- Kultur
- Educational Bookshop Ostjerusalem
»Der Verkauf von Büchern ist kein Verbrechen«
Die Polizei räumt zum zweiten Mal in einem Monat einen palästinensischen Buchladen in Ostjerusalem
Inmitten der stets belebten Salah-Ad-Din-Straße in Ostjerusalem befindet sich der »Educational Bookshop« der Familie Muna – ein beliebtes Buchgeschäft für Einheimische wie auch für Touristen, Studenten, Journalisten und Diplomaten, um zu lesen, zu plaudern oder schlicht und einfach, um den heißen Kaffee oder Tee zu genießen, den man dort konsumieren kann. Die beiden Filialen liegen direkt gegenüber voneinander. Ein Geschäft konzentriert sich auf arabischsprachige Bücher, während das andere den Fokus auf englischsprachige legt.
Mit »Ahlan wa sahlan« (Arabisch für »Willkommen«) begrüßt der 42-jährige Mahmoud Muna, der Inhaber des »Educational Bookshop«, seine Kundinnen und Kunden für gewöhnlich – und mit einem breiten Lächeln auf dem Gesicht. Dieses Lächeln verschwand jedoch am Sonntag, dem 9. Februar, aus dem beliebten Buchhandel, als in beiden Filialen des Palästinensers Polizeirazzien stattfanden, woraufhin Mahmoud selbst und sein Neffe Ahmad Muna, der ebenfalls mit diesem im Geschäft arbeitet, inhaftiert wurden. »Die israelische Polizei kam mit einem Durchsuchungsbefehl in die Buchhandlung – ein Dokument, das ihnen eigentlich nicht das Recht gab, uns festzunehmen. Doch irgendwann [im Verlauf der Razzia, Anmerk. d. Redaktion] änderten sie die Anschuldigungen gegen uns«, erzählt Mahmoud. »Aus [dem Vorwurf der] ›Aufhetzung‹ wurde ›Störung der öffentlichen Ordnung‹ – denn unter diesem Vorwurf können sie Personen tatsächlich inhaftieren.«
»Wir haben hier unsere ersten Bücher gelesen. Wir möchten den Leuten signalisieren, dass wir uns trotz allem nicht unterkriegen lassen. Der Laden ist unser Leben.«
Murad Muna Bruder des Buchladenbesitzers
Einen derartigen Vorfall gab es in der rund 40-jährigen Geschichte der Buchhandlung noch nicht. Mahmoud verbrachte praktisch sein ganzes Leben dort, ebenso wie seine Brüder Murad, Imad und Iyad, die vorübergehend eingesprungen sind, um die beiden Geschäfte während der Abwesenheit von Mahmoud und Ahmad nicht schließen zu müssen. Zwar wurden die beiden nach etwa 48 Stunden wieder von der israelischen Polizei freigelassen, jedoch standen sie für weitere fünf Tage unter Hausarrest und durften zudem für 20 Tage, also bis zum 2. März, ihr Geschäft nicht betreten.
Mahmoud erzählt, dass das Geschäft mehr als nur eine Buchhandlung für ihn ist. »Ich habe dort das Krabbeln und Gehen gelernt. Als Schüler habe ich später in den Sommermonaten dort gearbeitet«, erzählt er. Da es sich um ein Familienunternehmen handelt, ist die Buchhandlung eng mit den Erinnerungen und dem Erwachsenwerden der Familienmitglieder verknüpft.
Murad, der während der Abwesenheit seines Bruders Mahmoud aushalf, arbeitet hauptberuflich für die Menschenrechtsorganisation HaMoked (Hebräisch für »Das Zentrum«), die kostenlos rechtliche Unterstützung für Palästinenser*innen anbietet. Es war ihm wichtig, das Familienunternehmen auch geöffnet zu halten, während Mahmoud und Ahmad abwesend waren, weshalb er sich extra freinahm. »Wir haben hier in diesem Geschäft unsere ersten Bücher gelesen. Wir möchten den Leuten signalisieren, dass wir uns trotz allem nicht unterkriegen lassen. Der Laden ist praktisch unser Leben und deshalb sollten wir weiterhin geöffnet haben.«
Laden als Teil der Identität
Mahmoud erzählt, dass er durch seine Arbeit enge Beziehungen zu den Menschen in seinem Umfeld geknüpft hat. Viele Besucher*innen, die in dem Laden ein- und ausgehen, kennen ihn und seinen Neffen Ahmad – wenn auch nicht immer mit Namen, wie er im Interview schmunzelnd zugibt. Über die Jahre haben sie hierdurch zahlreiche Kontakte und Freundschaften aufgebaut, und sie wurden als »die Buchhändler« bekannt. »Die Buchhandlung ist ein Teil unserer Identität geworden. Als Familie haben wir stets versucht, sie als eine Art Workshop zu nutzen – einen Raum für Gespräche, Diskussionen und offenen Ideenaustausch. Hier können die Menschen frei und offen sprechen«, so Mahmoud.
Eine der beiden Filialen ist zugleich auch ein Café und würde für viele Besucher*innen ein zweites Zuhause darstellen, wo sie die Sorgen des Alltags, der Besatzung und des Krieges zumindest für einen Moment vergessen können. Das Spektrum der dort angebotenen Bücher ist sehr vielseitig. Es lassen sich zahlreiche Werke zur israelisch-palästinensischen Geschichte und zum Konflikt, aber auch zum Erlernen der arabischen Sprache finden. Viele ausländische Kundinnen und Kunden kommen hierher, um das gesprochene Arabisch mit Ahmad und Mahmoud zu üben. Die Buchhändler achten immer auf eine klare und deutliche Aussprache, wenn sie sehen, dass ein Kunde gerade dabei ist, den palästinensischen Dialekt zu lernen.
Schnelle Urteile
Wie wohl die meisten Buchhändler behandeln Mahmoud und seine Familie Bücher wie ihre Schätze. Als er am Tag der Razzia beobachten musste, wie die Polizisten Hunderte von Büchern in Plastikbeutel warfen, bot er ihnen Kisten für den Transport an, um Beschädigungen zu vermeiden. Diese lehnten jedoch seinen Vorschlag ab. »Was mich wirklich verletzt hat, war der Mangel an Respekt gegenüber den Büchern. Es gibt angemessene Wege, Bücher zu behandeln, zu transportieren und zu pflegen. Aber sie wie alte Kleider oder Schuhe in Müllsäcke zu werfen, ist weder professionell noch respektvoll.«
Konfisziert wurden jene Bücher, deren Einbände für die Polizeikräfte verdächtig aussahen. Wenn auf einem Buchcover eine palästinensische Flagge, eine Kufiya oder ein anderes palästinensisches Symbol abgebildet war, so wurden die Buchtitel und Klappentexte von den Polizisten über die Google-Übersetzungsapp auf Hebräisch übersetzt und die Bücher daraufhin beschlagnahmt. Für Mahmoud, der ebenfalls mit den Beamten Hebräisch sprach, war die gesamte Situation wie aus einem George-Orwell-Roman. Polizisten, die weder Englisch noch Arabisch konnten, nahmen aus dem Nichts Bücher mit, die sie aber nicht lesen konnten, unter dem Vorwand, dass diese »aufhetzend« seien. »Es ist lächerlich, diese Bücher als aufrührerisch zu bezeichnen. Der Verkauf von Büchern ist kein Verbrechen«, sagt er.
Murad durfte wenige Stunden nach Mahmouds und Ahmads Inhaftierung den Großteil der über 250 konfiszierten Bücher wieder abholen. Durch den ungeeigneten Transport und die grobe Vorgehensweise der Polizeikräfte wurden viele dabei, wie zu erwarten war, beschädigt.
Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.
Acht Bücher bleiben weiterhin in Verwahrung der Polizei. Bei einem davon handelt es sich um ein Kinder-Malbuch mit dem Titel »From the River to the Sea« des südafrikanischen Autors und Illustrators Nathi Ngubane. Es handelte sich hierbei um das einzige Exemplar der Buchhandlung und stand auch gar nicht zum Verkauf, wie Murad erzählt. Das Buch zeigt zahlreiche palästinensische Persönlichkeiten wie Edward Said und Refaat Alareer, der während des andauernden Gaza-Krieges getötet wurde. Die pro-israelische Zeitung »South African Jewish Report« kritisierte bereits in der Vergangenheit den Titel des Buches und bezeichnete diesen als einen antisemitischen Aufruf zur Auslöschung Israels. Israelis werden im Buch zudem nur als Unterdrücker dargestellt, wie die Zeitung bemängelt.
Mahmoud selbst hat im vergangenen Jahr ein Buch mit dem Titel »Daybreak in Gaza« mitherausgebracht, das Geschichten von über 100 Menschen aus Gaza umfasst, die von ihrem Leben vor und in dem andauernden Krieg berichten. Überraschenderweise gehörte das Werk jedoch nicht zu den beschlagnahmten Stücken, wie der Buchhändler verwundert feststellte.
Neben den Schäden an den Büchern hat der Überfall auch eine langfristige Auswirkung auf die psychische Gesundheit der Familie Muna. Mahmouds elfjährige Tochter Leila war während des Übergriffs im Laden und erlebte die Verhaftung ihres Vaters und ihres Cousins mit. »Leila ist immer noch traumatisiert. Sie scheint sich seit unserer Rückkehr besser zu fühlen, aber ich weiß, dass solche Erlebnisse lange bei den Menschen bleiben können«, schildert Mahmoud.
Erneute Razzia
Nur vier Wochen nach dem Vorfall kam es am 11. März erneut zu einer Razzia in der Buchhandlung, wobei das Prozedere dasselbe war. Diesmal wurden etwa 50 Bücher konfisziert und Murads und Munas Bruder Imad wurde inhaftiert. Die Polizei ließ ihn nur wenige Stunden später ohne Anklage wieder frei. Bis auf drei Werke konnten auch die übrigen Bücher wieder am selben Tag abgeholt werden. Warum die Razzien gerade jetzt stattgefunden haben, kann die Familie nicht sagen. Sie weiß jedoch, dass der Angriff auf ihre Buchhandlung kein Einzelfall ist. »Es ist klar, dass kulturelle Räume, insbesondere solche, die die palästinensische Identität repräsentieren, gezielt eingeschränkt werden«, sagt Mahmoud. Die stellvertretende israelische Staatsanwaltschaft hatte die Polizei bereits nach der ersten Razzia im Februar dafür kritisiert, ihre Befugnisse überschritten zu haben. Haaretz berichtet, dass die Staatsanwaltschaft eigenen Angaben zufolge Gespräche mit höheren Polizeibeamten geführt habe, »um sicherzustellen, dass sich derartige Vorfälle nicht wiederholen«. Offensichtlich haben die Gespräche vom vergangenen Monat jedoch keine Wirkung gezeigt.
Es brauche Zeit, bis sich die Familie wieder von den Ereignissen erholen könne, jedoch habe sie Trost in der überwältigenden Unterstützung von Kund*innen gefunden. Viele Menschen, darunter Mitglieder israelischer linker Gruppen und jüdischer Diaspora-Organisationen, zeigten in den vergangenen Wochen ihre Solidarität mit den Buchhändlern und besuchten sie. Auch der deutsche Botschafter in Israel, Steffen Seibert, kritisierte auf X die beiden Razzien. Seibert hinterfragte den Zweck, palästinensische Buchhändler zu inhaftieren, die er als »Verkörperung des friedlichen Dialogs« bezeichnete.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.