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Durchzitronisiert in der Kristall-Therme
Unsere Kolumnistin erkundet die vielen Attraktionen des Thermalbads in Ludwigsfelde
Es zirpt, Palmenblätter rauschen, ein warmer Lufthauch streift mich. Ich öffne die Augen und sehe auf struppiges Gras hinter beschlagenen Scheiben. Unter einer Laterne steht ein Raucher, sein Bierbauch ragt aus dem Bademantel. Draußen lauert grauer Winter, keine Palme in Sicht. Wir sind zehn Regio-Minuten von Berlin-Südkreuz entfernt, meine Gefährtin schlingt sich ihr Handtuch um, zeigt zur Box und verschwindet mit Flunsch aus dem Glas-Separee. Gleichmäßig schrillen Grillen.
Die Kristall-Therme ist von der Haltstelle Birkengrund nur einen Waldspaziergang entfernt. In einem weißen Pavillon des Bürger-Waldparks begrüßen uns drei nackte Marmorgrazien, Silberfarbe läuft ihnen die Schenkel hinunter. Ludwigsfelde liegt kurz hinter der Berliner Stadtgrenze. Seit 1844 ist der Ort mit der Eisenbahn erreichbar, der aus einer Wüstung auf den Feldern eines Ernst Ludwig von Gröben erwuchs, lange eine zweistellige Einwohnerzahl behielt und lediglich mit Heuschreckenplagen oder Erdbeben von sich reden machte, bis 1936 das Daimler-Benz-Flugzeugmotorenwerk versteckt im nahen Wald errichtet wurde. Während des Zweiten Weltkrieges beschäftigte es viele Tausend Kriegsgefangene und Ostarbeiter, zuletzt Frauen aus dem KZ Ravensbrück.
Anne Hahn ist Autorin von Romanen und Sachbüchern und schwimmt für »nd« durch die Gewässer der Welt.
Nach 1945 folgten Abbau und Umwidmung, 1965 erhielt Ludwigsfelde Stadtrecht und fertigte bis zur Wende eine halbe Million Lkw W50. Gemeinsam mit den Ifa-Werkern entwickelte Mercedes-Benz aus Stuttgart den Industriepark Ludwigsfelde, der heute T2, Vario und Sprinter produziert. Die Ludwigsfelder Therme der Kristall-Bäder-Gruppe verfügt über das größte Sole-Außenbecken Europas, deren 3,5-prozentige Sole mit Tanklastern mehrmals monatlich aus Niedersachsen angeliefert wird.
Meine Schranknummer 966 lässt die Ausmaße der Therme erahnen. Im lärmerfüllten Rundgang um die Innenbecken drängen sich Bars, Restaurants, Liegen und Badegäste. Ich stehe vor der Qual der Wahl: eine der vielen Saunen besuchen, nackt die Wasserlandschaft erkunden oder ins Sportbad? Ich lasse mich einige Schritte mitschieben und erblicke das Schild: »Zitronen-Sauna«. Der eingefleischte Zitronen-Fan in mir jauchzt, raus aus Latschen und Mantel, rein ins Holzkabuff. Drei umlaufende Stufen, circa 95 Grad, eine Handvoll Menschen.
Kaum beginne ich zu schwitzen, während ich verliebt auf Zitronenscheiben schaue, die über dem mittig platzierten Saunaofen in einem Geflecht dünsten, betritt ein Mitarbeiter den Raum und verpasst uns zwei Aufgüsse nebst Fächer-Wedelei. Durchzitronisiert begebe ich mich ins Natronbad, teste Wasserfall und Grotte, lasse mich von Blubbern und Düsen massieren, schwimme ins Außenbecken, treibe im Strömungskanal und unter Fontänen, schwebe im »Toten Meer« Brandenburgs auf der Wasseroberfläche herum und entschließe mich endlich, im angrenzenden Sportbad, das mit nur zwei schwimmlernenden Schulklassen erstaunlich ruhig wirkt, ein paar Bahnen zu ziehen. Ein Sportlehrer mit Trillerpfeife betritt das Bad.
Meine Gefährtin erwische ich später beim Zumba-Aqua-Kurs und stelle sie vor die Wahl: Nebelhöhle oder separater Ruheraum?
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