Ostberlins rote Nekropole

In einem Gedenkhain in Lichtenberg sind Hunderte der prominentesten Sozialisten Deutschlands begraben

  • Jens Malling
  • Lesedauer: 5 Min.
Mahnmal, Wallfahrtsort, Identifikationssymbol: Die Gedenkstätte der Sozialisten auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde
Mahnmal, Wallfahrtsort, Identifikationssymbol: Die Gedenkstätte der Sozialisten auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde

Die goldene Inschrift scheint an diesem grauen Nachmittag zu glühen. Als Teil des Gedenkhains für viele der berühmtesten Marxisten Deutschlands umschließt eine Ringmauer den Besucher. Die Buchstaben leuchten auf den kreisförmig angeordneten, glatt polierten Tafeln aus rotem Granit. Sie markieren die Plätze der Urnen in der Mauer. Mitglieder des Politbüros, Widerstandskämpfer, Künstler, Schriftsteller, Veteranen des Spanischen Bürgerkriegs, Stasi-Generäle, Agitatoren, Theoretiker. Name um Name, Schicksal um Schicksal, auch im Tod vereint für die gemeinsame Sache: den Sozialismus.

Auf den besten Plätzen im Zentrum der ungefähr 25 Meter breiten Rotunde haben die größten Koryphäen der Arbeiterbewegung ihre letzte Ruhestätte gefunden.

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Vor allem das brillante Duo Rosa Luxemburg (1871–1919) und Karl Liebknecht (1871–1919), die im politischen Chaos nach der Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg von der Reaktion ermordet wurden. Ernst Thälmann (1886–1944) liegt hier – der Vorsitzende der Kommunistischen Partei Deutschlands, der nach elf Jahren Einzelhaft auf direkten Befehl Hitlers im Konzentrationslager Buchenwald hingerichtet wurde. Darüber hinaus Walter Ulbricht (1893–1973) – Stalins Vasall, Überlebender der blutigen Säuberungen in der Sowjetunion 1937/38 und langjähriger Machthaber der DDR. Mit einem der bedeutendsten Plätze im Gedenkhain wird auch Ostdeutschlands einziger Präsident Wilhelm Pieck (1876–1960) geehrt. Das Gleiche gilt für den ersten Ministerpräsidenten des Landes, Otto Grotewohl (1894–1964).

Diese Gruppe stellt jedoch nur einen kleinen Teil der enormen Galerie an Persönlichkeiten dar, die den Besuchern des Gedenkhains die politischen Umwälzungen und die kulturellen und geistigen Strömungen des 20. Jahrhunderts vor Augen führt. Von der Ankunft des langen Trauerzuges für Wilhelm Liebknecht (1826–1900) an einem Augusttag im Jahr 1900 bis zur Auflösung der DDR im Jahr 1990 wurden hier Hunderte prominenter Sozialisten beigesetzt.

Die nächste Schicht der Rangordnung

Der Efeu klettert Baumstämme und Grabsteine hoch. Bei jedem Schritt in diese rote Nekropole knirschen Schalen von Eicheln und Bucheckern unter den Füßen. Das Geräusch bringt ein Eichhörnchen dazu, abrupt sein Spiel auf der Ringmauer zu unterbrechen. Etwas abseits der Rotunde befindet sich das anonyme Grab des berüchtigten Stasi-Chefs Erich Mielke. Unmittelbar nach der Versenkung seiner Urne wurde es von unbekannten Tätern geschändet. Die rote Silhouette des Eichhörnchens schießt in diese Richtung und verschwindet im Gebüsch hinter den Gedenktafeln.

Gleich hinter dem Hauptdenkmal – die Rotunde beherbergt die bekanntesten Gräber – befindet sich entlang des sogenannten Pergolenwegs die nächste Riege der Hierarchie der verstorbenen Sozialisten. In Tönen von Gelb, Orange und Braun liegt ein bunter Teppich aus abgefallenen Blättern zwischen den gleichförmigen Grabsteinen ausgerollt. Es riecht stark nach Kompost, Waldboden und Verwesung. Die Kälte schleicht sich durch die Totenstadt.

Ein paar Zweige lassen sich zur Seite schieben, und ein Grabstein mit der Inschrift Max Christiansen-Clausen (1899–1979) kommt zum Vorschein – der Funkspezialist, der die Geheiminformationen des Meisterspions Richard Sorge aus Tokio in die Sowjetunion übermittelte.

Name um Name, Schicksal um Schicksal, auch im Tod vereint für die gemeinsame Sache: den Sozialismus.

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Markus Wolf (1923–2006) ist ebenfalls in diesem Eck vertreten – Chef der DDR-Auslandsspionage und bekannt als »der Mann ohne Gesicht«, weil es den westlichen Geheimdiensten jahrelang nicht gelang, ein Foto von ihm zu beschaffen.

Unweit des Grabes von Ernst Wollweber (1898–1967) fallen ein paar seltene Sonnenstrahlen durch die Baumkronen. Der rätselhafte Chef des geheimen Wollweber-Netzwerks, das Sabotageakte gegen die faschistische Schifffahrt durchführte, leitete die Stasi nach der Gründung der DDR bis 1957.

Die Urne im Schrank

Ein Stück weiter hinein in den Sozialistenfriedhof, wie der Ort auch im Volksmund genannt wird, wird eine Reihe von Künstlern mit einer eigenen Abteilung geehrt. Die Bildhauerin Käthe Kollwitz (1867–1945) entwarf die Kupferskulptur auf ihrem Grabstein selbst. Nicht weit davon entfernt befindet sich die Ruhestätte des Malers Walter Womacka (1925–2010) – bekannt für seine riesigen Wandmosaike, die das Leben im Sozialismus loben und die noch an vielen Stellen im Straßenbild von Eisenhüttenstadt und Ostberlin zu sehen sind.

In der fernsten Ecke des Friedhofs errichtete Ludwig Mies van der Rohe, der spätere Bauhaus-Direktor und einer der berühmtesten Architekten des 20. Jahrhunderts, 1926 das sogenannte Revolutionsdenkmal. Das imposante Monument ehrte die gefallenen Kommunisten der Januarkämpfe von 1919 und gilt als eines der wichtigsten modernen Denkmäler der Architekturgeschichte. Die Nazis zerstörten es 1935. Eine Bürgerinitiative arbeitet daran, es zum Jubiläum im Jahr 2026 wieder aufzustellen. Auf ein paar Tafeln wird auf die Bedeutung des Ortes hingewiesen. Auf dem Weg zum Ausgang des Gedenkhains fällt es einem ein, dass das absolute politische Schwergewicht der DDR-Diktatur fehlt: Erich Honecker (1912–1994). Der Berliner Senat lehnte 2018 den Wunsch seines Enkels ab, den ehemaligen Generalsekretär des ZK der SED durch eine Bestattung seiner Asche in der Gedenkstätte der Sozialisten zu ehren. So sollen sich Honeckers Überreste noch immer in einer Urne in einem Schrank bei einem Bekannten irgendwo in Südamerika befinden.

Anlässlich ihres Todestags und zur Feier des Sozialismus findet jedes Jahr um den 15. Januar, das Todesdatum der beiden sozialistischen Koryphäen, die große Luxemburg-Liebknecht-Demonstration statt. Sie beginnt am Frankfurter Tor und endet am Gedenkhain, in diesem Jahr am Sonntag den 12. Januar um zehn Uhr.

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