Messerverbot in Berlin: Ab jetzt nur noch Faustkämpfe

Drei vom Berliner Senat beschlossene Messerverbotszonen gelten ab Februar

  • Peter Nowak
  • Lesedauer: 4 Min.
Brennpunkt »Kotti«: Ab Februar darf die Polizei hier verdachtsunabhängig kontrollieren und nach Messern suchen.
Brennpunkt »Kotti«: Ab Februar darf die Polizei hier verdachtsunabhängig kontrollieren und nach Messern suchen.

Strengere Kontrollen werden als sicherheitspolitisches Werkzeug immer beliebter. In einen Monat soll es in Berlin drei Waffen- und Messerverbotszonen geben. Das betrifft den Görlitzer Park und das Kottbusser Tor in Kreuzberg sowie den Leopoldplatz im Wedding – alle drei Areale gelten als sogenannte Gefahrengebiete. Da sie zugleich Räume für Wohnen und Freizeitgestaltung sind, hinterfragen Anwohner*innen und Politiker*innen diese Entscheidung.

Laut einer vom Senat beschlossenen Rechtsverordnung ist es in den betroffenen Gebieten ab dem 15. Februar 2025 verboten, Waffen und Messer aller Art mitzuführen. Das gilt für klassische Schusswaffen ebenso wie für Schreckschuss-, Reizstoff- und Signalwaffen – auch dann, wenn die Besitzer*innen einen sogenannten kleinen Waffenschein haben. Das Messerverbot wird ebenfalls weit ausgelegt. In der Verordnung heißt es: »Der Begriff des Messers ist umfassend: Erfasst sind daher grundsätzlich auch Taschen- und Küchenmesser.« Lob für diese Maßnahmen und die Berliner Innensenatorin Iris Spranger (SPD), die sie ins Rollen brachte, kam von den beiden Polizeigewerkschaften und von Boulevardmedien. Dort ist auch zu lesen, dass die Verbote bei der Berliner Bevölkerung auf große Zustimmung stoßen.

Doch es gibt auch Kritiker*innen der Verbotszonen. Einer davon ist Matthias Coers, der seit Jahren zusammen mit seiner Freundin und seiner Tochter am Kottbusser Tor wohnt. »Wenn man als Anwohner und auch als Vater mit Kindern die Ankündigung des Senats liest, dann fühlt man sich einfach stigmatisiert. Es ist eine schlechte Politik des Sündenbocks, die hier mit der Benennung von gefährlichen Orte betrieben wird, als wenn sonst alles in Ordnung wäre«, moniert Coers gegenüber »nd«. Er bezweifelt auch, dass die Verbote zu weniger Verletzten durch Messerangriffe führen. »Das Verbot eines Taschenmessers wird keinen der Konflikte lösen, die Menschen mit Gewalt zu lösen versuchen. Menschen, die solche Waffen gegen andere einsetzen, lassen sich von einem Schild hier nicht abschrecken«, sagt Coers. Doch seine Kritik geht weiter: »Wenn man sich die genaue Verbotszone anschaut, merkt man auch, wie willkürlich die Grenzen gezogen sind.«

»Das Verbot eines Taschenmessers wird keinen der Konflikte lösen, die Menschen mit Gewalt zu lösen versuchen.«

Matthias Coers Anwohner

Gerade am Kottbusser Tor mit seinen vielen Anlaufstellen für Dienstleistungen, Gastronomie und Feiern sind nach Ansicht des Anwohners solche repressiven Maßnahmen überflüssig. »Es gibt hier ein hohes Maß an sozialer Kontrolle durch die intensive Nutzung durch die Mieter*innen. Auch die öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften engagieren sich für ein gutes Miteinander«, hebt Coers hervor. Das Messerverbot hält er daher für ein falsches Signal: »Damit werden unsere Bemühungen hier in der Nachbarschaft konterkariert.«

Damit ist Coers nicht alleine. Der innenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Vasili Franco, sieht in den Messerverboten vor allem Symbolpolitik. »Auch die schwarz-rote Koalition dürfte wissen, dass Messerverbotszonen niemanden von gezielten Taten abhalten werden. Waffenverbotszonen tragen wenig zur Sicherheit bei, sie binden massenhaft Ressourcen bei der Polizei, sind ineffektiv und ermöglichen Kontrollen ohne jeglichen Verdacht«, erklärte Franco gegenüber »nd«. Er sieht die Gefahr von Diskriminierung: »Kontrollen ohne Verdacht sind rechtsstaatlich problematisch und ein Einfallstor für Racial Profiling.«

Kritisch betrachtet der Grünen-Politiker auch die Auswahl der Verbotszonen. »Eine stadtweite Analyse liegt der Entscheidung über die Einrichtung der Zonen offensichtlich nicht zugrunde. Dabei geraten im nächsten Sommer alle Besucher*innen der Grillwiese im Görlitzer Park unter Tatverdacht«, befürchtet Franco. Die Pressestelle des Berliner Senats für Inneres und Sport verteidigt gegenüber »nd« die Lage der Verbotszonen. »Die Auswahl erfolgte nach genauer Betrachtung von Orten und Plätzen, an denen es immer wieder zu erheblichen Straftaten kommt und das Sicherheitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger stark beeinträchtigt ist.«

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So sei die Häufung der Messerangriffe auch Grund für die Einführung des umfassenden Messerverbots. »Bundesweit und in Berlin haben Angriffe mit Messern im öffentlichen Raum zugenommen. Die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) hat 2023 in Berlin 3482 Messerangriffe erfasst.« Das seien fünf Prozent mehr als 2022.

Zumindest Gastronomen können hoffen, trotz des Verbots weiter ihr Gewerbe in den Verbotszonen ausüben zu können. Die Pressestelle verweist darauf, dass in der Rechtsverordnung Ausnahmen für Fälle eines berechtigten Interesses formuliert sind. »Ein solches kann zum Beispiel für Inhaber*innen gastronomischer Betriebe, ihre Beschäftigten sowie für Rettungskräfte und Einsatzkräfte im Brand-, Katastrophen- und Zivilschutz bestehen«, so die Pressestelle der Senatsinnenverwaltung. Menschen, die ein privates Grillfest organisieren, werden nicht genannt.

Ausgerechnet ein generelles Messerverbot in einem Gebiet zu verhängen, in dem viele Menschen grillen, hält auch Anwohner Matthias Coers für kontraproduktiv. »Ich hoffe sehr, dass die Polizei vor Ort trotz der nach meiner Einschätzung sehr unsinnigen Verordnung respektvoll mit den Menschen umgeht, die sich im öffentlichen Raum ein Brötchen mit einem Brotmesser schmieren.«

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