Unerschrockener Kampf gegen Zwangsheirat und Gewalt gegen Frauen

Franchelis Pana Epiayu wurde als Kind gegen ihren Willen zweimal verheiratet – und wollte sich ihren Männern nicht mehr unterwerfen

  • Philipp Hedemann, Milagro de Dios
  • Lesedauer: 8 Min.
Franchelis Pana Epiayu leitet einen Workshop zu Gewalt gegen Frauen.
Franchelis Pana Epiayu leitet einen Workshop zu Gewalt gegen Frauen.

»Du hast schon wieder nicht ordentlich saubergemacht! Du kriegst von mir keinen einzigen Peso mehr. Und beim nächsten Mal knallt’s!«, brüllt ein Mann seine auf dem Boden liegende, wimmernde Frau an. Drohend hat er seine Hand erhoben. Eine Szene, wie sich im patriarchalisch geprägten Kolumbien jeden Tag tausendfach abspielt. Heute ist sie zum Glück nur nachgestellt. Der brüllende Mann und die weinende Frau werden von Teilnehmerinnen eines Workshops zur Sensibilisierung für geschlechtsspezifische Gewalt gespielt. Auch die drei Frauen, die der bedrohten Ehefrau zur Hilfe eilen, sind Teilnehmerinnen der Übung. »Das darfst Du Dir nicht gefallen lassen! Wir helfen Dir. Dein Mann hat nicht das Recht, Dich so zu behandeln. Komm, wir rufen die Polizei!«, sagen sie, als sie ihrer Freundin aufhelfen.

»Super! Das habt Ihr toll gemacht! Und wenn Ihr das nächste Mal mitbekommt, dass eine Frau wirklich in Gefahr ist, müsst ihr genauso mutig reagieren wie gerade im Rollenspiel. Wir lassen uns Gewalt gegen Frauen nicht mehr gefallen«, ruft Franchelis Pana Epiayu mit durchdringender Stimme und erntet von 20 Frauen lauten Beifall.

Dass die 25-Jährige den Workshop in Milagro de Dios, einer Armensiedlung am Rande der Großstadt Riohacha im Nordosten Kolumbiens, mit so viel Leidenschaft und Überzeugungskraft leitet, liegt auch daran, dass die kleine Frau mit dem großen Selbstbewusstsein genau weiß, wovon sie spricht und was sie erreichen möchte.

Zwangsheirat mit 13 Jahren

»Ich war 13 Jahre alt, als mein Onkel mich an einen 18 Jahre alten Mann verheiratete, den ich nicht kannte«, erzählt Franchelis Pana in dem winzigen Hof hinter ihrem bescheidenen Haus in Milagro de Dios. Ihre Familie erhielt für sie zehn Ziegen, traditionellen Schmuck, mehrere Kisten Bier und Rum und umgerechnet einige 100 Euro. Bei den Wayúu, einer indigenen Bevölkerungsgruppe in Kolumbien und Venezuela, sind arrangierte Kinderhochzeiten noch immer weit verbreitet. »Ich wollte damals ein Kind sein. Ich wollte spielen. Ich wollte frei sein und selbst über mich entscheiden. Aber ich wollte ganz bestimmt nicht schwanger werden«, erzählt sie mit Wut in der Stimme.

Doch ohne Zugang zu Verhütungsmitteln war sie schnell schwanger, bald darauf war sie allein. Einen Monat, bevor sie mit 14 Jahren ihr erstes Kind zur Welt brachte, wurde der Mann, mit dem sie gegen ihren Willen verheiratet worden war, von einem Lastwagen überfahren und starb. »Ich habe ihn nicht geliebt«, kommentiert sie den Tod ihres ersten Mannes ungerührt.

Zwei Jahre nachdem sie das erste Mal gegen ihren Willen verheiratet worden war, verkaufte ihre Familie sie an einen weiteren älteren Mann. Weil sie – zu diesem Zeitpunkt selbst noch ein Mädchen – bereits ein Kind in die Ehe einbrachte, kassierte die Familie für sie sogar einen höheren Brautpreis als beim ersten Mal.

Schon lange bevor sie verkauft wurde, wurde ihr Leben von Gewalt bestimmt. Geboren in Kolumbien, musste sie 2001 mit ihrer Familie vor den Kämpfen zwischen Farc-Rebellen, Paramilitärs und der kolumbianischen Armee nach Venezuela fliehen. Ihre Eltern befürchteten, dass die Rebellen ihr Dorf überfallen und die männlichen Familienmitglieder für den brutalen Krieg zwangsrekrutieren könnten. Die damals zweijährige Franchelis floh auf dem Arm ihrer Mutter. Als sie 19 Jahre später vor Armut und Gewalt in Venezuela zurück in ihre Heimat Kolumbien flieht, hat sie selbst ihren dreijährigen Sohn Jeronimo* auf dem Arm, ihren siebenjährigen Sohn Emmanuel* an der Hand und ihre ungeborene Tochter im Bauch.

Mit rund 20 weiteren Flüchtlingen auf der Ladefläche eines Lastwagens zusammengepfercht, hatte die junge Mutter Kolumbien fast erreicht, als schwer bewaffnete Banditen den Lkw stoppten. Die maskierten Männer raubten den Flüchtenden ihre Handys, ihr Geld und ihr gesamtes Gepäck und drohten Vergewaltigungen an. »Die meisten Frauen hatten panische Angst, dass die Banditen sich an ihnen vergehen könnten. Aber ich hatte nur Angst um meine Kinder und habe sie ganz fest an mich gedrückt«, erinnert sie sich an ihre traumatisierende Flucht.

Nur mit den Kleidern, die sie am Leib trug, und ihren beiden Kindern erreichte sie schließlich Kolumbien. In Milagro de Dios traf sie Mitarbeiterinnen der Hilfsorganisation SOS-Kinderdörfer weltweit.

Hilfe von SOS-Kinderdörfer weltweit

Die Sozialarbeiterinnen versorgten die werdende Mutter mit Essen, Windeln sowie einer Babybadewanne und luden ihre beiden älteren Kinder zu regelmäßigen Treffen mit anderen Kindern ein. Ihr wurde in Workshops der SOS-Kinderdörfer weltweit bewusst, wie oft ihr von ihrer Familie und ihren Männern Gewalt angetan wurde. Sie beschloss, nie wieder Opfer zu sein und möchte dafür sorgen, dass anderen Mädchen und Frauen ein ähnliches Schicksal erspart bleibt.

Drei Jahre nachdem sie als Teilnehmerin den ersten Workshop zu geschlechtsspezifischer Gewalt besucht hatte, leitete sie als Trainerin ihren ersten Kurs zum Thema Mädchen- und Frauenrechte. »Dass ich heute die Frau bin, die ich immer sein wollte, verdanke ich SOS«, sagt die Mutter von drei Kindern, die in ihren Workshops auch über Bildung, Verhütung, Schwangerschaft und Kindererziehung spricht.

»Damit unsere Töchter nicht denken, dass Gewalt in einer Ehe normal und akzeptabel ist und unsere Söhne nicht das Verhalten von gewalttätigen Ehemännern und Vätern imitieren, ist es so wichtig, dass wir der Gewalt in unseren Familien und Dörfern endlich ein Ende setzen. Ich weiß: Wenn wir zusammenhalten, können wir es schaffen«, ruft sie in einer bunt gestrichenen Versammlungshalle den Teilnehmerinnen ihres Kurses zu.

Die jüngste von ihnen ist noch minderjährig, erwartet aber schon bald ihr erstes Kind, die älteste Teilnehmerin ist Franchelis Panas eigene Mutter. Alle wissen aus eigener Erfahrung, wovon sie spricht. Denn Gewalt – so haben die Workshop-Teilnehmerinnen gerade gelernt – sind nicht nur Schläge und Tritte, sondern auch emotionale, ökonomische, verbale und sexuelle Gewalt. Oft tritt diese Gewalt besonders brutal zu Tage, wenn Mädchen noch als Kinder verheiratet werden, so wie es ihr selbst und einigen anderen Kursteilnehmerinnen widerfahren ist.

»Als er mich heiratete, war ich noch ein Kind, das sich alles gefallen ließ. Mein Mann sagte zu mir: ›Ich habe Dich gekauft. Du gehörst mir. Ich kann mit Dir machen, was ich will!‹ Aber das habe ich mir irgendwann nicht mehr gefallen lassen. Da ist er abgehauen und hat mich mit den drei Kindern sitzen lassen. Ich habe ihm keine Träne nachgeweint«, erzählt Franchelis Pana nach ihrem Workshop trotzig, während sie ihre vierjährige Tochter Mariana* fest an sich drückt. Sie soll sich eines Tages selbst entscheiden, ob und – wenn ja – wen sie heiratet und ob sie Kinder haben möchte. Nur bei der Berufswahl ihrer Tochter hat sie einen Wunsch: Eines Tages soll sie Anwältin werden und für die Rechte von Mädchen und Frauen kämpfen.

Franchelis Pana wünscht sich, dass durch die Teilnahme an ihren Workshops mehr Frauen den Mut aufbringen, sich gegenüber gewalttätigen Männern zur Wehr zu setzen – und hat damit Erfolg. »Einmal kam ein Mann zu mir und beschwerte sich, dass seine Frau aufmüpfig geworden sei und sich von ihm nicht mehr hin und her kommandieren ließe, nachdem sie einen meiner Kurse besucht hatte. Da wusste ich: Ich hatte alles richtig gemacht«, sagt sie und lacht laut.

»Einmal kam ein Mann zu mir und beschwerte sich, dass seine Frau aufmüpfig geworden sei und sich von ihm nicht mehr hin und her kommandieren ließe, nachdem sie einen meiner Kurse besucht hatte. Da wusste ich: Ich hatte alles richtig gemacht.«

Franchelis Pana Epiayu

Dass ihre Kurse wirken, bestätigt auch Gyna Zambrano, eine SOS-Kinderdörfer-Mitarbeiterin, die Franchelis Pana zur Workshop-Leiterin ausgebildet hat. »Bevor sie in die Workshops kamen, wussten viele Frauen gar nicht, dass ihnen emotionale und ökonomische Gewalt angetan wurde. Sie hatten sich so daran gewöhnt, dass Gewalt für sie ganz normal war. Viele schämten sich, ihre Männer anzuzeigen oder hatten Angst, so den Hauptverdiener der Familie zu verlieren. Das ändert sich jetzt zum Glück allmählich.«

Viele der Männer seien sich zuvor gar nicht bewusst, dass sie Gewalt ausübten. »Da die allermeisten Männer sich glückliche Frauen und Familien wünschen, sind sie durchaus daran interessiert, ihr Verhalten entsprechend zu ändern. Aber das passiert natürlich nicht über Nacht«, berichtet Gyna Zambrano. Doch seitdem die SOS-Kinderdörfer Männer und Frauen für Gewalt sensibilisieren, stellt Zambrano bei ihren zahlreichen Hausbesuchen eine deutliche Verbesserung fest. »In vielen Familien geht es bereits friedlicher und respektvoller zu«, so die Sozialarbeiterin.

Franchelis Pana reicht das nicht. »Ich bin stolz, auf das, was wir schon gemeinsam erreicht haben. Aber da die Polizei bei Gewalt und Mord gegen Mädchen und Frauen noch viel zu oft wegschaut, müssen wir Frauen uns zusammentun und uns wehren, bis wir endlich in Sicherheit leben können.«

* Namen geändert. Die Recherche fand auf Einladung von SOS-Kinderdörfer weltweit statt.

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