Auswärtiges Amt kritisiert Justiz in Ungarn

Angeklagte Maja T. gefesselt und an der Leine ins Gericht geführt – Baerbock moniert Haftbedingungen

Maja T. musste dem Prozess mit einer Übersetzerin folgen und blieb währenddessen angeleint.
Maja T. musste dem Prozess mit einer Übersetzerin folgen und blieb währenddessen angeleint.

In Budapest hat am Freitag der Prozess gegen die non-binäre Maja T. aus Jena begonnen. Wie die im gleichen Komplex angeklagte Ilaria Salis wurde die Thüringer*in an Händen und Füßen gefesselt und begleitet von maskierten und bewaffneten Polizisten an einer Leine in den Gerichtssaal geführt. Diese entwürdigende Zurschaustellung hatte im vergangenen Jahr in Italien landesweite Proteste ausgelöst und zu Telefonaten hochrangiger Regierungsmitglieder mit ungarischen Amtskollegen geführt. Salis, die aus der Haft heraus erfolgreich für das Europaparlament kandidierte, wurde schließlich im Juni vorläufig freigelassen.

Am Freitag kritisierte nun auch das Auswärtige Amt in einem Posting auf X die neuerliche »befremdliche Vorführung vor Gericht« und verwies darauf, »dass die Auslieferung von Maja T. nach Ungarn rechtswidrig war«. Die Aussage bezieht sich auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das die Überstellung kürzlich als »tiefgreifenden Grundrechtseingriff« bewertete. Laut den Karlsruher Richter*innen wirke diese Rechtsverletzung weiterhin fort.

Allerdings hat die sächsische »Soko Linx« mit der Blitz-Auslieferung Fakten geschaffen. Möglichkeiten, eine Rücküberstellung zu verlangen oder gar zu erzwingen, hat die deutsche Justiz nicht. Dies wäre, wie im Fall von Ilaria Salis, Aufgabe der Bundesregierung, die etwa auf diplomatischem Weg eine Haftverschonung mit Hausarrest in Ungarn oder sogar eine Überstellung nach Deutschland erreichen könnte. Eine ähnliche Regelung wurde für eine weitere Angeklagte im Budapest-Komplex getroffen: Die nach dem »Tag der Ehre« in Budapest verhaftete Anna M. durfte nach Deutschland ausreisen und reist von dort zu ihren Prozessterminen nach Ungarn.

Opfer fordern Entschädigung

Den Angeklagten im Budapest-Komplex wird vorgeworfen, im Februar 2023 tatsächliche oder vermeintliche Teilnehmer*innen des »Tags der Ehre« attackiert und dabei auch Teleskopschlagstöcke eingesetzt zu haben. Bei dem seit 1997 stattfindenden Treffen mit Rechtsrock-Konzerten und nationalistischen Kundgebungen wird zehntausender Wehrmachtssoldaten, SS-Angehöriger und ungarischer Soldaten gedacht, die 1944 aus der Einkesselung durch die Rote Armee zu fliehen versuchten. Hunderte Neonazis nehmen jährlich in Uniformen an einer 60 Kilometer langen Nachtwanderung teil.

Neun Personen sollen bei den Antifa-Angriffen verletzt worden sein, vier davon schwer. Die Ermittlungen führten zur Identifizierung von 18 Tatverdächtigen, von denen einige auch in Deutschland strafrechtlich verfolgt werden. Die Anklage lautet auf Bildung einer kriminellen Vereinigung und gemeinschaftlich begangene, gefährliche Körperverletzung. Maja T. wird beschuldigt, sich an zwei Taten beteiligt und den Opfern Knochenbrüche am Kopf sowie Platzwunden zugefügt und dabei deren Tod in Kauf genommen zu haben. Zudem sei mit »Werkzeug, das zur Auslöschung des Lebens geeignet ist« auf die Männer eingeschlagen worden.

Zunächst sollen zwei polnische Touristen an ihrer Wohnadresse in Budapest von der Gruppe überfallen worden sein. Der im November in Deutschland festgenommene Johann G. habe dabei die Führung übernommen. Weil sich einer der Männer mit Reizgas verteidigte, sei der Angriff vorzeitig abgebrochen worden. Tags darauf soll Maja T. sich mit vier weiteren Personen in der Nähe eines »rechtsextremen Konzerts« getroffen haben. Dort habe die Gruppe zwei Personen attackiert – darunter Laszlo Dudag, Sänger einschlägiger rechtsradikaler Bands. Dudag fordert dafür in einem Zivilprozess rund 25.000 Euro Entschädigung, seine Begleiterin rund 5000 Euro.

Maja T. äußert sich zu Gesundheitszustand

Nach Informationen des »nd« hat Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) im Januar die Familie und Unterstützer*innen von Maja T. getroffen. Bislang erfolgte die Unterstützung durch das Auswärtige Amt in der Sache lediglich über die deutsche Botschaft in Budapest. Laut einer Sprecherin sei der Fall dort »intensiv betreut« worden. Inzwischen hat sich auch Staatsministerin Anna Lührmann gegenüber der ungarischen Regierung zu den Haftbedingungen geäußert. Die deutsche Botschafterin in Ungarn soll mehrfach hochrangige Gespräche zu dem Thema mit der dortigen Regierung geführt haben, erfuhr das »nd«.

Erfolg brachten diese Bemühungen offenbar nicht. Vor Gericht verlas Maja T. am Freitag eine Prozesserklärung: »Ich bin seit acht Monaten mit Haftbedingungen konfrontiert, die gegen Ungarns Zusicherungen verstoßen«, heißt es darin. Weder die Mindeststandards des Europarates für den menschlichen Umgang mit Gefangenen noch die mit ähnlicher Zielsetzung beschlossenen »Nelson Mandela Rules« der Vereinten Nationen würden eingehalten. »Dies geschieht, indem ich mit fortwährender Langzeiteinzelhaft (heißt konkret weniger als 30 Minuten menschlichem Kontakt am Tag) konfrontiert werde – seit über 200 Tagen«, erklärte Maja T. vor Gericht.

Im Budapester Gefängnis würden »erniedrigende und entwürdigende Sicherungsmaßnahmen verhängt, für die bis heute jede Begründung fehlt«. Die nichtbinäre Inhaftierte sei mittlerweile »von mehreren Dutzend Menschen gezwungen« worden, sich vor ihnen nackt zu entkleiden. In der Untersuchungshaft dürfe sie nicht studieren oder arbeiten, es fehle an ausreichend Büchern, Tageslicht und gesundem Essen. »Ich stehe heute hier und trage bereits seelischen und körperlichen Schaden in mir. Mein Sehvermögen schwindet und mein Körper ermattet […]. Geblieben sind Bettwanzen und Kakerlaken sowie das Licht der stündlichen Kontrollen, das mir nachts den Schlaf raubt.«

Rechtsextreme hätten sich »friedlichen Morgen« gewünscht

Aktivist*innen aus verschiedenen Ländern protestierten am Freitag vor Gericht.
Aktivist*innen aus verschiedenen Ländern protestierten am Freitag vor Gericht.

Am Freitagmorgen demonstrierten rund 30 Unterstützer*innen aus Ungarn, Österreich, Deutschland und Frankreich vor dem Budapester Stadtgericht für eine Freilassung von Maja T.. Wolfram Jarosch, Majas Vater, attestierte Ungarn mangelnde Rechtsstaatlichkeit und bezeichnete die Isolationshaft als Folter.

Beim ersten Prozesstermin ging es um die Frage, ob Maja T. die Vorwürfe gesteht, eine Beweisaufnahme gab es in dieser Vorverhandlung nicht. Die Staatsanwaltschaft bot eine Strafe von 14 Jahren Haft unter erschwerten Haftbedingungen und ein 10-jähriges Einreiseverbot nach Ungarn an – die ursprüngliche Anklage lautet auf bis zu 24 Jahre Haft. Außerdem Teil des vorgeschlagenen Deals: T. solle auf ein Hauptverfahren verzichten.

Gegen Ende der Anhörung ging die Staatsanwaltschaft auf das Statement von Maja T. ein. Darin hatte sie gesagt, der Mensch habe »die Shoah und mehr Grausamkeiten als uns der Himmel Sterne schenkt« erschaffen, »wobei er jedoch gleichzeitig nie die Hoffnung auf einen friedlichen Morgen verlor.« Die Staatsanwaltschaft entgegnete daraufhin zynisch, dass auch die Besucher des »Tags der Ehre« sich vermutlich einen »friedlichen Morgen« gewünscht hätten.

Vater von Maja T. spricht von »Erpressung«

Maja T. kenne bislang nur einen Bruchteil der Prozessakten, erklärte ihr deutscher Anwalt Sven Richwin dem »nd«. Viele Anklagedokumente seien der Verteidigung entweder nicht übermittelt worden oder nur auf Ungarisch. Beschwerden darüber stoßen laut Richwin beim Gericht auf wenig Interesse. Der ungarische Anwalt von Maja T., Tamás Bajáky, versuchte, eine Haftverschonung zu erwirken: »Ich habe das Gericht gebeten, einen Hausarrest zu gewähren«, so Bajáky zu »nd«. Ein Hausarrest sei »in Ungarn eine ganz normale Sache«. Der Antrag wurde abgelehnt, der Anwalt hat dagegen Einspruch eingelegt.

»Der Richter hat leider mehr oder weniger das nachgesprochen, was die Staatsanwältin vorgetragen hat«, kritisierte auch Majas Vater. Ein faires Verfahren sei daher kaum zu erwarten. Zudem könne die Untersuchungshaft in Ungarn bis zu drei Jahre dauern.

Am Freitag durfte Jarosch sein Kind nicht umarmen. »Es ist ein Wechselbad der Gefühle: Einerseits bewundere ich Maja dafür, sich hinzustellen, vor den Leuten zu sprechen und ihre innersten Gefühle preiszugeben. Andererseits sehe ich, wie mein Kind unter der Isolationshaft leidet – und dennoch versucht, mich zu trösten, anstatt sich selbst«, erklärte er im Gespräch mit »nd«.

Majas Vater attestierte Ungarn mangelnde Rechtsstaatlichkeit und nannte die Isolationshaft Folter.
Majas Vater attestierte Ungarn mangelnde Rechtsstaatlichkeit und nannte die Isolationshaft Folter.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.