- Politik
- Frankreich
Premier Bayrou auf dünnem Eis
Französische Sozialisten drohen weiter mit der Unterstützung eines Misstrauensvotums gegen die neue Regierung
Zum Auftakt seiner Regierungserklärung, die der neue Premierminister François Bayrou am Dienstag in Paris vor der Nationalversammlung abgab, bewies er nüchternes Einschätzungsvermögen und eine kräftige Portion Galgenhumor: »Umfragen zufolge sind 84 Prozent der Franzosen davon überzeugt, dass ich mit meiner Regierung das erste Jahr nicht überstehen werde«, sagte er. »Ich frage mich nur, woher die restlichen 16 Prozent ihren Optimismus nehmen.«
Tatsächlich sind die Vorzeichen nicht sonderlich ermutigend, wie die Debatte um die Erklärung bestätigte. Es wurde einmal mehr deutlich, dass sich das Regierungslager auf Macrons Partei Renaissance und Bayrous Zentrumspartei Modem sowie die Partei Horizont des ehemaligen Premiers Edouard Philippe beschränkt, die von einer Mehrheit im Parlament nur träumen können. Sie sind auf Gedeih und Verderb auf die Unterstützung von Fall zu Fall durch die rechtsbürgerliche Oppositionspartei der Republikaner angewiesen, und die scheut sich nicht, dem Regierungslager ihre Bedingungen zu diktieren.
Angesichts dieser heiklen Lage hat der Regierungschef darauf verzichtet, am Ende seiner Regierungserklärung die Vertrauensfrage zu stellen. Das war auch gar nicht nötig, denn die radikal-linke Bewegung La France insoumise (LFI) hatte bereits einen Misstrauensantrag gegen die Regierung Bayrou eingebracht, über den noch vor Ende der Woche debattiert und abgestimmt werden soll. Zu ihrem Sturz wird das noch nicht führen, denn für die dafür nötige Mehrheit fehlen vorläufig die Stimmen des Rassemblement National (RN). Die Rechtsradikalen wollen die Regierung Bayrou erst einmal »tolerieren« und abwarten, ob und wie sie auf die politischen und sozialen RN-Forderungen reagiert.
Zu vielen Themen der Regierungserklärung hat François Bayrou kaum mehr getan, als die Positionen seiner Amtsvorgänger Gabriel Attal und Michel Barnier aufzugreifen und fortzuschreiben. So bezeichnete er die 3228 Milliarden Euro Staatsschulden als »Damoklesschwert über unserem Kopf und dem der künftigen Generationen« und begründete damit, warum er im Wesentlichen an den harten Sparmaßnahmen seiner Vorgänger festhält. Vom Ziel, die Neuverschuldung bis 2029 auf 3 Prozent des Bruttosozialprodukts zurückzuschrauben und in diesem Sinne im laufenden Jahr bereits auf 5,4 Prozent zu drücken, rückt Bayrou nicht ab. Andererseits korrigiert er die Prognose für Frankreichs Wachstumsrate für 2025 auf 0,9 Prozent nach oben.
Das Verhältnis zwischen Bürgern und Behörden will der Regierungschef durch eine umfassende Entbürokratisierung spürbar verbessern und beispielsweise die »Beweislast« umkehren. »Künftig haben die Behörden die Formulare auszufüllen, und der Bürger kontrolliert nur noch, ob auch alles korrekt ist«, sagte er. Im Interesse von mehr Demokratie sollen Volksabstimmungen einfacher möglich gemacht und schrittweise Elemente des Verhältniswahlrechts eingeführt werden. Das soll auf lange Sicht auch in Frankreich die Konfrontation der Blöcke aufbrechen und den Weg für Verhandlungen, Kompromisse und Koalitionen frei machen.
Doch das Thema, auf das sich alle Augen richteten, war die Rentenreform. Die Regierung hatte in den letzten Tagen intensiv mit Spitzenpolitikern der Sozialisten (PS) verhandelt, um sie aus dem Lager der linken Volksfront herauszulösen und wenigstens zu einer Tolerierung der Regierung und ihrer Politik zu bewegen. Dafür stellte Bayrou sogar in Aussicht, die Rentenreform zwar nicht rückgängig zu machen, aber, wie von den Sozialisten gefordert, »auszusetzen« und eventuell sogar das Rentenalter wieder zu senken.
Doch da viele seiner eigenen Gefolgsleute protestierten und die rechten Republikaner drohten, ihre Unterstützung der Regierung aufzukündigen, lenkte Bayrou ein. In seiner Rede kündigte er nun lediglich Verhandlungen zwischen den Unternehmerverbänden und den Gewerkschaften um Korrekturen an der Rentenreform an, um sie »sozial gerechter zu machen, ohne ihre Finanzierung zu gefährden«. »Die Mindestbedingung, die wir gefordert haben, ist nicht erfüllt«, erklärte der PS-Abgeordnete Arthur Delaporte. Sollten diese Verhandlungen, die noch vor Ende der Woche aufgenommen werden sollen, innerhalb von drei Monaten zu keinem tragfähigen Ergebnis führen, bleibt es laut Bayrou bei der Rentenreform in ihrer gegenwärtigen Form.
Damit hat sich das Kalkül, die Sozialisten könnten aus dem Linksbündnis Neue Volksfront ausscheren und die Regierung tolerieren, höchstwahrscheinlich erledigt. Für diesen Fall hatte Jean-Luc Mélenchon, der Gründer der radikal linken Bewegung La France insoumise, mit massiven Reaktionen gedroht. Bei den nächsten Kommunal- und Parlamentswahlen sollten in allen Wahlkreisen LFI-Gegenkandidaten zu den sozialistischen aufgestellt und damit verhindert werden, dass die PS wieder so viele Abgeordnete bekommt, dass sie zum Status einer regierungsfähigen Partei zurückfindet.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.