Kangaroo Island: Grün statt Asche

Das Naturparadies im Südosten Australiens hat sich inzwischen von den großen Buschbränden, die 2019 begannen, wieder erholt

  • Michael Marek und Saskia Guntermann
  • Lesedauer: 9 Min.
Auf Kangoroo Island erfreuen sich diverse Beuteltiere einer sich erholenden Landschaft. Autos sind nun wieder die größte Gefahrenquelle für sie.
Auf Kangoroo Island erfreuen sich diverse Beuteltiere einer sich erholenden Landschaft. Autos sind nun wieder die größte Gefahrenquelle für sie.

Gregor’s Road mitten auf Kangaroo Island: Bodennebel wabert durch den Busch. Das Krächzen eines Braunkopf-Rabenkakadu-Paares ist zu hören. Erste Sonnenstrahlen brechen durch die Eukalyptusbäume. Der Frühling Down Under neigt sich dem Ende zu; die Nacht war noch ziemlich kühl, jetzt sind es angenehme 20 Grad Celsius.

Mit unserem Geländewagen donnern wir über die schnurgerade, aber wellige rote Piste. Wir haben uns mit Craig Wickham am Postamt mitten im Nirgendwo verabredet. »Viele Leute sind überrascht, wenn sie unser Postamt sehen«, sagt der langjährige Nationalpark-Ranger. »Sie erwarten ein großes Gebäude mit einem Schalter und freundlichen Angestellten, die fragen: Wie kann ich Ihnen helfen? Möchten Sie vielleicht ein paar Briefmarken haben?«

Doch nichts von alledem. Stattdessen stehen am Pistenwegesrand alte Kühlschränke, Wäschetrockner und Vogelhäuser, die den Farmern als Postkästen dienen. Für die »Roadside Delivery«, die Straßenrandzustellung, wie Wickham mit einem verschmitzten Lächeln erklärt. Mit seinem dunkelbraunen Buschhut entspricht er ganz dem Bild eines »Aussie«, wie die Australier liebevoll genannt werden.

Plötzlich bewegt sich etwas unter seinem Flanellhemd, und kleine, spitze Ohren sind zu sehen: »Ich war letzte Nacht mit dem Auto unterwegs und habe ein angefahrenes Wallaby-Weibchen tot auf der Straße gefunden.« Besonders in der Dunkelheit ist es für Wildtiere gefährlich, weil sie vom Scheinwerferlicht angezogen werden. »Im Beutel des Weibchens war ein Jungtier, also habe ich es mit nach Hause genommen. Dort sind wir mit allem ausgerüstet, um es zu versorgen. Das haben wir schon oft gemacht.«

Roadkill: Opfer der Nacht

Craig Wickham ist auf Kangaroo Island aufgewachsen, hat Ökologie, Biologie und Naturschutz studiert. Jetzt wird er für vier Monate Mutter-Wallaby spielen. Danach beginnen die kleinen Kängurus unabhängig zu werden. »Das ist der beste Zeitpunkt, um unseren Kleinen freizulassen, damit er den Weg in die Gemeinschaft der Kängurus findet.«

Roadkill ist nicht nur auf Kangaroo Island, sondern in ganz Australien allgegenwärtig: Allmorgendlich liegen am Straßenrand verendete Kängurus, Opossums oder Wombats, die in der Nacht von Autos überfahren wurden. Offizielle Statistiken gibt es nicht, aber die Opfer unserer automobilen Zivilisation sind beträchtlich – selbst hier, nur 3000 Kilometer von der Antarktis entfernt.

Zusammen blicken wir von einer kleinen Anhöhe über den Flinders Chase National Park, wo die verheerenden Buschfeuer 2019 begannen. Heute gibt es kaum noch Spuren des Infernos, das zwei Drittel der Insel verwüstete. Hier und da ragt ein kohlrabenschwarzer Baumstamm wie ein Mahnmal in die Höhe. Vor uns breitet sich grüner Busch bis zum Horizont aus: Känguru-Akazien mit leuchtend gelben Blütenbällchen duften intensiv, auf den Wiesen grasen wieder Merinoschafe, und Kängurus hoppeln durch das Gebüsch. Bunte Wellensittiche flattern umher, Eukalyptusgeruch erfüllt die Luft.

Anfang 2020 herrschte hier Stille, die Stille nach der Katastrophe. Häuser und Farmland brannten. Auch die Tier- und Pflanzenwelt der Insel litt enorm, besonders die sich nur langsam bewegenden Koalas konnten dem Feuer nicht entkommen. Jetzt hängen die Beutelbären wieder in den Eukalypten. Es gab immense Anstrengungen, ihren Lebensraum wiederherzustellen.

Ort der toten Frauen

Der Name der Insel geht auf den Briten Matthew Flinders zurück. Der Kapitän war Anfang des 19. Jahrhunderts im Auftrag von König George III. unterwegs. Er sollte die südliche Küste der »Terra Australis« erkunden und kartieren. Als Flinders das Eiland entdeckte, trafen er und seine Besatzung auf Kängurus, die sie nach Monaten ohne frisches Fleisch begeistert jagten und aßen. Aus diesem Grund nannten sie den Ort Känguru-Insel.

Vor 16 000 Jahren bewohnte nur die indigene Bevölkerung die Insel. Damals gab es noch eine Landbrücke zwischen dem australischen Festland und Kangaroo Island. Nachdem das Land aufgrund steigender Meeresspiegel während der letzten Eiszeit zu einer Insel wurde, verschwanden die Aboriginal Peoples, die indigenen Völker Australiens, aus den archäologischen Aufzeichnungen.

»Wenn wir die Umwelt weiterhin zerstören, könnte nicht nur die Zukunft des Ameisenigels auf dem Spiel stehen.«

Mike McKelvey Biologe

»Als Flinders 1802 hierherkam, sah er keinen einzigen Menschen«, erklärt Wickham. »Es gab keinen Rauch und keine kontrollierten Feuer, wie sie die Aboriginal Peoples seit Jahrtausenden legen, um die Natur zu erhalten.« Später waren es vor allem Walfänger und Seeleute die Station auf Kangaroo Island machten. Sie entführten Aboriginal-Frauen vom 16 Kilometer entfernten Festland und brachten sie hierher. »Die Aboriginal-Peoples vom Festland nannten Kangaroo Island Karta Pintingga. Der Begriff hat zwei verschiedene Bedeutungen: entweder Ort der Frauen oder Ort der Toten.« Ort der Frauen, so Wickham, geht zurück auf die gekidnappten Aboriginal-Frauen. Ort der Toten, weil sie nie wieder gesehen wurden.

Stolz und Widerstand

Die Indigenen Australiens sind die großen Verlierer der Kolonialisierung, damals wie heute. Unterdrückung, Rassismus, sexuelle Ausbeutung, Zwangsadoptionen, soziale und kulturelle Entwurzelung waren die Folge nach der Ankunft der weißen Siedler. »Damals war Australien für Schwarze kein guter Ort. Wir wurden nicht einmal als Menschen anerkannt«, erzählt Freddy Hill. Er hat Kunstgeschichte studiert und arbeitet in einer Galerie für indigene Malerei. Über ganz Australien verstreut gibt es solche Aboriginal Art Center. Diese Projekte wurden gegründet, um die Kunst der indigenen Bevölkerung zu unterstützen, zu vermarkten und den Künstlern und Künstlerinnen einen Lebensunterhalt zu sichern.

Freddy Hill gehört zu einer neuen Generation der Aboriginal Peoples, die stolz auf die Kultur ihrer Ahnen ist und ganz selbstverständlich Social-Media-Plattformen nutzt. Sie bewegen sich in Berufen und akademischen Kreisen, die ihren Eltern und Großeltern noch verwehrt waren, und klären über traditionelle Lebensweisen auf, weisen aber auch auf Missstände hin: Indigene Völker leben häufig in abgelegenen Gebieten, auch auf Kangaroo Island bekommt man sie fast nie zu Gesicht; sie sind ärmer als die restliche Bevölkerung, häufiger arbeitslos und öfter im Gefängnis. Ihre Lebenserwartung ist deutlich niedriger als im australischen Durchschnitt, die Kindersterblichkeit höher. In den Universitäten, in Politik und Wirtschaft sind junge Aboriginals stark unterrepräsentiert.

Erst 2008 entschuldigte sich der damalige australische Regierungschef Kevin Rudd bei den Aboriginal Peoples für das in der Vergangenheit begangene Unrecht. Und es dauerte weitere fünf Jahre, bis 2013 die Unterhaus-Abgeordneten einstimmig für einen Gesetzentwurf stimmten, der die Aboriginals als erste Bewohner Australiens anerkannte. Damit endete die Doktrin, Australien sei vor der Ankunft der Weißen 1788 eine »Terra Nullius« gewesen, ein Land ohne Einwohner und Besitzer. Dabei leben mindestens seit 65 000 Jahren Menschen auf dem heutigen fünften Kontinent.

Wildkatzen und Künstliche Intelligenz

»Schaut, das sieht wie eine Beutelmaus aus. Es hat ein paar Jahre gedauert, bis diese Beutelart nach dem großen Feuer zurückgekehrt ist und jetzt wieder in großer Zahl auftritt«. Heidi Groffen hat die gemeinnützige Initiative »Kangaroo Island Land for Wildlife« gegründet. Wir treffen sie am Rande des Flinders Chase National Park. Zusammen stehen wir stehen vor einer olivgrünen Metallbox, 60 Zentimeter hoch und 30 Zentimeter lang. Der »Felixer« ist ein computergesteuertes Gerät, um die Wildkatzenpopulation zu kontrollieren.

Die Umweltschützerin und studierte Ökologin will die heimische Tierwelt bewahren. Derzeit Hauptfeind Nummer eins: verwilderte Hauskatzen, ein koloniales Überbleibsel europäischer Siedler, die ihre Haustiere gedankenlos mitbrachten. Ziel ist es, Kangaroo Island wieder »katzenfrei« zu machen, denn die Insel ist Lebensraum für kleine Beuteltiere. »Die Wildkatzen sind weder auf Kangaroo Island noch in Australien heimisch. Sie sind die effizientesten Jäger unserer einheimischen, nachtaktiven Arten und bedrohen ihren Bestand.«

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Die Box enthält einen Computer, der mit Künstlicher Intelligenz trainiert wurde und fünf Kameras enthält. Diese können genau erkennen, ob gerade ein Wallaby vorläuft, ein Hund, ein Ameisenigel oder ein Koala. Wenn das Gerät eine Wildkatze identifiziert, dann schießt es ein Gift auf das Tier. Das Gift stammt von einer einheimischen Pflanze aus Westaustralien und wird auf das Fell der Katze gesprüht. »Die geht dann weg und leckt sich das Gift beim Putzen ab. Daher nennt man das Gerät auch Grooming-Falle.« Das Gift macht sie schläfrig, und die Katze wacht nicht mehr auf, sagt Groffen und betont: »Für einheimische Tiere ist das Gift unschädlich«. So könne man die Beutelmaus und andere einheimische Tiere schützen.

Urzeitliche Igel

Eine knappe Autostunde entfernt im Südosten der Insel treffen wir Mike McKelvey. Der Wissenschaftler beschäftigt sich sein halbes Leben mit Säugetieren. McKelvey ist eine Institution für den Schnabel- oder Ameisenigel. Vor allem in der Dämmerung morgens und abends stößt man auf dieses erstaunliche Wesen. Trotz seiner Größe von nur 30 Zentimetern und eines Gewichts von fünf bis sieben Kilogramm ist der Ameisenigel ein wahrer Überlebenskünstler.

Seine Vorfahren lebten bereits zur Zeit der Dinosaurier vor 110 Millionen Jahren. »Der Ameisenigel hat alle möglichen klimatischen Veränderungen überlebt: Eiszeiten, Dürren und starke Schwankungen im Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre«. Und er kann so alt wie Menschen werden, etwa 60 bis 70 Jahre. Auch deshalb habe ihn dieses eierlegende Säugetier fasziniert, sagt McKelvey.

Die Ameisenigel haben die verheerenden Buschbrände auf Kangaroo Island bemerkenswert gut überstanden. Ihre Strategie? Bei Gefahr vergraben sie sich blitzschnell im Boden, sodass die Flammen so über sie hinwegziehen. Außerdem besitzen sie die Fähigkeit, ihre Körpertemperatur der Umgebungstemperatur anzupassen, erklärt McKelvey und ergänzt dies mit einer Anekdote. Vor vielen Jahren hatten seine Frau Peggy und er erste wissenschaftliche Arbeiten über den Ameisenigel veröffentlicht. Zu ihrer Überraschung erhielten sie daraufhin einen Anruf. »Wir sollten eine Rede vor hochrangigen Vertretern eines britischen Versicherungsunternehmens halten«. Warum die sich ausgerechnet für den stacheligen Ameisenigel interessierten? »Weil er große klimatische Veränderungen überstanden hat. Die Versicherungsleute wollten herausfinden, was man daraus lernen und für die eigene Arbeit anwenden könnte.«

Heute leben wir in einer Epoche, in der eine einzige Spezies die Macht hat, das Schicksal des gesamten Planeten zu bestimmen, sagt McKelvey. Ob dies für den Ameisenigel auf Kangaroo Island gut oder schlecht ausgeht, hängt davon ab, wie wir uns als Gesellschaft und als globale Gemeinschaft verhalten. »Wenn wir nicht achtsam sind und die Umwelt weiterhin zerstören, könnte nicht nur die Zukunft des Ameisenigels auf dem Spiel stehen.«

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