Das Elend des Massentourismus

Spaniens Wirtschaft wächst. Die Armut ebenso schnell

  • Ralf Streck
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Strand Cala Santanyi auf der Insel Mallorca zur Hauptsaison im Sommer 2024
Der Strand Cala Santanyi auf der Insel Mallorca zur Hauptsaison im Sommer 2024

Vertreter der sozialdemokratischen Regierung in Spanien verkünden feierlich positive Wirtschaftsdaten. Wirtschaftsminister Carlos Cuerpo erklärte, die Wirtschaft sei im vergangenen Jahr um gut drei Prozent gewachsen, dabei habe die Flutkatastrophe in Valencia sogar noch dämpfend gewirkt. Sie werde auch 2025 »etwa 1,2 Prozentpunkte Wachstum kosten«, fügte Cuerpo an. Trotz allem sollen die bisher erwarteten 2,4 Prozent noch übertroffen werden. Davon träumt man in Deutschland, das seit zwei Jahren in der Rezession hängt und auch 2025 wirtschaftlich auf der Stelle treten soll.

Auch die Arbeitsministerin Yolanda Díaz zeigt sich begeistert angesichts neuer Arbeitsmarktdaten. Die offizielle Arbeitslosenquote ist so niedrig wie 2007 vor der Finanzkrise nicht mehr. Erstmals gebe es Wachstum dank »verbesserter Arbeitsmarktbedingungen«, meint sie. Es sei »ein Novum«, dass »die Beschäftigung die Wirtschaft wachsen lässt.« Doch die Arbeitsministerin von der Linkskoalition »Sumar« (Deutsch: Summieren) lässt unerwähnt, dass sich die lange und recht starke Wachstumsphase seit dem Ende der Covid-Pandemie nur begrenzt am Arbeitsmarkt spiegelt.

Spitzenreiter bei Jugendarbeitslosigkeit

Während einige Medien Spanien zur »Lokomotive Europas« erklären, ist das Land real weiterhin Arbeitslosen-Spitzenreiter in der EU. Die europäische Statistikbehörde Eurostat weist eine Quote von 11,2 Prozent aus, womit Spanien vor dem einstigen Sorgenkind Griechenland (9,8 Prozent) liegt. Besonders finster sieht es bei der Jugendarbeitslosigkeit aus. Mehr als jeder vierte junge Mensch (26,7 Prozent) ist erwerbslos – kein Ruhmesblatt für die selbst ernannte »fortschrittlichste Regierung« nach fünf Jahren im Amt. Arbeitslosenzahlen wie 3,4 Prozent in Deutschland scheinen hier außer Reichweite.

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Auch die meist bescheidenen Löhne können die Wirtschaft kaum antreiben. Im Jahr 2024 stieg die Armutsquote erneut gegenüber dem Vorjahr, rechnet die Gewerkschaft USO vor. 12,7 Millionen Menschen (26,5 Prozent), 240 000 mehr als 2023, sind arm oder von Armut bedroht – trotz des starken Wachstums. Die Großbank BBVA macht dafür auch die hohe Inflation verantwortlich.

Hohe Mieten, wenig Kaufkraft

Auf ein extremes Problem weist der Wirtschaftswissenschaftler Julen Bollain hin. »In nur 10 Jahren ist die Kaufkraft junger Menschen um zehn Prozent gesunken, die Mieten haben sich aber um 53 Prozent verteuert«. Neben einer seit Jahrzehnten praktisch inexistenten Wohnungsbaupolitik ist hierfür auch die Nachfrage aufgrund der steigenden Bevölkerungszahl verantwortlich. Die schwoll 2024 um eine weitere halbe Million an.

Hinzu kommt der Tourismusboom, für den immer mehr Wohnraum in lukrative Unterkünfte umgewandelt wird. Die Branche erreicht dabei immer wieder neue Rekordwerte. Fast 89 Millionen Menschen haben im Jahr 2024 allein in den ersten elf Monaten das Land besucht. Der Vorjahresrekord von 85,1 Millionen wurde deutlich übertroffen. 71 Prozent des Wirtschaftswachstums entfielen schon im Vorjahr auf die Tourismusindustrie, hatte der renommierte Wirtschaftswissenschaftler Santiago Niño Becerra vorgerechnet.

Tourismus statt Wertschöpfung

Das erklärt Becerra zufolge, warum zwar die Zahl der Beitragszahler in der Sozialversicherung mit 21,3 Millionen einen neuen Rekord erreichte, die Erwerbslosigkeit aber weitverbreitet bleibt. Stellen im Tourismus »akzeptieren viele Spanier nicht.« Für die »prekären« Jobs kommen Einwanderer. Die konsumieren auch, »soweit sie können«, und auch das generiere Wirtschaftswachstum. Das sei das Modell, wonach »Spanien stets verkauft«, statt für »eigene Wertschöpfung in produktiven Prozessen« zu sorgen.

Dort fehlen die Investitionen. Spanien liegt im unteren Bereich bei der Arbeitsproduktivität in der EU und fällt immer weiter zurück, zeigt Becerra auf. Dass 67 Prozent der meist jungen Auswanderer über einen Hochschulabschluss verfügen, dagegen nur 16 Prozent der Einwanderer, weist für Becerra auch auf eine eher finstere Zukunft hin. Der Massentourismus stößt ohnehin längst an alle Grenzen, wie riesige Demonstrationen gegen Übertourismus und explodierende Mieten zeigen.

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