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Einigung auf Schuldenpaket im Zeichen der Angstmache
Das Schuldenpaket für Rüstung und Infrastruktur gilt als alternativlos. Das ist auch ein Propagandaerfolg
Die beispiellosen Vorgänge im Bundestag werden flankiert von zahlreichen Wortmeldungen der in Fernsehen, Presse und Rundfunk omnipräsenten Gewährsleute der herrschenden Aufrüstungspolitik. Am Donnerstag meldeten sich 18 »namhafte Wissenschaftler«, wie der »Spiegel« titelte, mit einem dramatischen Appell ans Parlament zu Wort. »Einigt Euch!« war der überschrieben. Die Unterzeichnenden um Claudia Major (Stiftung Wissenschaft und Politik) und Carlo Masala (Bundeswehr-Uni München) fordern CDU, CSU, SPD, Grüne und FDP darin auf, am kommenden Dienstag den Weg für faktisch unbegrenzte Rüstungsausgaben frei zu machen.
Da dies nur durch eine Lockerung der Schuldenbremse im Grundgesetz möglich ist, braucht es eine Zweidrittelmehrheit, die jenseits von AfD und Linkspartei nur im noch amtierenden 20. Bundestag gegeben ist. Genau diese Mehrheit wollen die künftigen Koalitionäre CDU, CSU und SPD nutzen, obwohl dies von namhaften Experten als demokratiepolitisch zweifelhaft angesehen wird. So bezeichnete der Rechtswissenschaftler Ulrich Vosgerau den Plan am Donnerstag in einer Anhörung des Haushaltsausschusses des Bundestages als »vielleicht legal, aber nicht legitim«.
Egal, meinen die Unterzeichnenden, zu denen auch die Historiker Herfried Münkler und Sönke Neitzel gehören: Die aktuelle weltpolitische Situation dulde »keinen Aufschub«, denn »die demokratische Zukunft Deutschlands« stehe auf dem Spiel. Die »bestehende Weltordnung«, in der die Bundesrepublik »Freiheit, Wohlstand und Frieden aufbauen und davon profitieren konnte«, sei »unmittelbar bedroht«. Durch Wladimir Putins Regime im Kreml einerseits und durch die neue Administration im Weißen Haus unter Donald Trump andererseits.
Wie es scheint, zeigten dieser und andere Appelle Wirkung: Bereits am Freitag fanden die Fraktionsspitzen von CDU, CSU, SPD und Grünen einen Kompromiss beim geplanten Doppelpaket für »Verteidigung« und Infrastruktur mit Finanzvolumina von jeweils um die 500 Milliarden Euro. Er sei mit dem Ergebnis sehr zufrieden, sagte CDU-Partei- und Fraktionschef Friedrich Merz nach einer kurzfristig einberufenen Fraktionssitzung am frühen Nachmittag in Berlin. Die Unionsfraktion habe dem Vorschlag einstimmig zugestimmt.
Die Schuldenbremse wird laut der Einigung nun nicht nur für Verteidigungsausgaben im klassischen Sinne gelockert, sondern auf Druck der Grünen auch für Investitionen in Cybersicherheit, Zivil- und Bevölkerungsschutz sowie Nachrichtendienste und die Unterstützung für »völkerrechtswidrig angegriffene Staaten«. Zugleich bleibt es beim Vorhaben von Union und SPD, dass alle Ausgaben für diese Zwecke, die ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts übersteigen, aus Krediten finanziert werden und dass es nach oben kein Limit gibt. Die Grünen hatten gefordert, dass die Ausnahme von der Schuldenbremse erst ab Ausgaben oberhalb von 1,5 Prozent des BIP gelten soll, dass also mehr aus dem laufenden Haushalt finanziert werden soll.
Für Investitionen in die Infrastruktur wird ein »Sondertopf« eingerichtet, der ebenfalls von der Schuldenbremse ausgenommen und mit Krediten von bis zu 500 Milliarden Euro gefüttert werden soll. 100 Milliarden davon gehen an die Länder. Weitere 100 Milliarden werden auf Druck der Grünen fest für Klimaschutz und den klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft vorgesehen. Dies soll über den bestehenden Klima- und Transformationsfonds geregelt werden. Dieses kreditfinanzierte Sondervermögen soll für zwölf Jahre zur Verfügung stehen.
Ebenfalls auf Druck der Grünen wurde laut Merz festgelegt, dass aus den Infrastruktur-Milliarden nur zusätzliche und nicht bereits geplante Vorhaben finanziert werden. Die Grünen hatten befürchtet, dass Union und SPD das Geld nutzen könnten, um bereits geplante Ausgaben »auszulagern« und so im Kernhaushalt Platz zu machen für »Wahlgeschenke« wie die Ausweitung der Mütterrente oder geringere Steuern für die Gastronomie.
»Was nützt die schönste Schuldenbremse, wenn der Russe vor der Tür steht?«
Jens Spahn Vizechef der Unionsfraktion im Bundestag
Die Grünen zeigten sich zufrieden mit dem von ihnen Erreichten. »Wir haben ein schlechtes Paket deutlich verbessert und unsere Kernanliegen verankert«, sagte Grünen-Chefin Franziska Brantner der »Stuttgarter Zeitung« und den »Stuttgarter Nachrichten«.
Merz teilte darüber hinaus mit, er gehe davon aus, dass Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nun auch die bereits lange auch von Grünen und FDP geforderten zusätzlichen Militärhilfen für die Ukraine im Umfang von drei Milliarden Euro freigeben werde. Es habe entsprechende Signale aus dem Kanzleramt gegeben. Um dieses Hilfspaket und seine Finanzierung hatte es vor der Bundestagswahl zuletzt scharfe Auseinandersetzungen in der nach Ausscheiden der FDP aus der Ampel-Koalition verbliebenen Minderheitsregierung gegeben. Die Grünen hatten Scholz eine Blockade vorgeworfen.
Ob es am Dienstag tatsächlich die erforderliche Zweidrittelmehrheit für den Kompromiss mit den Grünen gibt, ist noch offen, denn viele Abgeordnete aus Union, SPD und Grünen werden aus dem Bundestag ausscheiden und könnte sich deshalb weniger an die übliche Fraktionsdisziplin gebunden fühlen. Besonders in der Union gibt es auch viel Kritik an der »Kehrtwende« von Friedrich Merz, der im Wahlkampf versprochen hatte, es werde mit ihm kein Aufweichen der Schuldenbremse geben.
Eine entscheidende Hürde beseitigte am Freitag indes das Bundesverfassungsgericht. Wie dessen Zweiter Senat in Karlsruhe am späten Nachmittag mitteilte, wurden sämtliche Eilanträge gegen die Einberufung des alten Bundestags zwecks Grundgesetzänderung als unbegründet abgelehnt. Sie waren zusammen mit Klagen gegen das Prozedere von der Linken, der AfD, dem BSW und einer fraktionslosen Abgeordneten gekommen. Die Wahlperiode werde erst durch den Zusammentritt des neuen Bundestags beendet, schrieb das Gericht. Bis dahin sei der alte ist der alte »in seinen Handlungsmöglichkeiten nicht beschränkt«. Seine Einberufung zu den beiden Sondersitzungen am Donnerstag und Dienstag sei auch nicht »pflichtwidrig«.
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Die bemerkenswerte Geschwindigkeit, mit der es zur Einigung mit den Grünen kam, ist vor allem mit der rasanten geistigen Mobilmachung in der öffentlichen Debatte zu erklären, in der nur Linke- und BSW-Akteure überhaupt noch die Notwendigkeit einer extremen, schuldenfinanzierten Aufrüstung in Frage stellen. Äußerungen wie die von Unions-Fraktionsvize Jens Spahn diese Woche sind längst keine extreme Einzelmeinung mehr. Spahn rechtfertigte die Mega-Finanzpakete mit dem Hinweis: »Was nützt die schönste Schuldenbremse, wenn der Russe vor der Tür steht?« Die Europäer hätten »zugespitzt gesagt nur zwei Möglichkeiten: Wir können uns verteidigen lernen oder alle Russisch lernen«, sagte er der »Frankfurter Allgemeinen«.
Dass 17 US-Geheimdienste in einem vor einem Jahr veröffentlichten gemeinsamen Gutachten (»Annual Threat Assessment of the U.S. Intelligence Community«) zu der Einschätzung kamen, dass Russland »mit ziemlicher Sicherheit keinen direkten militärischen Konflikt mit den Streitkräften der USA und der NATO« wolle, prallt an führenden Politikern Deutschlands und der EU ebenso ab wie Befunde in einer neuen Greenpeace-Studie. Letzterer zufolge verfügt die EU auch ohne die militärischen Kapazitäten der USA bereits mit Verteidigungsausgaben auf dem bisherigen Niveau über weitaus mehr Waffen aller Sparten und Soldaten als Russland.
Scharfe Kritik am Kompromiss kam von Linke, BSW und AfD. Die Linke-Ko-Vorsitzende Ines Schwerdtner sagte den Zeitungen der Funke-Gruppe, mit dem Schuldenpaket werde ein zentraler Fehler der Ampel-Regierung wiederholt, »nämlich Klimaschutz und Aufrüstung ohne sozialen Ausgleich«. »Das wird scheitern und noch mehr Menschen in die Arme der AfD treiben.« Die Linke stehe bereit, »nach der Konstituierung des neuen Bundestags für eine vollumfängliche Reform der Schuldenbremse zu stimmen«, so Schwerdtner. Die Grünen aber ließen sich stattdessen »mit lächerlichen acht Milliarden Euro jährlich für den Klimaschutz kaufen. Doch wo bleibt das Soziale? Wo sind die Mittel für den sozialen Wohnungsbau, die Pflege, die arbeitenden Menschen in unserer Gesellschaft?«
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