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Thilo Mischke: In die Künstlerszene hätte er gut hineingepasst
Warum Thilo Mischke der perfekte Repräsentant der Kulturszene gewesen wäre
Künstler sind oft Kotzbrocken. Für dieses Urteil bedarf es keiner missgünstigen Öffentlichkeit. Abgründe tun sich auf, wenn man in Tagebüchern und Aufzeichnungen längst verstorbener Künstler liest, wie diese sich über ihre »lieben Kollegen« äußerten. Danach weiß man, wie sich Neid und Niedertracht anfühlen.
Dabei ist es unwesentlich, in welchem Genre sich die kreativ Berufenen betätigen. Wer einmal nüchtern eine Vernissage durchgestanden hat, kann danach eine 30-seitige Abhandlung über Blasiertheit und Hochmut verfassen. Und die Musiker sind auch nicht besser als die Maler und Bildhauer. Egozentriker mit Inselbegabung scheinen besonders anfällig für Fachidiotentum und Engstirnigkeit. Dass viele Rockstars für ihre Gitarren mehr übrighatten als für ihre Mitmenschen, ist eine Binse.
Unerreicht aber sind die Literaten. Leute, denen es nicht gelingt, 8.000 Bücher an ein 80-Millionen-Volk zu bringen (das sind weniger als 0,01 Prozent), halten die eigenen Worte für unsterblich. Ein Fall von Selbstüberschätzung im Endstadium. Habe ich jemanden vergessen? Ach ja, natürlich: die Theatermacher. Sie sind die Oberlehrer der Kulturszene. Ihre Publikumsverachtung drückt sich darin aus, dass sie ausgerechnet jene, die ihnen applaudieren, für unterbelichtet halten. Stets betonen sie den aufklärerischen Anspruch ihrer Kunst (die Zuschauer sollen beim Theaterbesuch gefälligst etwas lernen) und erkennen dabei nicht, dass selbst die Bretter, die die Welt bedeuten, am Ende nur Bretter sind – manchmal die vorm eigenen Kopf.
Und doch möchten wir, die Kulturinteressierten, auf viele dieser Unsympathen nicht verzichten. Denn in ihren besten Momenten gelingt es ihnen, in uns etwas auszulösen, was man früher als »göttlich« bezeichnet hätte und heute »geil« nennt. Was so unterschiedliche Künstler wie Pablo Picasso, Robbie Williams, Hermann Hesse und David Lynch verbindet: Sie schaffen es, dass wir die Welt und unser eigenes Leben danach mit anderen Augen sehen. So macht uns Kultur klüger und weiser und manchmal auch glücklicher.
Im Gegenzug sind wir nachsichtig mit unseren Idolen. Gnädig sehen wir über ihre charakterlichen Defizite hinweg. Dass sie unter einer narzisstischen Störung leiden, die sich nicht selten in Größenwahn manifestiert, haben wir gelernt zu akzeptieren. Wir wissen, dass Michael Jackson ein Psycho und Alfred Hitchcock ein Sadist war. Aber das hält uns nicht davon ab, ihre Filme und Songs zu lieben. Genie und Arschloch liegen eng beieinander.
Auf diese Aussage konnte man sich mal einigen. Niemand wäre früher auf die Idee gekommen, einem Charles Bukowski Sexismus vorzuhalten. Doch dessen große Zeit ist lange her. In der heutigen Aufmerksamkeitsökonomie muss Kunst anscheinend auch einen Moral-TÜV bestehen. Die Kunst mag so schlecht sein wie die Welt, in der sie entsteht – aber die Künstlerinnen und Künstler sollen bitte liebe Leute sein, so geht der neue Glaube.
Womit wir bei Thilo Mischke wären. Der ist kein Künstler, sondern Journalist. Was ethisch betrachtet keinen Unterschied macht. Auch dieser Berufsstand bringt Kotzbrocken en masse hervor. Wer ein Buch namens »In 80 Frauen um die Welt« verfasst, qualifiziert sich auf jeden Fall für die Champions League der Egomanen. In die Künstlerszene, in der narzisstische Selbstbespiegelung und Selbstüberhöhung Grundvoraussetzung sind, hätte Mischke gut hineingepasst.
Aber er darf nun doch nicht Moderator der wichtigsten ARD-Kultursendung »ttt – titel, thesen, temperamente« werden. Nach verschiedenen Protesten hat die ARD am Samstag bekanntgegeben, davon »abzusehen«, um »einen weiteren Rufschaden von ›ttt‹ und Thilo Mischke abzuwenden«. Ihm wird Sexismus und Rassismus in früheren Beiträgen vorgeworfen.
Mischke wurde für seine Reportagen im Privatfernsehen prämiert. Bekannt wurde er durch seine Beiträge im teilweise aufregenden, mittlerweile untergegangenen »Vice«-Magazin, dessen arbeitsphilosophische Grundlage vom Mitgründer Gavin McInnes kürzlich in einer ARD-Doku so zusammengefasst wurde: »Die dummen Sachen schlau erzählen und die schlauen Sachen dumm.« Was für Hipster-Journalismus produktiv sein kann, wird politisch schnell fatal, wofür McInnes das beste Beispiel ist – er ist mittlerweile rechtsradikal und für Donald Trump.
Die »Vice«-Macher haben sich von McInnes distanziert. Und in der Doku hat Mischke rückblickend die »Pimmelhaftigkeit« von »Vice« kritisiert; ein Vorwurf, der sich nun gegen ihn selbst gekehrt hat. Das ist die Ironie, die die Hipster immer für sich reklamieren wollen. Kotzbrocken im Kampf gegen Kotzbrocken – entdecke den Fehler!
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