Lobbyismus mit Heiligenschein

Nicht nur, aber auch zu Weihnachten offenbart sich der immense Einfluss, den die großen Kirchen in Deutschland auf die Politik haben

  • Horsta Krum
  • Lesedauer: 5 Min.
»Interreligiöse« Christvesper in der Marienkirche im Zentrum Berlins, die häufig auch von Größen der Bundespolitik besucht wird.
»Interreligiöse« Christvesper in der Marienkirche im Zentrum Berlins, die häufig auch von Größen der Bundespolitik besucht wird.

»Unser Erfolg beeindruckt manchmal auch die Bankenlobby und die Atomlobby.« So zitiert Carsten Frerk in seinem Buch »Kirchenrepublik Deutschland« Karl Jüsten, seit dem Jahr 2000 Chef des Kommissariats der deutschen Bischöfe – Katholisches Büro in Berlin. Der Prälat übertreibt nicht, denn es gab und gibt wohl kein Wirtschaftsunternehmen, keine außerparlamentarische Organisation, die so gute Beziehungen zu Regierung und Parlament hätte wie die beiden Großkirchen.

Ihre Verbindungsbüros zur Bundespolitik werden von Theologen geleitet: Prälatin Anne Gidion ist seit zwei Jahren Bevollmächtigte des Rates der evangelischen Kirche in Deutschland bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union und hat wie das katholische Pendant Dienststellen in Berlin und Brüssel.

Gidion und Jüsten legen Wert auf ihre Tätigkeit als Seelsorger für Minister und Abgeordnete, halten regelmäßig Gottesdienste für Parlamentarier ab. Die von ihnen ausgerichteten jährlichen Empfänge wiederum sind auf große Öffentlichkeit angelegt: Bis zu 800 Gäste, unter ihnen viel Prominenz, kommen zum katholischen Herbst-Empfang; nur wenig niedriger ist die Zahl der Gäste, die die Prälatin im Juni begrüßt. Diese Empfänge bieten die große Bühne für die Gastgeber.

Die Arbeit der Verbindungsbüros, so Jüsten in einem Interview, sei vor allem »Beziehungspflege zu allen Akteuren. Dazu gehören die Politiker, die Ministerialbeamten, aber auch die vielen anderen Lobbyisten und schließlich die Medien.« Gefragt, ob denn beispielsweise auch Straßenbau, Landwirtschaft, Justiz zu den Interessensgebieten der Kirche gehören, antwortet der Prälat: »Wir sind die einzigen Lobbyisten, die alles auf dem Schirm haben.«

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Nach Gründung der Bundesrepublik 1949 war sich die von CDU und CSU dominierte erste Regierung schnell mit Kirchenvertretern einig, dass sich Staat und Kirche gegenseitig unterstützen sollten – nicht zuletzt in ihrer Gegnerschaft zur DDR. Zwar sieht das Grundgesetz eine Trennung von Staat und Kirche vor, doch Einvernehmlichkeit war und ist vorrangig. Nur Einzelne und kleine Gruppen haben immer wieder grundsätzliche Kritik gewagt und dabei auch theologisch argumentiert. So wandte sich die evangelische Theologin Margot Käßmann erst kürzlich erneut engagiert gegen Aufrüstung und »schleichende Militarisierung« unserer Gesellschaft.

Viele kirchliche Gremien, unter ihnen die Verbindungsbüros, besitzen neben der theologischen auch eine juristische Leitung, die weniger im Lichte der Öffentlichkeit steht. Beide haben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die juristischen nehmen direkten Einfluss auf Gesetzentwürfe der Bundesregierung, die manchmal früher in den Verbindungsbüros ankommen als in den parlamentarischen Gremien.

Zudem sind Angestellte der Verbindungsbüros oft Mitglieder in kirchlichen und anderen Gremien. So wurde Prälat Jüsten 2002 Mitglied des Rundfunkrats der Deutschen Welle, 2014 dessen Vorsitzender. Im März 2024 bestätigte ihn der Rundfunkrat einstimmig in diesem Amt. Die Liste der Funktionen und Ämter, die Jüsten ausübt, ist unglaublich lang.

Auch die evangelische »Kirchendiplomatin«, wie die EKD das Amt der Beauftragten bei Bund und EU nennt, hat eine ansehnliche Liste an Aktivitäten und Funktionen vorzuweisen. Besonders engagiert sie sich gegen sexuelle Gewalt, bearbeitet schwerpunktmäßig innerkirchliche Themen wie die Liturgie der Gottesdienste. Den Dialog mit politischen Jugendverbänden führt eine freie Mitarbeiterin in ihrem Auftrag.

Oft nehmen die Verbindungsbüros gemeinsam Stellung zu politischen Vorhaben, etwa zur »Verhinderung missbräuchlicher Anerkennung der Vaterschaft«, zum »Sicherheitspaket« der Regierung oder zur Einführung der Bezahlkarte für Geflüchtete. So äußern sie Bedenken »gegen das intendierte Ziel der Karte, Schutzsuchende abzuschrecken«, sprechen sich aber »nicht grundsätzlich« gegen ihre Einführung aus.

Die Beziehungen zwischen dem Staat und den beiden Kirchen sind also traditionell wohlwollend, freundschaftlich, was normalerweise auch für die Länderebene zutrifft. Sichtbares Beispiel des erfolgreichen Lobbyismus ist die katholische Berliner Sankt-Hedwigs-Kathedrale, ein Rundbau im Osten der Stadt. Nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges wurde sie in den 60er Jahren wieder aufgebaut; Künstler aus der DDR und der Bundesrepublik gestalteten den Innenraum.

2011 trat Rainer Maria Woelki, aus Köln kommend, sein Amt als Berliner Erzbischof an. Kurz danach fiel die Entscheidung, den Innenraum zu demolieren und vollkommen neu zu gestalten. Kritische Stimmen, auch aus der katholischen Kirche, betrafen nicht nur die Kosten – an denen sich wie selbstverständlich der Staat beteiligte –, sondern auch die Ästhetik und den theologischen Bezug des geplanten Neubaus.

Der damalige Berliner Kultursenator Klaus Lederer (Die Linke) argumentierte damals juristisch mit der verfassungsmäßigen Eigenständigkeit der Kirchen, und mischte sich in die Debatte nicht ein. Das Erzbistum behandelte die katholischen Kritiker als ignorante Besserwisser. Seit Ende November diesen Jahres präsentiert sich die Kathedrale als nüchterne, fast schmucklose Eventhalle.

Wie wird die Zukunft der Kirchen sein? Ihre Sonderbefugnisse, nicht zuletzt die ihnen im Rundfunkstaatsvertrag eingeräumten Sendeplätze für in Fernsehen und Radio übertragene Gottesdienste, werden zunehmend auch von Kirchenrechtlern in Frage gestellt. So äußerte die katholische Theologin und Rechtsexpertin Judith Hahn bereits 2019 in einem Vortrag »Zweifel, ob eine immer weniger christlich geprägte Gesellschaft mittelfristig bereit ist, die rechtliche Privilegierung der überkommenen christlichen Kirchen weiterhin mitzutragen oder doch zu tolerieren, ob es also auf Dauer überzeugen wird, Minderheitskirchen als herausgehobene Akteure des öffentlichen Lebens zu verstehen«.

Die Aufdeckung von Sexualverbrechen an Minderjährigen beschleunigte die Kirchenaustritte besonders aus der katholischen, in geringerem Umfang auch aus der evangelichen Kirche. Die Zahl der offiziell als Mitglieder der evangelischen und katholischen Kirche registrierten Personen ist in Deutschland auf unter 50 Prozent gesunken. Viele von ihnen sind aber in Gemeinden aktive Christen. Kirchenrechtsprofessorin Hahn sagt dazu in Abwandlung einer Redewendung aus den 80er Jahren: »Stell dir vor, es ist Religion – und keiner geht hin.« Das ist der Alltag in sehr vielen Gemeinden. Die große Ausnahme ist Weihnachten: Am 24. Dezember sind die Kirchen voll. Mit dem Besuch von Gottesdiensten und Messen an »Heiligabend« bringen sich auch Konfessionslose in besinnlich-feierliche Stimmung.

»Unser Erfolg beeindruckt manchmal auch die Bankenlobby und die Atomlobby.«

Karl Jüsten 
Chef des Verbindungsbüros der Katholischen Kirche zu Bundestag und Bundesregierung
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