- Politik
- Soziale Medien im Wahlkampf
Diskursive Brandstiftung
Sozialwissenschaftler Holger Marcks über die Rolle von sozialen Medien und Elon Musk im Wahlkampf
Wie beeinflussen soziale Medien die Bundestagswahl?
Grundsätzlich ist der politische Diskurs ohne sie nicht mehr vorstellbar. Das heißt aber nicht unbedingt, dass sie kurzfristig das Wählerverhalten verändern. Sie können auch zur Verfestigung der politischen Milieus beitragen. Zuletzt waren die Umfragewerte ja relativ stabil. Damit da noch einmal Bewegung reinkommt, braucht es einschneidende Ereignisse, wie etwa den Anschlag in Magdeburg. Aber auch das hat nicht unmittelbar zu Verschiebungen etwa zugunsten der AfD geführt. Man muss jedoch sehen, wie sich das Thema im größeren Kontext der Migrationspolitik weiterentwickelt.
Inwiefern profitiert die extreme Rechte von sozialen Medien?
Zunächst muss man sehen, dass sich die extreme Rechte über die sozialen Medien in der breiten Öffentlichkeit etablieren konnte. Dieser Zugang war ihr zuvor verwehrt. Außerdem funktionieren ihre Inhalte auf den digitalen Plattformen gut, denn sie sind prädestiniert für Emotionalisierung und Dramatisierung. Auch postfaktische Inhalte können sich weiterhin hier gut verbreiten. Das ist aber nicht unbedingt das Ergebnis organisierten Lügens. Die meisten fragwürdigen Inhalte entstehen eher aus Gruppendynamiken heraus: Die jeweiligen politischen Milieus deuten Ereignisse in einer Weise aus, die ihren ideologischen Einstellungen entspricht. Das sieht man bei dem Anschlag in Magdeburg deutlich: Es gibt ein wirres Täterprofil, einen bunten Strauß an Informationen – und die Leute suchen sich heraus, was zum gewünschten Narrativ passt.
Holger Marcks ist Sozialwissenschaftler mit Schwerpunkt auf Radikalisierung und Polarisierung im digitalen Kontext. Er ist derzeit Mitarbeiter am Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena (IDZ) und assoziiert mit dem Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik in Hamburg (IFSH). Seit 2022 ist er Redakteur des wissenschaftlichen Online-Magazins »Machine Against the Rage« (www.machine-vs-rage.net).
Wird die AfD nicht gezielte Kampagnen machen, um den Diskurs zu beeinflussen?
Ja, aber die Frage ist auch, warum so etwas verfangen kann. Viele Menschen haben das Vertrauen in die herkömmlichen Medien und Institutionen verloren und sich von dem entfremdet, was gemeinhin unter links verstanden wird – darunter viele Arbeiter. Die AfD hat nicht einfach solch eine Reichweite, weil sie so tolle Social-Media-Strategien hat. In einer Studie unserer Forschungsstelle wurde jüngst der digitale Wahlkampf der AfD in Sachsen, Thüringen und Brandenburg unter die Lupe genommen. Dieser weist gar nicht mal so große Auffälligkeiten auf. Die Partei kann sich vielmehr auf eine digitale Basis stützen, die Inhalte fleißig teilt und jede gegnerische Bewegung mit eigenen Deutungen belegt. Auch vor einer Kampagne wie der von Robert Habeck brauchen sie sich nicht zu fürchten, da sie eh nicht auf die Rückgewinnung von AfD-Wählern abzielt. Diese sehen sich durch seine Inhalte eher bestätigt und arbeiten sich daran ab. Aufbauen können sie dabei auf den genannten Entfremdungsmomenten. Die damit verbundenen Dynamiken folgen also auch soziopolitischen Konfliktlinien, die im digitalen Raum verstärkt werden. Die Leute mobilisieren sich dort ein stückweit selbst.
Elon Musk, der US-Milliardär und neue Besitzer von X, ehemals Twitter, ruft zur Wahl der AfD auf. Welche Konsequenzen hat das?
Musk mischt sich stark in die europäische Politik ein. Das ist als diskursive Brandstiftung durchaus ernst zu nehmen. X ist zwar nicht die größte Plattform, aber als Ort, wo sich einst Journalisten, Wissenschaftler und Politiker tummelten, hat sie eine wichtige Rolle im politischen Diskurs eingenommen. Sie bleibt relevant – auch wenn viele die Plattform verlassen. Dass nun auch Mark Zuckerberg, der Gründer des Meta-Konzerns, dem Musk’schen Beispiel folgen will, wirft die Frage auf, ob es so klug war, Äußerungen zu zensieren, die zwar reaktionär, aber eben nicht strafrechtsrelevant sind. Viele nehmen das als ideologisch motiviert wahr. Und das ermöglicht es nun Musk und Co., sich als Verteidiger der Meinungsfreiheit zu inszenieren. Wir müssen über andere Wege der Regulation nachdenken.
Nimmt Musk auch Veränderungen an Algorithmen vor, damit rechte Inhalte bevorzugt ausgespielt werden?
Man muss hier vorsichtig sein. Viele behaupten das – und beziehen sich auf Untersuchungen. Diese sind handwerklich aber nicht sauber. Generell werden Algorithmen oft überbewertet. Sie spiegeln ja ein stückweit die Präferenzen der Nutzer wider. Es ist daher schwer zu sagen, ob Veränderungen in den Metriken algorithmisch bedingt sind – oder allgemeinen diskursiven Dynamiken folgen. Musks persönliche Kommunikation auf X dürfte da jedenfalls einen viel größeren Einfluss haben. Und klar ist auch, dass dank Musk viele rechtsextreme Akteure auf die Plattform zurückgekehrt sind.
In Medien wird ebenfalls viel über die Angst vor russischer Einmischung berichtet. Wie bewerten Sie diese Gefahr?
Dass Russland den politischen Diskurs in den westlichen Gesellschaften zu manipulieren versucht, ist kein Geheimnis. Man investiert hier viel in entsprechende Netzwerke, mit denen sich Kampagnen simulieren lassen, wie etwa die »SDAleaks« gezeigt haben. Man darf sich das insgesamt aber nicht so vorstellen, dass da einfach Inhalte von AfD oder auch BSW gefördert werden. Man zielt vielmehr darauf ab, Verwirrung zu stiften und Polarisierung voranzutreiben. Es geht dabei weniger um kurzfristige Effekte.
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Welche Rolle spielen KI-generierte Inhalte im Wahlkampf?
Zumindest bei den letzten Landtagswahlen haben wir noch keinen Einsatz von KI-generiertem Material im großen Stil gesehen. Natürlich gibt es Fälle, wo falsche Bilder von Ereignissen erstellt werden. Aber vor allem werden etwa künstliche Bilder als Ersatz für Agenturfotos genutzt, mit denen man eine Botschaft untermalen will. Auch wird KI eingesetzt, um politische Gegner zu verunglimpfen. Aber in beiden Fällen ist das in der Regel für jeden als KI erkennbar.
Alle Parteien bis auf AfD und BSW haben ein »Fairnessabkommen« unterzeichnet, um Mindeststandards für den Umgang zu setzen. Hat das einen Effekt?
Das Abkommen ist symbolisch wichtig: als Zeichen für einen respektvollen Diskurs. Aber die unterzeichnenden Parteien sind nicht die, auf die es ankommt. An der grundsätzlichen Lagerkonstellation ändert es nichts. Aufgrund der Logik der Netzwerke gibt es einen Homogenisierungsdruck in den politischen Milieus. Abwägende und vermittelnde Stimmen sind hier weniger aktiv oder kaufen sich den Ärger in der eigenen Bubble ein. Am meisten Wirkung entfalten die, die laut und aggressiv sind. Bei jedem Ereignis geht es nur noch darum, eine eindeutige Lesart durchzusetzen. Das führt zwangsläufig zur Verrohung.
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