Zagreb: Vorzeigeobjekt grün-linker Politik?

Kroatiens Hauptstadt Zagreb hätte das Potenzial für ein Vorzeigeobjekt grün-linker Politik und setzt dafür bereits Akzente

  • Aljoscha Hartmann
  • Lesedauer: 6 Min.
Autos first: Radfahren ist in Zagreb immer noch eine holprige Angelegenheit
Autos first: Radfahren ist in Zagreb immer noch eine holprige Angelegenheit

»Der Wahlsieg hat viel mit der Partei zu tun, die ursprünglich eine Organisation von Aktivistinnen und Aktivisten war, die sich über Jahre am damaligen Bürgermeister abgearbeitet haben. Über den ich, ohne verklagt zu werden, nicht die Dinge sagen kann, die ich gerne sagen würde. Er war jedenfalls kein netter Mensch.« Wenn Jan Bantić über Milan Bandić spricht, den Ex-Bürgermeister von Zagreb, spürt man noch immer angestauten Zorn, obwohl dieser vor vier Jahren, kurz vor den Wahlen, gestorben ist.

Jan Bantić ist in Zagreb als Antifaschist politisch aktiv, und wer aus dem Fenster des kleinen chaotischen Büros schaut, in dem er von den Erfolgen der links-grünen Partei Možemo! (Wir schaffen das!) berichtet, würde nicht vermuten, dass hier eine Kraft regiert, für die Umwelt und Klimaschutz das Kernthema ist.

Zagreb ist flach und gut geeignet für Radfahrer

Auf einer dreispurigen Straße rollt eine Blechlawine zwischen den Gebäuden aus der Habsburger-Zeit vorbei. Ein roter Streifen auf dem Bürgersteig, etwa einen halben Meter breit, soll der Radweg sein. Zagreb wäre »perfekt für eine Fahrradstadt«, meint der Aktivist Tim, der sich in einer Fahrradselbsthilfewerkstatt engagiert: »Es ist schön flach.« Doch wirklich mit dem Rad unterwegs sind in Zagreb nur die Essenslieferdienste, zu klein und zu rar sind die Radwege, zu gefährlich ist der Straßenverkehr. Etwas weiter entfernt gibt es eine weitere dreispurige Straße in die andere Richtung, beide zusammen bilden die Hauptverkehrsachsen durch die Zagreber Innenstadt.

In dieser Realität liegt mit begründet, warum Možemo! damit rechnet, bei den kommenden Wahlen am 18. Mai 2025 wieder schlechter abzuschneiden, nachdem die Partei 2021 aus dem Stand fast die Hälfte der Sitze im Stadtrat errungen hatte. Gemeinsam mit der sozialdemokratischen SDP als Juniorpartner regiert sie seitdem unter ihrem Bürgermeister Tomislav Tomašević die kroatische Hauptstadt.

Zagreb verändert sich langsam, aber groß

Dennoch stehen die Chancen, dass sie weiterregieren können, gar nicht so schlecht. Wer schon etwas länger in Zagreb lebt, kann einige Erfolge ihrer Politik wahrnehmen. Denn auch wenn der Verkehr wohl das größte Problem der Stadt ist, dürfte die Müllentsorgung an zweiter Stelle stehen. Die Müllberge auf den Straßen rund um die Sammelstellen, wie noch vor zwei Jahren, sind mittlerweile verschwunden. Insgesamt 40 unterirdische Container wurden dafür gebaut, 40 weitere sind geplant. Das war keine rein ästhetische Entscheidung und wurde gekoppelt an eine Änderung der Müllgebühren, die nun einen Anreiz zur Mülltrennung bieten. Dadurch konnten im Jahr 2023 insgesamt 50 Prozent mehr Altstoffe recycelt werden. Auf Zagrebs Mülldeponie, der größten offenen Halde in einer europäischen Stadt, kamen 17 Prozent weniger Abfall an.

Bei genauerem Hinsehen zeigt sich auch, dass in Zagreb weitere große Veränderungen anstehen. Eine neue Mülltrennungsanlage soll ab 2028 mehr Recycling ermöglichen. Es kommen zwei neue Straßenbahnlinien, 80 neue Straßenbahnen sowie 60 Elektrobusse werden angeschafft. Straßenbahnen und Busse erhalten nach und nach mehr Vorfahrtsrechte auf den Straßen. Gleichzeitig wurde mit der energetischen Sanierung städtischer Gebäude begonnen, die diese gleichzeitig auf extreme Wetterereignisse vorbereitet. Aktuell wird direkt neben dem Hauptbahnhof als erstes komplett auf Nachhaltigkeit ausgerichtetes Gebäude ein Bibliotheks- und Kulturzentrum errichtet. Und das sind nur die Projekte, die explizit die Probleme des Klimawandels angehen, wie die drastische Zunahme extremer Hitzewellen und Starkregenereignisse.

Menschen in Zagreb müssen überzeugt werden

Doch all diese Vorhaben benötigen Zeit, bevor sie spürbare Veränderungen bringen. Mehr Zeit, als bis zur nächsten Wahl bleibt. Entsprechend droht Možemo! bei der nächsten Wahl ein Rückschlag. Das liegt auch an ihrer aktivistischen Entstehungsgeschichte. Diese führt für den Abgeordneten Damir Bakić zu erwartbaren Reibungen, denn »wenn du die Stadt regierst, gibt es Vorgaben und Einschränkungen, an die man sich halten muss«.

Bakić, ein älterer Herr, der Ruhe und Sicherheit ausstrahlt, lud zum Gespräch ins historische Ratshaus im touristischen Stadtkern ein. Er ist ein gutes Beispiel dafür, welche Menschen sich Možemo! angeschlossen haben. Lange Zeit engagierte sich der Mathematikprofessor überhaupt nicht politisch. Doch als der Park in seiner Nachbarschaft mit einer neuen Kirche bebaut werden sollte, schloss er sich dem Bürgerprotest an, der zur Keimzelle der Partei wurde. Bei den Wahlen 2021 wurde er in den Stadtrat und 2024 in das nationale Parlament gewählt.

Für Damir Bakić ist klar: »Das Hauptproblem ist das langsame Tempo der Veränderungen. Die Erwartungen sind sehr hoch, und wir müssen irgendwie erklären, dass es unmöglich ist, alles schnell zu schaffen.« Besonders wichtig ist es ihm daher, mit den Aktivist*innen zu diskutieren, transparent zu machen, warum sie sich für welche Schritte entscheiden und warum manche Veränderungen langsamer kommen. Dass viele Projekte erst jetzt, kurz vor Ende der ersten Amtszeit beginnen können, hat auch mit dem ehemaligen Bürgermeister Milan Bandić zu tun.

Možemo! hat Zagrebs Haushalt stabilisiert

Als Možemo! das Ruder übernahm, konnten nicht einmal die Gehälter der städtischen Angestellten gezahlt werden. 60 Millionen Euro hätte es dafür gebraucht, aber nur 12 Millionen Euro waren in der Stadtkasse vorhanden. Insgesamt 200 Millionen Euro Schulden machten die finanzielle Lage Zagrebs zur Katastrophe. Bandić hatte die Gelder der Stadt an seine politischen Unterstützer weitergereicht und durch Klientelismus seine Machtposition gestützt.

Možemo! hatte daher die ersten zwei Jahre damit zu tun, das alte korrupte Netzwerk aus der Verwaltung zu entfernen und den Haushalt wieder in Ordnung zu bringen. Die Politik, Mütter dafür zu bezahlen, dass sie zu Hause bleiben, statt zu arbeiten, und ihre Kinder nicht in den Kindergarten zu schicken, wurde beendet. Stattdessen wurden neue Kindergärten gebaut und die Kapazitäten erhöht. Eine Entscheidung, die die Stadt nicht nur deutlich weniger kostete, sondern auch diese patriarchale Praxis beendete.

Heute hat Zagreb einen ausgeglichenen Haushalt und bekommt wieder gute Konditionen für Kredite, mit denen auch die gerade anlaufenden ambitionierten Projekte finanziert werden. Die klare Botschaft: »Wenn man nicht stiehlt, ist genug Geld da für alles.«

Opposition will Možemo! als woke diskreditieren

Die Opposition wiederum will die Politik von Možemo! als woken Kulturkampf diskreditieren. Sie bedienen dabei die kroatische Mentalität, alles mit dem Auto zu erledigen, indem sie die Verkehrspolitik als Angriff auf Autofahrer darstellen. Jeder Parkplatz, der in der Innenstadt wegfällt, führt zum Aufschrei. Radwege wiederum seien der Grund, warum Rettungswagen im Stau stecken bleiben – nicht die Autos, die diesen verursachen. Dass das Straßennetz wegen der über 20 Jahre fehlenden Investitionen nun saniert wird, wird gekonnt ignoriert. Der Opposition ist in dieser Auseinandersetzung jedes Argument recht, solange das alte System von Hinterzimmerdeals zu persönlichen Vorteilen wieder installiert werden kann.

Für Miljenko Sedlar erschwert es die öffentliche Wahrnehmung, auf die Klimakrise adäquat zu reagieren: »Es fehlt vor allem an Problembewusstsein in der Bevölkerung.« Er leitet die Klimaabteilung bei Regea, einer Agentur, die in Zagreb für die energetische Planung zuständig ist. Regea erarbeitet gemeinsam mit der Stadt Flächennutzungspläne sowie Bau- und Sanierungsprojekte. Auf ihre Analysen ist es zurückzuführen, dass die Mehrkosten für Klimaanpassungsmaßnahmen durch langfristige Einsparungen kompensiert werden. Solche Fakten überzeugen Verwaltungen auch da, wo keine grüne Partei regiert.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.