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Mieten in Berlin: Wir holen uns die Stadt – aber wie?
Die Mietenbewegung diskutiert unterschiedliche Strategien gegen den Ausverkauf der Stadt
Es ist ruhig geworden um die Initiative »Deutsche Wohnen und Co. enteignen« (DWE). Eine große Mehrheit der Wahlberechtigten in Berlin hatte 2021 für den Volksentscheid gestimmt. Doch umgesetzt wurde er bis heute nicht. Dafür sorgten die Berliner Koalitionsparteien. Ermöglicht wurde ihnen das, weil ihnen laut dem abgestimmten Text der Kampagne die Ausgestaltung eines Gesetzes zum Rückkauf der Wohnkonzerne obliegen sollte. Nun plant DWE einen neuen Volksentscheid, in dem ein konkretes Gesetz zur Abstimmung gestellt werden soll, das von Jurist*innen ausgearbeitet wird.
Aber ist diese Kampagne überhaupt eine geeignete Strategie zur Aneignung der Stadt? Diese Frage stellten die Freund*innen der klassenlosen Gesellschaft am Mittwochabend auf ihrem sozialrevolutionären Jour Fixe im Berliner Mehringhof zur Diskussion. Felix stellte für die rätekommunistisch orientierte Gruppe zu Beginn die Frage, wieso es kaum Proteste gab, nachdem der Volksentscheid so offensichtlich ignoriert wurde, und sich an der miserablen wohnungspolitischen Situation in Berlin nichts zum Besseren geändert hat. Könnte die Strategie, sich mit den Instrumenten des Staates und seiner Institutionen die Stadt zurückzuholen, fehlgeleitet sein?
Wären da nicht die Besetzungen eine Alternative, bei denen sich die Beteiligten die Häuser schließlich direkt aneignen? Uwe Möller, der in den 1980er Jahren in der Westberliner Hausbesetzer*innenbewegung und heute in der Mieter*innenbewegung aktiv ist, verneint diese Frage. Er schilderte das politische Umfeld, in dem Anfang der 1980er Jahre in Westberlin über 160 Häuser in kurzer Zeit besetzt werden konnten. Da wären die Krise der jahrzehntelang in Westberlin regierenden SPD ebenso wie ein Aufschwung autonomer Kämpfe in ganz Westeuropa. Möller zählte militante Demonstrationen gegen den Bau von Atomkraftwerken, den Widerstand gegen das Rekrutengelöbnis in Bremen und die Startbahn West im Rhein-Main-Gebiet auf. Und in Westberlin gingen damals Zehntausende gegen den Besuch US-amerikanischer Politiker auf die Straße.
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Die besetzten Häuser waren in dieser linken Bewegung, die sich bewusst außerhalb politischer Parteien und staatlicher Institutionen organisierte, wichtige Orte der Vernetzung und auch des Rückzugs. Möller schilderte, wie sie Zielscheibe staatlicher Repression wurden, besonders unter dem Westberliner Innensenator und CDU-Rechtsaußen Heinrich Lummer. Die Besetzer*innenbewegung konnten die sofortige Räumung aller Häuser verhindern. Aber neben zahlreichen mit Verträgen abgesicherten Hausprojekten, die teilweise bis heute bestehen, wurden die Häuser der »Nichtverhandler*innen« später geräumt.
Anders als vor 45 Jahren kann heute von einer dynamischen außerparlamentarischen Linken nicht die Rede sein. »Heute sind statt Wohngemeinschaften eher Eigentumswohnungen und Baugruppen auch bei Menschen aus dem grünen Milieu angesagt«, sagt Möller. Die seit 2010 entstandene Mieter*innenbewegung in Berlin sieht Möller daher als einen Erfolg. Vor allem, weil dort Menschen aller Altersgruppen aktiv sind. Anders als in der Hausbesetzer*innenbewegung, an der sich überwiegend junge Menschen beteiligten.
Doch das Mittel der Besetzung ist auch in der Mieter*innenbewegung nicht unbekannt. So besetzten 2012 Senior*innen ihre Begegnungsstätte in der Stillen Straße 10 in Pankow, um eine Schließung zu verhindern. Sie wurden dabei von jungen Antifaschist*innen eines linken Pankower Jugendclubs unterstützt. Diese Kooperation ist dokumentiert in dem Film »Mietrebellen«. Am 4. und 5. April soll im Kiezhaus Agnes Reinhold in Wedding das Seminar »10 Jahre Mietrebell*innen« stattfinden, bei dem die Debatte über Perspektiven der Mieter*innenbewegung fortgesetzt wird.
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