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  • »Politischen Frühstart« der Gewerkschaften

Die armen Millionäre

Steile These des FDP-Kandidaten beim »Politischen Frühstart« der Gewerkschaften zur Bundestagswahl in Cottbus und Spree-Neiße

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 7 Min.
Noch dampfen die Kühltürme des Braunkohlekraftwerks Jänschwalde.
Noch dampfen die Kühltürme des Braunkohlekraftwerks Jänschwalde.

Bei einem Auftritt in einem Unternehmerverband wäre der Bundestagskandidat Robert Kellner (FDP) sicher gut angekommen mit seinen steilen Thesen. »Einkommensmillionäre sind Einkommensmilliönäre, weil sie Leistung erbracht haben«, sagt der 25-Jährige am Donnerstagabend. Doch weil er nicht bei solchen Millionären zu Gast ist, sondern in Cottbus beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), erntet Kellner Hohnlachen. Er setzt aber unbeirrt noch einen drauf und behauptet, eine wieder eingeführte Vermögensteuer würde Leistung bestrafen. Das kann Bundestagskandidatin Andrea Lübcke (Grüne) so nicht stehenlassen und klärt den angehenden Steuerberater auf: »Wer ein Vermögen erbt, hat dafür nichts getan.« Und der Bundestagsabgeordnete Christian Görke (Linke) bedauert, dass in Deutschland Arbeit im europäischen Vergleich hoch besteuert werde und Vermögen überhaupt nicht mehr.

Bei der vorgezogenen Bundestagswahl am 23. Februar treten Kellner und Görke in Cottbus und Spree-Neiße an. Lübcke kandidiert nicht direkt hier, sondern in einem benachbarten Wahlkreis. Ebenfalls vom DGB ins Kunstmuseum Dieselkraftwerk eingeladen zum sogenannten »politischen Frühstart« am zweiten Tag im neuen Jahr sind zwei weitere direkte Mitbewerber Kellners: Die Bundestagsabgeordnete Maja Wallstein (SPD) und der Cottbuser Stadtverordnete Michael Rabes (CDU), der in Spree-Neiße aufgewachsen und nach einem Studium der Medizintechnik in Heidelberg zurückgekehrt ist ins heimatliche Lausitzer Braunkohlerevier. Rabes hat so wie auch Kellner keinen leichten Stand beim DGB. Das liegt daran, dass er sich vernünftige Tarifabschlüsse ohne Streiks wünscht, mit denen die Firmeninhaber leben können. Das wird so verstanden, dass sich die Gewerkschaften vor zu hohen Lohnforderungen hüten sollten.

Dann stellt die Moderatorin Michael Rabes noch eine Art Fangfrage: Wie er als Politiker einen Betriebsbesuch gestalten würde? Jetzt muss sich erweisen, ob Rabes dabei nicht nur mit den Chefs spricht, sondern auch mit dem Betriebsrat. Ahnungslos überlegt der CDU-Mann, dass er die Sorgen der Beschäftigten würde hören wollen. Damit schrammt er nur knapp an der gewünschten richtigen Antwort vorbei. Aber knapp daneben ist auch vorbei. Denn das Stichwort »Betriebsrat« fällt Rabes nicht ein.

Anders die SPD-Bundestagsabgeordnete Wallstein. Sie erzählt, sie wolle bei solchen Terminen immer auch den Betriebsrat sprechen und erlebe, dass kleinere Firmen hier in der Gegend oft gar keinen haben und die Geschäftsführer mit der fehlenden Mitbestimmung der Beschäftigten leider sehr zufrieden sind. Auf die Idee zu kommen, mit dem Betriebsrat zu sprechen, fällt Wallstein nicht schwer. Sie sei selbst Betriebsratsvorsitzende gewesen, bevor sie in den Bundestag einzog, berichtet sie.

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Die 38-Jährige ist in Cottbus geboren und aufgewachsen, hat in Potsdam und in Polen studiert und war mal Landeschefin der SPD-Jugend. Wie bei Jusos in so einer Funktion früher üblich, zeigte sie wenig Respekt vor der Parteiobrigkeit. Der damalige Brandenburger Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) verpasste Wallstein deshalb den Spitznamen »Krawallstein«.

Dass sie der Parteispitze nicht in jeder Frage zu folgen bereit ist, beweist Wallstein am Donnerstag einmal mehr. Der Fach- und Arbeitskräftemangel sei »ganz eindeutig« das größte Hemmnis für den Stukturwandel im Lausitzer Braunkohlerevier, leitet sie ein. Spätesten 2038 soll hier das letzte Braunkohlekraftwerk vom Netz gehen. Aber Prognosen von Wissenschaftlern besagen, dass es trotzdem künftig eher an Arbeitskräften als an Arbeitsplätzen mangeln werde. Ergo: Zuwanderung werde schlicht benötigt. »Wir müssen abrüsten vor allem in der Sprache«, findet Maja Wallstein. Es seien zuletzt »rabiate Begriffe« für Migranten gewählt worden. »Wir dürfen nicht vergessen, dass es Menschen sind«, äußert die Politikerin. Auch die SPD habe in der Asylpolitik sprachlich aufgerüstet. »Aber bei mir gibt es das nicht.«

Hier ist sich Wallstein mal mit dem Bundestagsabgeordneten Christian Görke (Linke) einig. Sonst verdreht sie bei dessen Ausführungen ab und zu mal die Augen, wenn der Oppositionspolitiker den Kurs der Regierung scharf kritisiert. Görke, wie Wallstein seit 2021 im Bundestag, erinnert an rund 60 000 Arbeitskräfte, die in der Region bis 2030 gebraucht werden, weil jeder zweite hier 58 Jahre und älter sei. Viele Beschäftigte werden also in naher Zukunft in Rente gehen und müssen an ihren Arbeitsplätzen ersetzt werden. Von 1700 ukrainischen Ärzten in Deutschland dürfen nur 118 im Beruf arbeiten, weil die Anerkennung ihrer Qualifikation viel zu lange dauert. Brandenburg belege in dieser Rangliste unter den 16 Bundesländern nur Platz 14. Das nennt Görke »indiskutabel«. Das verantwortliche Landesamt sei übrigens vor Ort in Cottbus angesiedelt.

Görke und Wallstein sitzen in dieser ersten Kandidatenrunde im neuen Jahr nebeneinander und stecken häufig die Köpfe zusammen und flüstern sich etwas zu. In seinem Schlusswort nach zwei Stunden Diskussion wendet sich Görke mit einer Bitte an das Publikum: Die Linke stehe in den Umfragen bei vier Prozent. Um es über die Fünf-Prozent-Hürde zu schaffen, brauche sie mehr Zweitstimmen. Aber den Wahlkreis kann Görke nicht gewinnen. Da macht sich der 62-Jährige keine Illusionen. Nur 8,8 Prozent der Erstimmen hat er 2021 erhalten. Der Wahlkreis ging mit 27,6 Prozent an Wallstein. Sie hatte aber lediglich 1,9 Prozentpunkte Vorsprung vor der AfD. Darum sollten die Leute nun klug wählen und Wallstein ihre Erststimme geben – und damit »der AfD die rote Karte zeigen«, empfiehlt Görke. Wallstein reagiert ganz gerüht auf diese unerwartete Ansage. Sie strahlt und streicht Görke mehrmals dankbar mit der Hand über den Rücken. Aus dem Publikum erhält der Sozialist jetzt Beifall, auch von Leuten, die bei seinen Äußerungen vorher noch gar nicht applaudiert haben. Lars Schieske (AfD), der am 22. September seinen Wiedereinzug in den Landtag verpasste und es nun bei der Bundestagswahl versucht, ist vom DGB nicht eingeladen. Es gibt einen Beschluss des DGB-Bundeskongresses von 2018, Politikern seiner Partei kein Podium zu bieten.

»Keiner will mehr links sein. Wir stehen dazu. Wir sind Die Linke!«

Christian Görke Bundestagsabgeordneter

Ein Podium bekommt stattdessen Friederike Benda vom Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Sie ist die stellvertretende Bundesvorsitzende dieser erst vor einem Jahr gegründeten Partei, die aber zehn Bundestagsabgeordnete hat, die wie Sahra Wagenknecht selbst 2021 für Die Linke ins Parlament einzogen und sich dann abspalteten.

Benda gehört nicht zu diesen zehn »Mandatsräubern«, wie Christian Görke sie nennt. Die 37-Jährige war aber auch einmal seine Genossin. »Keiner will mehr links sein«, sagt Görke mit Blick nicht zuletzt auf das BSW. »Wir stehen dazu. Wir sind Die Linke!« Einen Direktkandidaten hat das BSW in keinem der zehn Brandenburger Bundestagswahlkreise aufgestellt. Aber der Landesverband nominierte eine Landesliste und setzte Friederike Benda auf Listenplatz eins.

In Cottbus soll Benda einem Mitglied der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Rede und Antwort stehen. Er gibt sich als queerer Mann zu erkennen und hat wie so viele andere erfahren, dass Sahra Wagenknecht 2021 in ihrem Buch »Die Selbstgerechten« Menschen wie ihn als »skurrile Minderheiten« verhöhnt habe.

Wer das Buch komplett gelesen hat, der weiß, dass sich Wagenknecht zwar tatsächlich über das Brimborium mokierte, das in der Gesellschaft um »skurrile Minderheiten« gemacht werde. Sie hat aber die queeren Menschen in diesem Buch nicht direkt angegriffen. Darauf berufen sich etwa Lesben und Schwule, die in durchaus nennenswerter Zahl in der Wagenknecht-Partei mitmachen – auch im Bundesvorstand sowie in den Landesvorständen von Berlin und Brandenburg. Friederike Benda ist es spürbar unangenehm, nun so diskutieren zu sollen. Doch sie gesteht, dass sie selbst »nicht hetero-normativ lebe«. Benda schimpft, es sei reine Symbolpolitik, wenn vor jedem Rathaus eine Regenbogenflagge wehe, aber die queeren Menschen vom Staat nicht effektiv vor gewalttätigen Übergriffen geschützt werden.

Einig ist sich Benda mit ihrem Ex-Genossen Christian Görke, dass der gesetzliche Mindestlohn auf 15 Euro die Stunde angehoben werden sollte. Dagegen äußert FDP-Kandidat Kellner halbherzig: »Das Ziel sollte es sein, zu 15 Euro zu kommen.« Diese Summe sofort vorzuschreiben, lehnt er jedoch ab. Die kleinen Firmen würden das nicht bezahlen können. Zum 1. Januar wurde der Mindestlohn von 12,41 Euro auf 12,82 Euro angehoben. Geht es in dem Tempo weiter, dauert es noch viele Jahre, bis er 15 Euro beträgt.

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