Wir kommen ohne Beton nicht aus. Wir werden nicht alle Bauaufgaben durch Recyclingbeton oder mit zurückgewonnenen, wiederverwendungsfähigen Betonfertigteilen aus dem Rückbau bewerkstelligen. Aber wir können das Potenzial, das vorhanden ist, nutzen und müssen es sogar, denn Europa ist auf dem Weg, sich zur Recycling-Gesellschaft zu entwickeln.

Wann entstand Ihre Idee, Beton zu recyclen?

Ich habe mich schon zu DDR-Zeiten mit dem Thema Recycling von Beton auseinandergesetzt, als ich den Braunkohle-Tagebau beobachtet habe. Für verschiedene Nutzungszwecke wurden Tagesanlagen gebaut wie eingeschossige Mehrzweckbauten für Werkstätten, Büros und Waschkauen, wo die Arbeiter sich umziehen konnten. All diese Bauten wurden in Fertigteilbauweise errichtet. Nach circa zehn Jahren mussten sie beseitigt werden. An anderer Stelle wurden diese Bauten aber schon wieder gebraucht. Was für eine Ressourcenverschwendung dieser dauerhaft ausgelegten stabilen Konstruktionen! Ich wollte herausfinden, ob diese Gebäude rückbaufähig sind, obwohl sie so nicht gebaut wurden. Also habe ich meine ersten Versuche gestartet.

War die DDR vielleicht sogar offener für diese Art der Recycling-Idee als die BRD?

Aufgrund der Mangelwirtschaft in der DDR lag es nahe, dass solchen Untersuchungen nichts im Wege stand. Solche stabilen Konstruktionen schnell zu zerstören angesichts des Baustoffmangels, war nicht nachhaltig. Nachdem ich in den 80er Jahren die ersten Bauten untersucht und festgestellt hatte, dass diese Gebäudetypen rückbaufähig sind und die verbauten Betonelemente über eine hohe Qualität verfügen, wurde das erste Bauvorhaben in Lauchhammer mit gebrauchten Betonelementen errichtet. Mit der Wiedervereinigung sind viele Industriezweige in der ehemaligen DDR weggebrochen und etliche Arbeitsplätze sind verloren gegangen. Viele Menschen haben aufgrund von Förderungen Eigenheime auf dem Land gebaut oder sind nach Westdeutschland gezogen, um Arbeit zu finden. Gleichzeitig ging die Geburtenrate zurück. Somit stellte sich in dynamischer Geschwindigkeit ein hoher Wohnungsleerstand besonders in Plattenbauten ein.

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Und wie wurde die Idee, die Ost-Platte zu recyclen, in der neuen BRD aufgenommen?

Ich habe viele Zeitungsartikel aus dieser Zeit gesammelt und ausgeschnitten: Es gab wirklich schlimme Überschriften zur Platte. So hieß es zum Beispiel »verwesende Schlafstätten«. Der Tenor lautete: Reißen wir alles ab! Diese Uniformität der Plattenbauwohnungen ist nicht mehr zeitgemäß. Immerhin noch schnell genug wurde erkannt, dass der Abriss nicht die Lösung ist, denn es konnten nicht quantitativ adäquat neue Wohnungen gebaut werden. Dennoch fand der Abriss von kompletten Plattenbauten statt, so wie er heute immer noch zu beobachten ist. Im Mittelpunkt stand für mich immer die Frage: Wie kann der Plattenbaubestand so weit verändert werden, dass sich bei den Bewohnern eine hohe Wohnzufriedenheit einstellt, ohne dass wahnsinnige Mehrkosten entstehen.

Was genau heißt denn das Recyclen von Beton?

Das Recyceln von Beton ist mit einer Aufbereitung von Bauschutt verbunden. Das heißt, aus Bauabfällen werden wieder Rohstoffe erzeugt. Bei der Wiederverwendung von Bauteilen, die schon einmal verbaut worden sind, werden nicht nur Primärressourcen geschont, sondern auch Energieverbräuche eingespart. Abgesehen von der Herstellungsenergie steckt auch menschliche Energie in Form von Gedankengut und Berechnungen in den Betonelementen. Nachweislich ist, dass durch den Erhalt der Gestalt der bei der Demontage zurückgewonnenen Betonelemente Energie in Größenordnungen eingespart wird im Vergleich zur Neuproduktion. Nur die Energie für die Demontage ist erforderlich. Das Ergebnis kann sich sehen lassen, denn 95 bis 98 Prozent an CO2-Emissionen können gegenüber einem neuen Betonelement einspart werden.

Gebrauchte Plattenbauteile werden zu einem neuen Wohnhaus zusammengefügt.
Gebrauchte Plattenbauteile werden zu einem neuen Wohnhaus zusammengefügt.

Das ist wahnsinnig viel.

Das ist eine Größenordnung, die für sich spricht. Das galt vor 20 Jahren genauso, wie es heute der Fall ist. Ich kann ein zunehmendes Bewusstsein aus Bauherrensicht gerade in jüngster Zeit feststellen und so erhoffe ich mir, dass der Gedanke der Wiederverwendung von Bauteilen weiter greift.

Sind alle recycleten Platten ehemalige DDR-Bauten?

Die (Wieder-)Neubauvorhaben, die ich begleitet habe, ja. Ich war von Nord bis Süd, Ost und West in der gesamten DDR unterwegs, von Rügen bis nach Zittau.

Was sind Ihre nächsten Projekte?

In Kolkwitz (Anmerkung der Redaktion: bei Cottbus) wird das Vereinsheim eines Sportvereins erweitert – mit Kassenhäuschen, Carport und einem zweigeschossigen Anbau an den bestehenden Neubau von 2009. Die gebrauchten Betonelemente stammen aus einem Plattenbau in Großräschen und befinden sich derzeit auf dem Zwischenlager-Bauhof in Kolkwitz. Am Standort in Hohenmölsen in Sachsen-Anhalt warten 170 gebrauchte und zwischengelagerte Betonelemente auf ihren Einsatz für den Bau eines zweigeschossigen Jugendclubs.

Was wären erste Schritte, damit Betonrecycling flächendeckend zum Einsatz kommt?

Im ersten Schritt ist es wichtig, eine Rezertifizierung oder eine Zulassung im Einzelfall zu erwirken. Im Land Brandenburg gibt es seit 2012 ein Merkblatt zur Wiederverwendung von Fertigteilen aus Beton, Stahl- und Spannbeton. Eine Zulassung im Einzelfall bedeutet vor allem Zeit- und auch Kostenaufwand. Das sind Hemmnisse. Offen sind zudem Haftungs- und Gewährleistungsfragen.

Also ist das Bauen mit recycleten Bauteilen nicht so attraktiv?

Die Wiederverwendung von gebrauchten Bauteilen wird an Relevanz gewinnen, weil zukünftig Banken nur noch dann Kredite gewähren, wenn nachgewiesen wird, dass das Bauvorhaben nachhaltig geplant und gebaut werden soll. Mir war es immer wichtig, Forschung nicht nur wegen der Forschung zu betreiben, sondern im volkswirtschaftlichen Interesse zu handeln und Potenziale, die zum Klimaschutz beitragen, zu nutzen. Wir haben nur eine Erde und sie ist Lebensraum für Menschen, Flora und Fauna. Deshalb ist ihr Schutz von immenser Bedeutung.

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