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Fehlverhalten in der Polizei: Blaue Mauer des Schweigens

Studienergebnisse zeigen: Von einer Fehlerkultur sind deutsche Sicherheitsbehörden noch weit entfernt

  • Paulina Rohm
  • Lesedauer: 5 Min.
Einheit, Ordnung – und Recht? Das Verhältnis zwischen Recht und Polizei ist gelinde gesagt kompliziert.
Einheit, Ordnung – und Recht? Das Verhältnis zwischen Recht und Polizei ist gelinde gesagt kompliziert.

Seit der Einführung stationärer Grenzkontrollen an den deutschen Grenzen im September 2024 häufen sich Fälle rassistischer Polizeikontrollen. Diese Meldungen, die auf racial profiling – Personenkontrollen aufgrund von rassifizierten, äußerlichen Körpermerkmalen – der Bundespolizei hinweisen, wurden von Betroffenen und Polizist*innen selbst an den Bundespolizeibeauftragten Uli Grötsch herangetragen. An ihn können sich Menschen in Deutschland wenden, um polizeilichen Machtmissbrauch zu melden.

Dass sich ihm mittlerweile auch mehr Polizeibeamt*innen anvertrauen, sei vor einem Jahr noch nicht so gewesen, sagt Grötsch. Das System für Meldestellen für polizeilichen Machtmissbrauch befindet sich seit der Einführung des Hinweisgeberschutzgesetzes (HinSchG) in Deutschland in einem Veränderungsprozess. Mit dem Gesetz befolgt Deutschland eine 2019 beschlossene EU-Richtlinie und verpflichtet damit bundesweit Unternehmen und Behörden mit mindestens 50 Beschäftigten, unabhängige Meldestellen für eventuelles Fehlverhalten einzurichten. Dadurch wird auf die langjährigen Forderungen von Nichtregierungsorganisationen, Betroffenen und Journalist*innen reagiert, in geschlossenen, hierarchisch aufgebauten Institutionen unabhängige Meldestellen zu etablieren.

Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) informiert mit ihrem Projekt »Mach Meldung!« über vorhandene Anlaufstellen. Zudem widmet sie sich der wissenschaftlichen Begleitung und Evaluation dieses Ausbaus des deutschen Meldestellensystems. Dabei beschränkt sie sich auf die Untersuchung des Hinweisgeberschutzes in polizeilichen Behörden, für die ein gut funktionierendes Meldestellensystem besonders wichtig sei.

Vergangenen Mittwoch veröffentlichte die GFF nun eine Studie zu Whistleblowing in der deutschen Polizei. Dafür wurden qualitative Interviews mit 19 Fachkräften des Hinweisgeberschutzes in Berlin und Schleswig-Holstein geführt. Mehr erklärten sich nicht zur Teilnahme bereit. Repräsentativ ist die Studie daher nicht. Sie gibt aber einen Einblick in die momentane Meldekultur in deutschen Polizeibehörden.

Die Bandbreite polizeilichen Fehlverhaltens reicht dabei von problematischen Äußerungen und diskriminierenden Zuschreibungen über physische Gewalt und Belästigung bis hin zu intransparenten Beurteilungen in Dienstellen und autoritären Führungspraktiken. Doch wenden sich Beamt*innen deswegen an entsprechende Meldestellen, kommt es immer wieder zu Einschüchterungsversuchen, Mobbing und beruflicher Benachteiligung durch Kolleg*innen.

»Das ist etwas, das sich über Jahrzehnte zeigt: Die ganz besonders ausgeprägte Abwehr der Polizei, sich überprüfen zu lassen.«

Aiko Kempen Autor und Investigativjournalist

Denn das Problematisieren von Machtmissbrauch innerhalb der Polizei, werdeimmer noch als Bruch mit Korpsgeist und Loyalität wahrgenommen, so das Ergebnis der Studie der GFF. Potenziellen Whistleblower*innen drohten somit persönliche und/oder berufliche Nachteile, wenn sie sich an eine Meldestelle wenden. Daraus resultiere eine »ausgeprägte Konfliktscheue«.

Gepaart mit der Tatsache, dass immer noch viele Meldestellen der Polizeiführung oder dem Innenministerium unterstellt sind, entstehe ein abschreckender Effekt. Laura Kuttler, Juristin und Projektkoordinatorin der GFF, schlussfolgert daher: »Gibt es diese Fehlerkultur nicht, wird die Polizei zur Gefahr für eben die Grundrechte, die sie schützen sollte.«

Die Studie zeigt auf, dass es deswegen einen hohen Bedarf für unabhängige und vertrauenswürdige Ansprechpartner*innen in Polizeibehörden gibt. Außerdem sei Anonymität wichtig, um Hinweisgeber*innen einen möglichst hohen Schutz zu bieten. All dies lasse jedoch noch zu wünschen übrig.

Zu dem gleichen Schluss kommt auch der Autor und Investigativjournalist Aiko Kempen, der seit langem zum Thema Polizeigewalt und rechten Strukturen in der Polizei arbeitet. »Das ist etwas, das sich über Jahrzehnte zeigt: Die ganz besonders ausgeprägte Abwehr der Polizei, sich überprüfen zu lassen.« Kempen betont gegenüber »nd«, es brauche ein Meldestellensystem, das eine tatsächliche Vertrauensbasis schafft. Den polizeilichen Behörden müsse man dementsprechend die Organisationskontrolle entziehen und die Anonymität der Hinweisgebenden gewährleisten: »Die blaue Mauer des Schweigens muss durchbrochen werden.«

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Ein weiterer Faktor, der sich negativ auf die Meldezahlen auswirkt, ist die geringe Bekanntheit der Anlaufstellen bei den Polizeibeamt*innen. So wissen viele Beschäftigte nicht, in welchem Fall sie sich an wen wenden können. Die GFF empfiehlt deswegen zum einen, das unübersichtliche System der Meldestellen auf Länder- und Bundesebene zu vereinfachen. Zum anderen betont sie die Notwendigkeit von Informationskampagnen zu den Meldestellen, beispielsweise in Fort- und Ausbildungen. Die Meldungen müssten aber auch Konsequenzen haben, so Aiko Kempen. Die Meldestellen müssten unabhängige Ermittlungskompetenzen erhalten und die Polizeibehörden müssten sich mit Motiven für Machtmissbrauch und Fehlverhalten auseinandersetzen.

Zudem müsse weiter daran gearbeitet werden, das Narrativ des »Verräters« zu überwinden. So heißt es etwa im Fazit der GFF-Studie: »Ohne einen echten strukturellen sowie kulturellen Wandel und verlässlichen Schutz für Hinweisgeber*innen droht weiterhin das Risiko, dass Missstände nicht gemeldet und notwendige Veränderungen blockiert werden.«

Kempen meint, dass mit dem Schutz von Hinweisgebenden ein erster Schritt in die richtige Richtung getan wird. Polizeigewalt lasse sich jedoch nur prozesshaft bekämpfen: »Mit einem Tool lässt sich nicht etwas Grundlegendes verändern. Das sind große Institutionen, die sind träge.« Es brauche also Ansätze, die an unterschiedlichen Stellschrauben gleichzeitig und auf Dauer drehen.

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