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Heilende Kälte
Kalte Duschen oder Eisbaden: Temperaturreize stärken vermutlich das Immunsystem
Die Anwendung von Kälte hat eine lange Tradition. Schon Ärzte der Antike beschrieben, wie sie sich zu therapeutischen Zwecken nutzen lässt. Inzwischen ist das gesundheitliche Potenzial von Kälte längst wiederentdeckt worden: Winterbaden, Kältekammern, Kryosaunen und lokale Anwendungen wie Kühlsprays und Eislollis liegen im Trend.
»Kältebehandlungen haben in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen«, sagt Carl Christopher Büttner, Referatsleiter Bildung und Wissenschaft beim Deutschen Verband für Physiotherapie. »Das liegt daran, dass sich der Forschungsstand erheblich verbessert hat.« Dadurch sei klarer, wann und wie sich Kälte einsetzen lässt.
»Unseren Patientinnen und Patienten sind nach der Behandlung erfrischt und gut gelaunt.«
Andreas Michalsen Chefarzt der Abteilung Naturheilkunde am Immanuel-Krankenhaus Berlin
Aber was bewirkt Kälte im Körper? »Temperaturextreme lösen im Körper eine Gegenreaktion aus«, sagt Andreas Michalsen, Chefarzt der Abteilung Naturheilkunde am Immanuel-Krankenhaus Berlin. Bei Kälte verengen sich die Blutgefäße, damit möglichst wenig Wärme verloren geht. Das Blut wird aus den Extremitäten abgezogen und in Richtung Körpermitte geleitet, um die Versorgung lebenswichtiger Organe sicherzustellen. »In der Folge haben wir kalte Hände und Füße«, erklärt er.
Wie beim Sport kann man den Körper trainieren, besser und schneller auf solche Stressfaktoren zu reagieren. Das heißt: Wer sich regelmäßig Kältereizen aussetzt – etwa durch kalte Duschen – härtet sich ab und kommt mit tiefen Temperaturen besser zurecht. Zugleich geht Michalsen davon aus, dass Winterbaden und andere Kälteanwendungen die körpereigene Abwehr auf Trab bringt: »Sie schützen vor Erkältungen.«
Harte Belege aus klinischen Studien gibt es dafür zwar noch nicht. Doch konnte zum Beispiel eine niederländische Studie zeigen, dass Kaltduscher deutlich seltener krankgeschrieben waren. Unklar blieb allerdings, ob ihr Immunsystem wirklich besser arbeitete oder ob sie etwa Erkältungen weniger ernst nahmen.
Kälte kann aber noch mehr. Sie steigert nämlich die Aktivität von sogenanntem braunen Fett. Dieses enthält viel mehr Mitochondrien als weißes Fett und erscheint deshalb bräunlich – daher die Bezeichnung. Säuglinge haben besonders viel von dieser Art Fettgewebe, damit sie nicht auskühlen: Braunes Fett funktioniert nämlich wie eine Art Körperheizung und produziert Wärme, indem es Energie verbrennt.
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Inzwischen weiß man, dass auch Erwachsene an manchen Stellen – zum Beispiel im Hals- und Nackenbereich – noch braunes Fettgewebe haben, allerdings unterschiedlich viel. Mit dem Alter lässt die Zahl und Aktivität brauner Fettzellen nach. Wer sich regelmäßig Kältereizen aussetzt, kann das braune Fett jedoch anregen. »Braunes Fettgewebe ist sehr kostbar«, sagt Michalsen. »Es hat eine entzündungshemmende Wirkung und trägt zum Schutz vor Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei.«
Forscherinnen und Forscher der Uni Wien fanden außerdem heraus, dass Menschen mit aktivem braunen Fettgewebe bei Kälteexposition mehr Energie verbrennen als solche, die darüber nicht verfügen. Die Erkenntnis könnte im Kampf gegen Übergewicht hilfreich sein: Der Versuch, bei übergewichtigen Menschen braunes Fettgewebe zu aktivieren, gilt als vielversprechender Forschungsansatz.
Ganzkörperkältetherapien wirken auch bei einigen Krankheiten positiv. Kurze Aufenthalte in Kältekammern, in denen minus 100 bis minus 150 Grad Celsius herrschen, wirken entzündungshemmend und schmerzlindernd. Davon profitieren insbesondere Menschen mit entzündlichen rheumatischen Erkrankungen, etwa Morbus Bechterew.
Die Effekte, sagt Michalsen, könnten drei Monate anhalten. »Außerdem sehe ich bei unseren Patientinnen und Patienten, dass sie nach der Behandlung erfrischt und gut gelaunt sind. Kälte ist ein Wachmacher und Stimmungsaufheller. Dieser Effekt müsste unbedingt untersucht werden.« Er geht davon aus, dass Kälte ähnlich antidepressiv wirkt wie Wärme. Inzwischen gibt es nämlich Hinweise, dass sich mit Hyperthermie, also einer gezielten Überwärmung, depressive Symptome bekämpfen lassen – entsprechende Studien laufen.
Völlig harmlos ist es nicht, sich komplett der Kälte auszusetzen – unter anderem deshalb, weil der Blutdruck kurzfristig stark ansteigen kann. Die plötzliche Temperaturveränderung kann insbesondere für Menschen mit Bluthochdruck, Durchblutungsstörungen sowie Herz- und Lungenproblemen gefährlich sein. Vor einem Kältekammer-Besuch sollte man daher mit seiner Ärztin sprechen.
Auch vom Winterbaden rät Michalsen untrainierten oder gesundheitlich angeschlagenen Menschen ab. Wer sich dafür interessiert, sollte nicht im Januar auf einmal in den See gehen, sondern sich ab Herbst langsam an die kühleren Temperaturen gewöhnen. »Sonst kann es gefährlich werden. Sogar Todesfälle kommen vor, wenn auch selten.« Kalt duschen kann man dagegen uneingeschränkt empfehlen: »Dabei kann nichts passieren«, so der Naturheilkundler.
Kälte lässt sich – wie Wärme – aber auch lokal anwenden, etwa mittels Kühlpad oder Kompresse. »Kälte und Wärme sind klassische Anwendungen in der Physiotherapie«, sagt Carl Christopher Büttner vom Verband für Physiotherapie. Kälte wird normalerweise bei entzündlichen Prozessen eingesetzt, etwa bei überwärmten, geschwollenen Gelenken. Auch schmerzhafte Sportverletzungen wie Prellungen oder Verstauchungen lassen sich mit Kälte behandeln, da sie die Schmerzrezeptoren blockiert.
Wärme führt dagegen dazu, dass sich die Gefäße weiten, die Durchblutung gefördert und der Stoffwechsel angeregt wird. Sie wird klassischerweise bei Verspannungen eingesetzt und bewirkt, dass sich die Muskulatur entspannt. »Wichtig ist: Zu kalt ist genauso schlecht wie zu warm«, sagt Büttner. Das heißt zum Beispiel, dass Eis nie direkt auf die Haut gelegt werden darf, da es dann zu Gewebeschädigungen kommen kann, analog zu Verbrennungen.
Bei der Wahl einer geeigneten Thermotherapie kommt es aber immer stark auf die Vorlieben der Patientinnen und Patienten an. »Man muss sehen: Tolerieren sie eher Wärme oder Kälte?«, betont Büttner. In der Regel spüren Menschen, was ihnen guttut. Das gilt auch fürs Winterbaden: Wer Kälte nicht mag, kann es mit dem Saunieren versuchen – das hat teilweise ähnliche Effekte.
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