Warnsystem würde heute Tausende Menschenleben retten

Der Tsunami im Indischen Ozean vor 20 Jahren machte die Notwendigkeit besserer Vorsorge deutlich

Zerstörungen nach dem Tsunami 2004 in Hambantota im Süden Sri Lankas
Zerstörungen nach dem Tsunami 2004 in Hambantota im Süden Sri Lankas

Indonesien liegt am Pazifischen Feuerring. Hier bebt die Erde in regelmäßigen Abständen, aktive Vulkane spucken Asche und Lava. Am 26. Dezember 2004, um 7:59 Uhr Ortszeit, beginnt jedoch eine Naturkatastrophe, die eine auch für dortige Verhältnisse unvorstellbare Verwüstung mit sich bringen und weit über die Grenzen des südostasiatischen Inselstaates reichen sollte: Vor Sumatra bebt die Erde, es ist das drittstärkste Beben, das jemals registriert wurde; die gewaltige Erschütterung erreicht Stärke 9,3 auf der nach oben offenen Richterskala. Der Untergrund unter dem Meer wurde über mehr als 1000 Kilometer hinweg sprunghaft bewegt.

Der Tsunami im Indischen Ozean, der folgt, kommt in mehreren Flutwellen, manche türmen sich bis zu 30 Meter auf. Bei den Überflutung sterben 230 000 Menschen, die Küstengebiete von 14 Ländern werden verwüstet. Neben Indonesien gibt es vor allem in Thailand, Sri Lanka und Indien Tausende Opfer zu beklagen. In Indonesien sterben 167 000 Menschen, in Sri Lanka wird ein ganzer Zug von den Fluten überrollt, mehr als 1000 Menschen kommen allein hier ums Leben. Die Zahlen schockieren, erzählen jedoch nichts über die Einzelschicksale: die Mutter, der die Wucht des Wassers das Kind aus den Armen riss, der kleine Junge, der drei Wochen alleine umherirrte auf der Suche nach seiner Familie oder die Brüder, die ihre Eltern verloren, sich gegenseitig jedoch wie durch ein Wunder wiederfanden. Aber die Katastrophe löst auch eine beispiellose Welle der Hilfsbereitschaft aus, woran sich auch das »Neue Deutschland« beteiligte.

Die Katastrophe vor 20 Jahren habe »tiefe Wunden« hinterlassen, sagt ein Forscher vom Bandung Institute of Technology in Indonesien, der seinen Namen als Zulfakriza Z. angibt. Sie habe »aber auch die grundlegende Notwendigkeit der Katastrophenvorsorge« verdeutlicht. Auch er betont, wie anfällig Indonesien aufgrund seiner Lage in einer tektonisch aktiven Zone ist. Vier Hauptplatten – die indo-australische, die eurasische, die pazifische und die philippinische – befinden sich hier in Konvergenzbewegung.

Das hohe Katastrophenrisiko Indonesiens hat seit dem Tsunami Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus der ganzen Welt angezogen. Von 2005 bis 2024 hat Google Scholar etwa 1000 Studien zu Erdbeben und Tsunamis in Indonesien erfasst. Diese Arbeiten hätten das Verständnis der Erdbebenursachen und -trends verbessert, erklärt der indonesische Experte.

Die Vorwarnsysteme haben seit dem verhängnisvollen zweiten Weihnachtsfeiertag vor 20 Jahren große Fortschritte gemacht.

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Aber auch die Vorwarnsysteme haben seit dem verhängnisvollen zweiten Weihnachtsfeiertag vor 20 Jahren große Fortschritte gemacht. Forschende sind davon überzeugt, dass bei einer ähnlichen Katastrophe heutzutage deutlich mehr Menschen rechtzeitig gewarnt und Tausende Menschenleben somit gerettet werden könnten.

2004 war dies jedoch noch völlig anders: Die Britin Rachel Hearson, die gemeinsam mit ihrem Mann den Tsunami auf der thailändischen Insel Koh Phi Phi überlebte und ihre Erfahrungen in einer Dokumentaion bei »National Geographic« teilte, berichtete im Interview, dass niemand auch nur geahnt habe, was für ein Grauen da auf sie zurollte. »Wir hatten gerade das Hotel verlassen«, erzählte sie. Viele hätten sich auf den Weg zu einem hochgelegenen Aussichtspunkt der Insel gemacht. In der Nähe des Marktplatzes hätten sie dann plötzlich Leute laufen sehen und in Panik schreien hören. »Durch die Palmen konnten wir das Wasser nicht sehen, aber plötzlich tauchte es auf und stieg sehr, sehr schnell an.« Als die Welle sie erfasste, sei es »wie in einer Waschmaschine« gewesen. Hearson überlebte wie auch ihr Mann, geschätzte 5000 Menschen verloren in Thailand dagegen ihr Leben.

Inzwischen gibt es weltweite, von der Unesco koordinierte Tsunami-Frühwarnprogramme, die den Pazifik, den Indischen Ozean, das Mittelmeer, die Karibik und den Nordostatlantik umfassen. »Dieses System integriert schnelle Erkennungstechnologien, seismische und Meeresspiegelüberwachung sowie den Datenaustausch in Echtzeit, um sicherzustellen, dass Warnungen über Radio, Lautsprecher oder SMS die Küstengemeinden so schnell wie möglich erreichen«, heißt es von der UN-Organisation. Dadurch habe man die Reaktionsfähigkeit der Küstenstaaten gestärkt und die Reaktionszeit stellenweise von mehreren zehn Minuten auf nur noch wenige Minuten verkürzt.

Zudem beauftragte die deutsche Regierung im Januar 2005 ein Konsortium aus neun Wissenschaftseinrichtungen unter Federführung des Geoforschungszentrums (GFZ) Potsdam mit der Entwicklung eines deutsch-indonesischen Tsunami-Frühwarnsystems, kurz: Gitews. Herzstück des 2008 in Betrieb genommenen Systems ist eine eigens entwickelte Software, die Daten aus mittlerweile mehreren Hundert Erdbeben-Messstationen in der Region analysiert und Beben erkennt, die Tsunamis auslösen könnten. Innerhalb weniger Minuten können die Behörden informiert werden.

Gitews hat bis heute mehrere Tausend Beben analysiert und vor gut einem Dutzend Tsunamis erfolgreich gewarnt. Es gab allerdings auch zwei Flutwellen, vor denen nicht rechtzeitig gewarnt werden konnte. Dennoch sei die Entwicklung des Frühwarnsystems »auch hinsichtlich des Wissens- und Technologietransfers ein großer Erfolg«, sagt Angelo Strollo, Leiter des globalen Erdbebenmonitoring-Programms Geofon am GFZ. »Der Erfolg misst sich für uns insbesondere auch daran, dass die indonesischen Partner das System seit 2011 unabhängig betreiben und weiterentwickeln.«

Doch nicht nur technische Warnsysteme sind essenziell, sondern auch das Wissen, mit welchem natürlichen Phänomen sich ein Tsunami ankündigt. Ureinwohner zahlreicher Inseln haben dieses Wissen seit langem und verlassen die Küsten in höher liegende Gebiete, wenn sie ein länger anhaltendes Beben spüren. Und wenn sich die Wellen der Küste nähern, wird das Meer aufgrund des dadurch verursachten Vakuumeffekts zurückgezogen. Zieht sich das Wasser zurück, so ist dies eine Warnung der Natur, dass ein Tsunami naht. Danach dauert es nur noch wenige Sekunden oder Minuten, bis die erste Welle an Land eintrifft.

Überlebende des Tsunamis im Indischen Ozean 2004 berichteten, wie das Wasser entlang der indonesischen und thailändischen Küsten teils um bis zu 2,5 Kilometer zurückgegangen sei. Da jedoch nur wenige wussten, was dies bedeutete, strömten viele zum Strand, um das Phänomen zu beobachten und gestrandete Fische einzusammeln – und waren dem Tsunami in der Folge hilflos ausgeliefert.

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