Syrien im Fokus der Großmächte

Otmar Steinbicker über die neuen Machtaber in Damaskus und was diese von den Taliban in Afghanistan unterschreidet

  • Otmar Steinbicker
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Außenministerin Annalena Baerbock (Die Grünen) trifft sich mit dem neuen syrischen Machthaber Ahmed al-Scharaa (3.v.r). Verdeckt rechts neben ihr steht ihr französischer Amtskollege Jean-Noël Barrot.
Außenministerin Annalena Baerbock (Die Grünen) trifft sich mit dem neuen syrischen Machthaber Ahmed al-Scharaa (3.v.r). Verdeckt rechts neben ihr steht ihr französischer Amtskollege Jean-Noël Barrot.

Nach dem Sturz des Assad-Regimes in Syrien reagiert der Westen überraschend schnell. Gespräche mit den neuen Machthabern werden aufgenommen, obwohl diese wegen ihrer zumindest zeitweisen Nähe zu Al-Qaida noch immer auf internationalen Terrorlisten stehen und die USA auf ihren Anführer ein hohes Kopfgeld ausgesetzt hatten.

Es geht offenbar darum, sehr schnell den Fuß in Türe zu stellen, um eine neue Entwicklung in diesem wichtigen Land mitgestalten zu können. Dass Syrien einen neuen Weg suchen muss, versteht sich. Ebenso, dass Frieden nach mehr als 13 Jahren Bürgerkrieg bedeuten muss, einen neuen gesellschaftlichen Konsens zwischen den in unterschiedliche Ethnien und Konfessionen gespaltenen Gruppierungen zu finden. Erstaunlich in der gesellschaftlichen Debatte im Westen: Eine Weiterführung des Krieges ist erstmals seit Jahren offenbar keine Option mehr.

Ob und inwieweit die derzeit siegreiche islamistische Miliz zu einem Konsensfrieden bereit und in der Lage ist, muss sich zeigen. Da sind nach den früheren Erfahrungen kritische Fragen mehr als angebracht, und auch Skepsis ist erlaubt. Inwieweit die anderen Akteure bereit sind, konstruktiv zu einem nationalen Dialog beizutragen, ist ebenfalls offen. Doch da sind noch die internationalen Akteure, die derzeit in Syrien weiter Krieg führen: die Türkei, die die ihr nahestehende Miliz im Kampf gegen die syrische Kurdenmiliz unterstützt; Israel, das seine Truppen weiter über das seit 1967 besetzte Golangebiet und die angrenzende Pufferzone hinaus vormaschieren lässt; und auch die USA.

Otmar Steinbicker

Otmar Steinbicker ist Geschichts- und Sozialwissenschaftler, Herausgeber des Aachener Friedensmagazins aixpaix.de und als Journalist und Friedensforscher für die Friedensbewegung engagiert.

Wenn jetzt internationale Diplomaten versuchen, die Lage in Syrien und mögliche Aussichten auf Frieden zu sondieren, ist das positiv. Da heißt es dann zuerst, sehr gut zuzuhören, welche Seite welche legitimen Interessen hat, welche Perspektiven sie für einen Konsens sieht und welche Kompromisse sie einzugehen bereit ist. Wenn gewünscht, können aus der Friedensforschung heraus mögliche realistische Szenarien in die Gespräche eingebracht werden, um ergebnisorientierte Verhandlungen zu erleichtern. Humanitäre Hilfeleistungen, die über Uno-Hilfswerke auf den Weg gebracht werden, dürften dabei nicht nur unmittelbare Not lindern, sondern auch greifbare Lösungen erleichtern.

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Einige tausend Kilometer von Syrien entfernt dürften sich angesichts dieser Nachrichten die Taliban in Afghanistan die Augen reiben. Sie waren mit Al-Qaida nicht so eng verbunden wie die heute siegreichen islamistischen Rebellen in Syrien. Die Taliban waren am Ende siegreich gegen die Nato und stehen heute isoliert da in der Welt. Seit dem Abzug der internationalen Truppen haben sie sich moderater verhalten, als zuvor weitgehend befürchtet wurde. Ein Bürgerkrieg droht dem Land derzeit nicht.

Nach mehr als 40 Jahren Krieg geht es in Afghanistan vor allem darum, den Hunger zu bekämpfen und für das Land Entwicklungsperspektiven zu eröffnen. China und Russland stehen dafür mit keineswegs uneigennützigem Blick auf den Rohstoffreichtum des Landes bereit. Wenn der Westen seinerseits Interesse an einer positiven Entwicklung am Hindukusch hat, sollte er den Dialog mit den Taliban suchen.

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