Österreich als Blaupause für die deutsche Rechte

Die deutsche extreme Rechte blickt interessiert zum Nachbarn und will von seinen Erfahrungen lernen

  • David Begrich
  • Lesedauer: 5 Min.
Herbert Kickl ist seit Juni 2021 Bundesparteiobmann der FPÖ.
Herbert Kickl ist seit Juni 2021 Bundesparteiobmann der FPÖ.

Wie gebannt schaut die extreme Rechte in Deutschland derzeit auf die gegenwärtige Entwicklung in Österreich. Die sich dort anbahnende Regierung unter Führung der FPÖ sieht man als Blaupause für Deutschland.

Dass die AfD und ihr politisches Umfeld von den Nachrichten aus Österreich geradezu euphorisiert sind, wundert nicht. Die FPÖ ist die Schwesterpartei der AfD, die den offen extrem rechten Protagonisten in jeder Hinsicht als Vorbild gilt. Radikalisierung zahlt sich aus. Das ist die Lehre, die man in der AfD aus dem seit Jahren anhaltenden Aufwärtstrend der FPÖ zieht. Und in der Tat: Die FPÖ ist der AfD, was harte rechte Aussagen, aber vor allem deren erfolgreiche politische Kommunikation angeht, um einiges voraus. Von der FPÖ lernen hieß für die AfD siegen lernen.

Dazu gehört, die Regeln des politischen Betriebs systematisch zu unterlaufen, Tabubrüche und Provokationen als gängiges Mittel der Politik zu verwenden und rechtsautoritäre Gesellschaftspolitik im öffentlichen Diskurs zu normalisieren. Womit die FPÖ bereits in den 90er Jahren erfolgreich war, setzt die AfD in ihrer politischen Praxis um. Manchmal bis in die Slogans hinein. So bediente sich Björn Höcke in der Schlussphase des Thüringer Wahlkampfes 2014 eines Satzes, den schon FPÖ-Chef Jörg Haider in den 90er Jahren plakatieren ließ. Er lautet: »Sie sind gegen ihn, weil er für Euch ist.« Damals Haider, heute Höcke sprechen damit die autoritären Anti-Establishment-Ressentiments an und präsentieren sich zugleich als bodenständige Anwälte jener, die im politischen Diskurs »die kleinen Leute« genannt werden: Arbeiter, Angestellte, der untere Mittelstand. Den Kern der adressierten Wählerschaft von FPÖ und AfD bildet ein radikalisiertes Kleinbürgertum, das vor dem Hintergrund der Polykrisen um seine ökonomische Existenz und seine politische Repräsentation fürchtet.

Seit den 90er Jahren hat die FPÖ alle Varianten des Rechtspopulismus durchgespielt und – wichtiger – sich von allen Niederlagen und harten Rückschlägen, siehe »Ibiza-Affäre«, wieder erholt. Heute ist die FPÖ nicht etwa wie im Jahr 2000 der Juniorpartner der konservativen ÖVP. Aller Voraussicht nach wird sie mit Herbert Kickl den Bundeskanzler stellen. Kickl machte in dieser Woche schon mal klar, dass er beabsichtigt, die Konservativen politisch zum Einlenken zu zwingen.

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Ebendieses Szenario stellen sich nicht wenige auch in der AfD für 2029 vor. Maximilian Krah etwa, schillernder AfD-Europapolitiker, sagt ganz offen, dass es ihm um die Zerstörung des altehrwürdigen Nachkriegskonservatismus in Gestalt der CDU gehe. Auch diesbezüglich ist das Nachbarland Österreich schon einen Schritt weiter. Der frühere Kanzler Sebastian Kurz, der wegen der »Ibiza-Affäre« zurücktreten musste, bediente sich gezielt der ideologischen Bausteine und der Kommunikationsstrategie der Rechten. Dieser »radikalisierte Konservatismus« von Kurz, wie ihn die österreichische Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl auf den Begriff zu bringen versuchte, hat den Aufstieg der FPÖ weiter befördert.

Mit Blick auf Österreich haben die Strategen der AfD auch in Deutschland eine Situation vor Augen, in der die politische Lage zugespitzt ist und die von rechts so verachteten »Altparteien« derart in der Legitimitätskrise sind, dass alles auf eine Regierung unter Einschluss der AfD zuläuft. Unter diesem Aspekt ist es für die deutsche AfD von hoher Bedeutung, dass eine Regierung unter Führung der FPÖ politische Erfolge erzielt und nicht binnen weniger Monate scheitert.

Die interne Strategiedebatte in der deutschen extremen Rechten wird von österreichischen Akteuren wesentlich mitbestimmt. Martin Sellner, aktivistischer Kopf der extrem rechten »Identitären« aus Wien, ist in der deutschen Szene durch Publikationen und Vorträge omnipräsent. Rechte österreichische Theoriezeitschriften, wie »Freilich«, »Der Eckart« oder »Neue Ordnung« werden in der deutschen Szenerie gelesen. Ihre Autorenschaft ist fester Bestandteil rechter Diskurse und Netzwerke in Deutschland.

Protagonisten der deutschen extremen Rechten sind wiederkehrend Gast beim organisatorischen und ideologischen Rückgrat der rechten Szenerie Österreichs: den deutschnationalen Burschenschaften und ihren akademischen Netzwerken sowie in den Vorfeldstrukturen der FPÖ. Für die deutsche extreme Rechte sind die rechten österreichischen Partner die politische Avantgarde für den angestrebten autoritären Durchmarsch im eigenen Land. Dabei ist man sich der Unterschiede zu Österreich in der deutschen AfD durchaus bewusst.

In den Augen der AfD befördert die Regierungsführung der FPÖ in Österreich einen Dominoeffekt der autoritären Formierung in den westlichen Staaten Europas. Waren bisher Ungarn und Polen die Referenzländer für die Frage der Durchsetzung einer rechten politischen Agenda, so werden diese vermutlich alsbald von Österreich abgelöst.

Sowohl FPÖ als auch AfD setzen politisch bisher auf eine Disruption des Status quo. Erst sie verschafft rechten Parteien jenen Handlungsspielraum, den sie brauchen, um gegen alle geschriebenen und ungeschriebenen Regeln die eigene Agenda durchzusetzen. Es ist zu erwarten, dass die FPÖ ihre politischen Vorstellungen vor allem auf dem Feld der Gesellschaftspolitik umsetzen können wird. Das ist mit Blick auf das politische Klima für die Gegner der FPÖ schlimm genug.

Außenpolitisch wird die ÖVP die Richtlinienkompetenz beanspruchen und für eine Einbindung in die EU sorgen wollen. Doch auch hier sind disruptive Richtungswechsel unter einem FPÖ-Kanzler Kickl nicht nur nicht ausgeschlossen, sondern wahrscheinlich. Vorbild und Partner in allen Fragen der Interessenpolitik dürfte auch hier Victor Orbáns Ungarn sein, zu dem die FPÖ mehr als nur eine Affinität aufweist.

Die Entwicklung in Österreich und ihr Echo in der extremen Rechten in Deutschland müssen für alle, die ein Interesse daran haben, dass die extreme Rechte in Deutschland nicht an die Macht kommt, mehr auslösen als wohltemperierte Sorge in Pressemitteilungen. Österreich zeigt, wie schnell politische Situationen eintreten können, über die viele in diesem Land reden und die viele fürchten, gegen die sich aber dauerhaft politisch-strategisch bestimmt zu wenige engagieren. Die AfD ist sich sicher, die Zeit und die Verhältnisse arbeiten für sie. Die Frage lautet: Wer arbeitet hier daran, dass es in Deutschland nicht so kommt wie in Österreich? Die Zeit dafür läuft – jetzt.

David Begrich ist Mitarbeiter bei Miteinander e. V. in Magdeburg.

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