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Nordkoreanische Kriegsgefangene: Propagandaerfolg, und nun?
Die Festnahme zweier nordkoreanischer Soldaten wird der Ukraine kaum helfen, glaubt Daniel Säwert
Prestigeerfolg für Wolodymyr Selenskyj. Am Wochenende verkündete der ukrainische Präsident, dass seine Armee zwei Soldaten aus Nordkorea gefangengenommen habe. Leicht sei das nicht gewesen, schreibt Selenskyj auf Telegram, tun doch Russland und Nordkorea alles dafür, die Anwesenheit von schätzungsweise 10 000 Soldaten geheimzuhalten. Das Geheimnis war aber schon seit Längerem ein offenes. Dennoch hat sich Kiew bemüht, zu beweisen, was bereits alle wussten.
Die Jagd nach den Nordkoreanern glich dem Versuch, ein seltenes mythisches Wildtier zu fangen, bei dem man nicht weiß, wie es sich in der Zivilisation verhält oder ob es überhaupt überleben kann. Ukrainische Propaganda von pornosüchtigen und saufenden Soldaten verstärkte das Bild des mysteriösen wilden Nordkoreaners in ungewohnter Umgebung nur noch mehr.
Erster Kriegsgefangener stirbt im Gewahrsam
Ende Dezember misslang ein erster Versuch der Enttarnung, als ein gefangengenommener Soldat kurz darauf starb. Nun also der Erfolg. Die beiden Kim-Krieger, derer man jetzt habhaft wurde, seien zwar verletzt, würden aber überleben, betonte Selenskyj. Dank ukrainischer medizinischer Hilfe.
Kiew muss den Soldaten aber mehr als reine medizinische Hilfe zukommen lassen. Auf der Welle des Erfolges hat der Geheimdienst Fotos und Videos veröffentlicht, in denen beide Nordkoreaner unverpixelt zu sehen sind. Das war bereits im Dezember der Fall. Dieses Vorführen, zumal sichtlich verängstigter Kriegsgefangener, die möglicherweise nicht einmal wissen, wo sie sich genau befinden, ist nicht vereinbar mit dem Kriegsrecht.
Kiew hat Gefangene schon früher vorgeführt
Bereits kurz nach dem Beginn der russischen Invasion veröffentlichte die Ukraine im Frühjahr und Sommer 2022 etliche solcher Bilder und Videos und stellte die Praxis erst nach heftiger internationaler Kritik ein. Auch den jetzigen beiden Soldaten steht das Recht auf Anonymität zu. Zumal in einem Land, dass erklärtermaßen für europäische Rechte und Werte kämpft.
Die Ukraine muss sich fragen, was nach der propagandistischen Ausschlachtung kommen soll. Südkoreas Geheimdienstler sind bereits in Kiew und befragen die beiden Nordkoreaner. Sie dürften vor allem an Erkenntnissen für das politische Geschehen auf der eigenen Halbinsel interessiert sein. Mehr Militärhilfe, die Kiew fordert, steht indes nicht in Aussicht. Auch von den Europäern wird kaum etwas zu holen sein. Zumal die Soldaten auf russischem Staatsgebiet gefangengenommen wurden, wo sie sich völkerrechtlich aufhalten dürfen.
Kiew wird aus den Nordkoreanern kaum Kapital schlagen können
Niemand wird dies als Anlass nehmen, seine Truppen in die Ukraine zu schicken. Auch Wladimir Putin wird seine Aggression nicht einstellen. Noch schlimmer. Die Ukraine wird in der Region Kursk immer mehr zurückgedrängt. Bricht die Front dort zusammen, stehen bis zu 60 000 Soldaten vor der Großstadt Sumy. Dann könnten auch Nordkoreaner in die Ukraine einmarschieren und würden die Situation wirklich verändern. Bleibt zu hoffen, dass dieses Szenario nicht eintreten wird.
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