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  • Budapest-Komplex – Antifa vor Gericht

Prozess gegen Maja T. in Budapest gestartet

Person aus deutscher Antifa-Szene droht wegen mutmaßlicher Beteiligung an Angriffen auf Neonazis in Budapest jahrzehntelange Haftstrafe

Maja T. wurde entgegen einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nach Ungarn ausgeliefert und steht seit Freitag in Budapest wegen mutmaßlicher Angriffe gegen Rechtsextreme vor Gericht.
Maja T. wurde entgegen einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nach Ungarn ausgeliefert und steht seit Freitag in Budapest wegen mutmaßlicher Angriffe gegen Rechtsextreme vor Gericht.

In Budapest hat am Freitag der Prozess gegen Maja T. aus Deutschland begonnen. Die ungarische Staatsanwaltschaft wirft der Person, die sich als non-binär identifiziert, vor, im Februar 2023 in Budapest an vier Angriffen auf mutmaßliche Rechtsextremisten beteiligt gewesen und damit für schwere Körperverletzungen mitverantwortlich zu sein. Zudem wird sie der Mitgliedschaft in einer »kriminellen Vereinigung« beschuldigt.

Erst vor zwei Tagen hat zu denselben Taten vor dem Oberlandesgericht in München der Prozess gegen Hanna S. begonnen, eine weitere Beschuldigte im sogenannten Budapest-Komplex. Die Staatsanwaltschaft wirft ihr gar versuchten Mord vor.

Maja T. war im Dezember 2023 in Berlin verhaftet und im Juni 2024 auf Beschluss des Berliner Kammergerichts nach Ungarn ausgeliefert worden. Kurz zuvor hatte das Bundesverfassungsgericht die Auslieferung in einer Eilentscheidung untersagt und diese mit menschenunwürdigen Haftbedingungen in Ungarn und der Gefahr begründet, dass es für T. keinen rechtsstaatlichen Kriterien genügenden Prozess geben würde. Doch die Entscheidung aus Karlsruhe kam nach Angaben der mit der Auslieferung befassten Beamten wenige Minuten zu spät. Vor drei Wochen hatte das Bundesverfassungsgericht erneut entschieden, dass die Auslieferung rechtswidrig war. Richter Jozsef Sos erklärte, dieser Vorgang spiele für den Prozess in Ungarn keine Rolle.

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T. lehnte im Vorfeld des Prozesses das Angebot der Staatsanwaltschaft ab, ein Schuldgeständnis abzulegen und dafür ohne weitere Verhandlung 14 Jahre Haft zu akzeptieren. Daher ist nun ein langer Prozess zu erwarten, an dessen Ende das Höchststrafmaß von 24 Jahren Gefängnis drohen könnte.

Zum Prozessauftakt wurde Maja T. in Fesseln vorgeführt und von etwa zwei Dutzend Anhängern mit Applaus empfangen. Vor dem Gerichtsgebäude hatten sie Transparente mit Forderungen nach ihrer Freilassung aufgestellt. T. verlas eine Erklärung. »Ich stehe hier in einem Land vor Gericht, in dem ich als non-binäre Person nicht existiere«, sagte T. in ihrem etwa 30-minütigen Statement. Sie lege Wert auf die Feststellung, »dass es in diesem Prozess um viel mehr geht als um mich selbst«.

T. beklagte, sie werde seit mehr als 200 Tagen unter »menschenunwürdigen Bedingungen« in Einzelhaft gehalten. Es gebe Schlafentzug durch stündliche Kontrollen in der Zelle, die hygienischen Bedingungen im Gefängnis seien schlecht. Zudem habe sie nur einen geringen Teil an Akten und Beweismaterial in deutscher Übersetzung erhalten. Auch, weil sie nicht wisse, was genau ihr konkret vorgeworfen werde, weigere sie sich, einen Deal mit 14-jähriger Haftstrafe zu akzeptieren.

Neben der fehlenden Rechtsstaatlichkeit in Ungarn prangerte T. auch den Umgang der deutschen Behörden mit ihr an. Sie sei »mit einem Akt des Rechtsbruches entführt und hierher ausgeliefert« worden, so T. in der Erklärung, die »nd« vorliegt. Die Behörden in Berlin hätten sich bewusst »über das höchste deutsche Gericht hinweggesetzt«.

Martin Schirdewan, Linke-Europaabgeordneter, und die Linke-Bundestagsabgeordnete Martina Renner beobachten die Verhandlung vor Ort. Im August hatten sie Maja T. im Gefängnis besucht und das Verfahren wie auch ihre Haftbedingungen scharf kritisiert. Schirdewan, der auch Vorsitzender der Fraktion The Left im Europaparlament ist, erklärte am Freitag, der Prozess sei ein »Rachefeldzug« des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán »gegen jegliche antifaschistische Kräfte in Europa«. Seine Kollegin, die italienische Europaabgeordnete Ilaria Salis, habe »die Brutalität der ungarischen Justiz ebenfalls am eigenen Leib« zu spüren bekommen.

Salis war Anfang 2023 in Budapest noch während des internationalen Neonaziaufmarschs zum am 11. Februar stattfindenden »Tag der Ehre« verhaftet und später wegen angeblicher »lebensgefährlicher« Angriffe auf drei Rechtsextreme angeklagt worden. Ihre Inhaftierung war erst im Dezember 2023 durch ihre Vorführung in Leine, Hand- und Fußfesseln bekannt geworden. International gab es Proteste wegen »erniedrigender und unmenschlicher« Haftbedingungen und nicht rechtsstaatlicher Verfahrensweisen, unter anderem vom Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss. Es war die rechtsgerichtete Regierung Italiens, die die Freilassung von Salis erwirkte. Sie musste danach in Budapest mit elektronischer Fußfessel bleiben. Erst durch ihre Wahl zur Europaabgeordneten im Juni 2024 kam sie endgültig frei.

Die Anklageschrift gegen Maja T. nannte Schirdewan »vollkommen überzogen«, die Behandlung der Betroffenen widerspreche »jeglichen rechtsstaatlichen Grundsätzen«. Die neue Bundesregierung müsse dem Karlsruher Urteil vom Januar folgen und »schnellstmöglich eine Rücküberstellung nach Deutschland erwirken«. »Der deutsche Kuschelkurs gegenüber Orbáns Regime muss endlich beendet werden«, fordert der Linke-Politiker.

Der nächste Verhandlungstermin ist für den 6. März angekündigt. mit dpa

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