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Union: Irre normal
Welche Wirtschaftskompetenz besitzt eigentlich die Union, fragt Alex Demirović
Die CDU gilt als die Partei mit Wirtschaftskompetenz. Die CSU muss dabei nach den Erfahrungen mit drei Verkehrsministern Andy Scheuer, Alexander Dobrindt und Ramsauer nicht berücksichtigt werden. Hunderte Millionen verschleudert, die Bahnerhaltung verschlampt, die Digitalisierung vertan. Aktuell zielt die CSU darauf ab, einen der Lobbyisten des Agrobusiness, der maßgeblich die Bauernproteste im vergangenen Frühjahr organisiert hat, zum nächsten Landwirtschaftsminister zu machen. Er ist der Mann, der weitermachen soll mit Glyphosat, Massentierhaltung und Nitrat-Einleitungen in die Böden, mit der Verteuerung der Agrarflächen und Dieselsubventionen.
Alex Demirović stammt aus einer jugoslawisch-deutschen Familie; der Vater wurde von den Nazis als Zwangsarbeiter verschleppt. Wegen eines politisch motivierten Vetos des hessischen Wissenschaftsministeriums durfte Demirović in Frankfurt nicht Professor werden. Seitdem bewegt er sich an der Schnittstelle von Theorie und Politik. Jeden vierten Montag im Monat streitet er im »nd« um die Wirklichkeit.
Auch im Fall der CDU ist die Wirtschaftskompetenz zweifelhaft. Denn wir erinnern uns noch an Jens Spahn, der, wie kolportiert wurde, zwar gern mit Julian Reichelt bei BILD herumsaß, aber zum Amt als Gesundheitsminister weitgehend unfähig war, so dass irgendwann Kanzlerin Merkel die Aufgabe der Pandemiebewältigung an Helge Braun, ihren kompetenten Kanzleramtsminister, übertrug. Spahn bleibt uns erhalten, Braun ist leider weg. Immer wieder kommt es zu falscher Rekrutierung des demokratischen Führungspersonals.
Die Wirtschaft in Deutschland lahmt, von Rezession, gar von Deindustrialisierung ist die Rede. Wichtige Unternehmen drohen damit, Arbeiter*innen zu entlassen, Betriebe zu schließen oder ins Ausland zu verlagern. Die angekündigten Zollerhöhungen in den USA könnte den Export in den wichtigen Handelspartner erheblich erschweren. Die Energiepreise gelten als zu hoch. Vergessen ist irgendwie die Ursache dafür: der Eroberungsfeldzug Putins in der Ukraine. Der Umstand, dass aufgrund von internationalen Boykott-Beschlüssen Russland als der billige Lieferant fossiler Energie ausfiel, zog eine Entscheidung nach sich, auf welche die USA schon länger gedrängt hatten: dass nämlich Deutschland heute in großem Stil noch umweltschädlichere fossile Energie aus den USA importiert. Einer der Gründe dafür war und ist, dass die großen Parteien SPD und CDU den Umstieg auf erneuerbare Energieträger über viele Jahre hintertrieben und blockierten.
Wirtschaftspolitische Vokabeln der 1970er Jahre werden wiederholt: Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit, Abbau von Bürokratie und Unternehmenssteuern
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Nun wird den Wähler*innen von der CDU ein Ausweg geboten, von dem so getan wird, als sei er irgendwie modern. Wirtschaftspolitische Vokabeln, die seit den 1970er Jahren gängig sind, werden wiederholt: Der Wirtschaftsstandort müsse gestärkt werden, es brauche Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit, weniger Bürokratie, attraktive Steuern für Unternehmen, Entlastung für die mittleren und kleinen Einkommen, ein Ende der Übererfüllung europäischer Vorgaben, ein Belastungsmoratorium. Es werde eine neue Mentalität der Veränderungsbereitschaft, der Erneuerung benötigt, die der vorhandenen Leistungsfähigkeit neue Impulse gibt.
Friedrich Merz und seine CDU blockieren die notwendigen Veränderungen. Merz war gegen die Wärmepumpe. Wie es der Zufall will, gab es die gemeinsame Kampagne mit der Bild-Zeitung gegen den Einbau von Wärmepumpen. Das Ziel der Bundesregierung zum Einbau von 500 000 Wärmepumpen wurde nicht zuletzt deswegen nicht erreicht. Dafür wurden 2023 noch einmal 800 000 Gasheizungen neu eingebaut, mit negativen Folgen für die Nutzer, die die ansteigenden CO2-Emissionsgebühren zahlen werden müssen, und mit negativen Folgen für die Umwelt. Mittlerweile hat Merz sein entschiedenes Verdikt zurückgenommen und bedauert die zu geringe Zahl an eingebauten Wärmepumpen. Merz ist auch gegen eine Umsetzung des Verbots von mit fossiler Energie angetriebenen Autos, also gegen ein Verbrenner-Aus, wie es die EU vorsieht. Wenn von der CDU Verlässlichkeit der Politik gefordert wird, damit die Wirtschaft vor Investitionsentscheidungen weiß, was sie zu erwarten hat, so müssen solche wankelmütigen politischen Konzeptionen eher zu Irritation führen. Denn gerade Erwartungssicherheit wird damit sabotiert. Zukunftsfähig sind sie allemal nicht.
Es ist ein bekanntes politisches Argumentationsmuster, das von Merz und CDU verfolgt wird: Das Wirtschaftswachstum wird gegen die ökologische Erneuerung ausgespielt. Nach wie vor wird so getan, als fänden die ökologischen Krisen in einer anderen Welt statt, die mit der Wirtschaft nichts zu tun haben. Als sei die Ökologie eine Art Luxus, den man sich leisten können muss. Erst soll die Wirtschaft aus der Krise geführt werden, wieder wachsen, erst müssen die Gewinne sprudeln, Arbeitsplätze und neue Nachfrage entstehen, dann – am Ende der Prozesse – kann auch die Umwelt Berücksichtigung finden. Doch dazu kommt es dann nicht. In den vergangenen Jahrzehnten gab es immer wieder Gründe, die notwendigen, ökologisch nachhaltigen Maßnahmen aufzuschieben. Nachdem diese nun Gesetzeskraft erlangt haben, wird von Entbürokratisierung gesprochen.
Das alles spricht eben nicht für wirtschaftliche Kompetenz, sondern für ein mangelndes Verständnis der Zusammenhänge und eine fehlende Aufmerksamkeit für globale Entwicklungen. Es wird nicht zur Kenntnis genommen, dass die planetarischen Gewissheiten, die die Menschen in den letzten 15 000 Jahren unterstellen konnten, erodieren. Man kann das alltäglich den Nachrichten entnehmen: Waldbrände, Trockenheit, Desertifikation, Überflutungen, Erdrutsche. Langfristige klimatische Regelmäßigkeiten geraten durcheinander. So viele Menschen sind von Verlusten betroffen. Die vielen Einzelereignisse bilden Tendenzen, auf welche die Versicherungsunternehmen längst reagieren – Risiken in bestimmten Regionen werden nicht mehr abgesichert. Das amerikanische Militär beklagt, dass es nicht mehr angemessen einsatzfähig ist.
Wenn man den eigenen Augen nicht traut, weil man zu viel Ideologie im Kopf hat, könnte man die Ergebnisse der Forschung zur Kenntnis nehmen. Etwa die Hälfte des Weltsozialprodukts sei von Ökosystemleistungen direkt abhängig, hielt der Weltbiodiversitätsrats jüngst in seinem in Namibia vorgestellten Nexus-Bericht fest. In den Medien wird gern auf die Bestäubung von Pflanzen durch Insekten hingewiesen. Müsste dies von Hand geleistet werden, würde es die Lebensmittelproduktion erheblich verteuern oder verunmöglichen. Dennoch darf weiter Glyphosat versprüht werden. Aber die Probleme reichen noch sehr viel weiter. In Russland geht der Verlust an Permafrostböden weiter und beschleunigt die Erderwärmung. In den USA oder in China wird durch intensive Landwirtschaft so viel Grundwasser genutzt, dass die Städte doppelt bedroht sind: Sie sinken aufgrund des Gewichts der Gebäude und werden gleichzeitig vom steigenden Meeresspiegel bedroht.
Es ist irre, so zu tun, als ginge alles normal weiter, als seien die sich häufenden Umweltkatastrophen nur kleine Ereignisse, die sich wie nebenher mit den üblichen Mitteln staatlicher Hilfe bewältigen ließen. Das ist nicht der Fall: Viele im Ahrtal warten immer noch auf Unterstützung. Und wenn zweimal, dreimal die Wohnung, die Einrichtung oder das Auto weggeschwemmt oder die Straßen geflutet wurden, wenn man wochen- und monatelang aufräumen muss – woher die Kraft nehmen, noch ein weiteres Mal anzufangen? Mit welcher Perspektive? Diesen Herausforderungen kann das übliche Spiel von Regierung und Opposition nicht Rechnung tragen.
Die Leute sollten es sich nicht gefallen lassen, so populistisch an der Nase herumgeführt zu werden, sondern langfristige und verantwortliche Transformationen einfordern. Es ist kein Ökoterrorismus, wenn einfach mal vernünftige Wege beschritten werden.
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