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Mönch von Lützerath: »Ich dachte, jetzt bin ich geliefert«
Am Mittwoch startet der Prozess gegen Loïc Schneider, besser bekannt als »Mönch von Lützerath«. Davor hat er mit dem »nd« gesprochen
Die Räumung von Lützerath ist fast auf den Tag genau zwei Jahre her. Wie erinnern Sie sich an den 14. Januar 2023?
Ich nahm an der Demonstration teil und war manchmal mit der christlichen Gruppe »Kirche im Dorf lassen« unterwegs. Ich filmte das Geschehen mit meinem Handy für einen Livestream. Eigentlich wollte ich es auch dabei belassen, weil ich zu der Zeit rechtliche Probleme hatte. Aber schon beim Filmen musste ich dreimal weinen, weil ich so viel Gewalt sah. Irgendwann wurde es mir zu viel, ich ertrug es einfach nicht mehr. Die Polizei prügelte rücksichtlos auf friedliche Menschen ein. Als dann ein weiterer Beamter auf die Menschen zu rannte, streckte ich instinktiv mein Bein aus und brachte ihn so zu Fall. Es war eine Reaktion auf das Geschehen. Ich wollte, dass die Gewalt aufhört.
Es folgten Szenen, die weltweite Aufmerksamkeit erlangten: Polizist*innen stecken im Matsch fest – Sie, in Mönchskutte, scheinen sich hingegen unbeschwert bewegen zu können. Vor einem Beamten stecken Sie ein Demoschild in den Boden. Der wirft es weg, Sie schubsen ihn um. Zweimal. Ein Video davon geht viral.
Das Schild aus dem Video gehörte einer Person, die zuvor von der Polizei geschlagen worden ist und ins Krankenhaus musste. Ich wollte es für diese Person zur Demonstration tragen. Ich bereue mein Verhalten nicht: Mir ging es darum, Menschen zu beschützen und nicht darum, der Polizei Gewalt anzutun.
Danach fragten sich viele, wer unter der Kutte steckt. In einem Interview mit dem »Stern« haben Sie sich später selbst enttarnt. Die Staatsanwaltschaft Mönchengladbach gibt an, das sei ausschlaggebend für die Anklage gegen Sie gewesen. Warum haben Sie sich zu diesem Schritt entschieden?
Eines möchte ich klarstellen: Mir ging es nie um mediale Aufmerksamkeit. Im Gegenteil. Nach der Räumung Lüzeraths verging ein Jahr, ohne dass ich mich äußerte. Im Januar 2024 erschien dann ein Artikel in der »Bild«. Darin wurde mein Name genannt und behauptet, ich sei der »Mönch von Lüzerath«.
Ich dachte, jetzt bin ich geliefert. Doch ich wollte eine Chance haben auf den Artikel zu reagieren und einige Dinge klarzustellen. Deshalb wendete ich mich an den »Stern«.
Wie ging es weiter?
Unglücklicherweise hat die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gegen mich kurze Zeit danach eingestellt, weil sie mir die Tat nicht eindeutig zuordnen konnten. Aber da war das »Stern«-Interview ja schon erschienen. Und kurz nach der Einstellung des Verfahrens hat die Staatsanwaltschaft davon erfahren. Das führte zu der Anklage, über die nun verhandelt wird.
Und was hat das Ganze mit Ihnen gemacht?
Ich bin wütend auf die »Bild«. Ich finde es nicht in Ordnung, einfach meinen Namen zu veröffentlichen, obwohl die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft noch kein Ergebnis zutage gebracht hatten. Ich plane daher auch Beschwerde einzulegen. Heute bereue ich es, das Interview gegeben zu haben. Aber man kann die Zeit nicht zurückdrehen. Vor Gericht werde ich mich schuldig bekennen. Ich werde die Aufmerksamkeit nutzen, um über wichtige Dinge zu sprechen. Denn mir geht es um ganz grundlegende moralische Prinzipien: So wie sich die Menschheit gerade verhält, nehmen wir zukünftigen Generationen und Zivilisationen ihr Recht zu existieren. Dagegen müssen wir uns wehren!
Sie sind angeklagt wegen zweifachen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte. Darauf steht in Deutschland eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren. Was erwarten Sie von dem Verfahren?
Ich bereite mich auf das Schlimmste vor. Ich habe schon Zeit im Gefängnis verbracht, als ich im Zusammenhang mit den G20-Protesten in Hamburg verklagt wurde. Deshalb rechne ich mit einer weiteren Haftstrafe. Gleichzeitig hoffe ich aber auf ein mildes Urteil. Sogar der Polizist, den ich geschubst habe, sagte aus, er habe sich von mir nicht bedroht gefühlt.
Durch das virale Video sind Sie in ganz Deutschland bekannt als der »Mönch von Lüzerath«. Auf Englisch werden Sie allerdings »Mud wizard« (deutsch: Schlammzauberer) genannt. Die Namen haben ganz unterschiedliche Bedeutungen, welche ist Ihnen lieber?
Ich mag beide Bezeichnungen, aber »Mönch von Lüzerath« gefällt mir besser. Auch weil es mich an den Theologen und Revolutionär Thomas Müntzer erinnert, dessen Geschichte mich sehr bewegt. Während dem deutschen Bauernkrieg im 16. Jahrhundert ergriff er Partei mit den Bauern und setzte sich für den Kampf gegen die Ungerechtigkeit ein. Luther aber schlug sich auf die Seite der Fürsten und billigte das hinterhältige Niederschlagen der Bauernaufstände. Mir gefällt daher auch der Spruch »Kein Gott, kein Staat, nur der Mönch von Lüzerath« – der auf Stickern und in Memes verbreitet ist – weil er die Vision entwirft, dass es etwas gibt, das über Institutionen hinaus geht.
Wie sind Sie eigentlich zum Aktivismus gekommen?
Mit 16 begann ich, im Anonymous-Netzwerk aktiv zu sein. Danach schloss ich mich dem Kampf gegen den Flughafen Notre-Dame-des-Landes an der Westküste Frankreichs an. Doch der prägendste Moment für mich war eine Demonstration im Südwesten Frankreichs im Jahr 2014. Während dieses Protests tötete die Polizei einen Demonstranten mit einer Granate, die TNT enthielt. Es war schockierend, besonders da die Polizei und die Medien zunächst logen und behaupteten, er habe einen Molotowcocktail in seinem Rucksack gehabt. Dieses Ereignis hat mich wirklich dazu gebracht, weiter zu protestieren.
Wie unterscheidet sich der Protest in Deutschland von dem in Frankreich?
Ich würde sagen, die französischen Behörden gehen härter gegen Demonstrierende vor. Die Polizei setzt oft Distanzwaffen wie Granaten ein, was die Menschen dazu zwingt, sich anders auf Proteste vorzubereiten. Oft führt das zu heftigeren Reaktionen der Demonstrierenden. Was aber die direkte körperliche Gewalt angeht, war das, was ich in Lützerath und während des G20-Gipfels in Hamburg gesehen habe, schockierend. Die direkten Angriffe mit Schlagstöcken auf die Köpfe von Menschen waren etwas, das ich von der deutschen Polizei nicht erwartet hätte.
Sie beteiligten sich auch an den Protesten von »Les Soulèvements de la Terre« gegen Wasserraub in Westfrankreich. Inzwischen wurden die Genehmigungen für einige der umstrittenen Wasserbecken wieder zurückgezogen. Gibt das der Klimabewegung in Frankreich einen Auftrieb?
Ja, das hat der Bewegung viel Energie gegeben. Gegen mich wurde damals auch ein Gerichtsverfahren eingeleitet und während der Verhandlungen kam die Richterin darauf zu sprechen, dass mehrere Riesenprojekte abgebrochen wurden. Sie sagte zu mir: »Sehen Sie, unser Rechtssystem funktioniert doch. Wir können auch mithilfe unserer Institutionen etwas verändern, ohne dafür demonstrieren zu müssen«. Ich habe sie dann gefragt: »Glauben Sie wirklich, es hätte diese Urteile ohne unseren Protest gegeben?« Sie hat mich daraufhin nur angelächelt.
Was machen Sie, wenn Sie nicht als Mönch unterwegs sind?
Die Hälfte des Monats arbeite ich als Altenpfleger in Nancy, meiner Heimatstadt. Die andere Hälfte arbeite ich seit drei Jahren als Gemüsegärtner in Bure, wo ich Gemüse anbaue. In Zukunft möchte ich mich aber mehr auf den Obstbau konzentrieren.
Bure ist ein kleiner Ort in Westfrankreich, an dem ein Atommüll-Endlager entstehen soll.
Genau, dort soll das größte atomare Endlager Europas entstehen. Der Kampf dagegen läuft inzwischen seit etwa 30 Jahren. Mit einer Waldbesetzung hat sich alles etwas radikalisiert. Die Besetzung gibt es zwar nicht mehr, aber aus rechtlichen Gründen hat zumindest die Rodung des Waldes aufgehört. Allerdings wollen die Behörden damit wieder beginnen, wir wissen nur nicht wann. Bald wird es auch einen Solidaritätsaufruf geben, der auch für Menschen in Deutschland relevant ist, weil Bure recht nah bei Deutschland liegt.
Bure wurde unter anderem aufgrund seiner geringen Bevölkerungsdichte ausgewählt. Wie kann man sich das Leben dort vorstellen?
Wir sind eine Gruppe von etwa 60 Menschen, die in der Gegend leben und einen alternativen Lebensstil aufbauen. Wir haben eine kollektive Kneipe, einen Markt, ein Restaurant, in dem unterschiedliche Personen kochen, und eine Bäckerei geschaffen. Wir nutzen Windenergie und treiben unsere Waschmaschinen mit Fahrrädern an. Das ist zwar nicht revolutionär, aber gibt uns als Aktivist*innen Kraft weiterzumachen. Es gibt auch größere Zusammenkünfte, wie zum Beispiel ein bäuerliches Festival, das Menschen aus der ganzen Welt zusammengebracht hat, darunter auch die Zapatistas. Während das Atomprojekt eine globale Bedrohung darstellt, verbindet es uns also auch auf internationaler Ebene. Es ist wichtig, über individuellen Aktivismus hinauszugehen und zum lokalen Leben beizutragen.
Zum Schluss noch das Wichtigste: Im »Stern« haben Sie erwähnt, dass Sie versuchen, eine Kastanie auf eine Traubeneiche zu pfropfen. Hat das eigentlich funktioniert?
Ich wünschte, ich könnte sagen, dass es geklappt hat, aber das war leider nicht der Fall – wahrscheinlich, weil ich noch neu im Pfropfen bin. Mit anderen Früchten hatte ich jedoch Erfolg. Ich genieße diese Arbeit und kann mit Misserfolgen umgehen. Trotzdem plane ich, es dieses Jahr erneut zu versuchen. Vielleicht muss ich einfach die richtige Technik finden.
Loïc Schneider ist 29 Jahre alt und arbeitet als Altenpfleger sowie im Gemüseanbau. Nach der Räumung Lützeraths wurde er als »Mönch von Lützerath« bekannt. Er betreibt das Profil @monchlutzi auf dem Kurznachrichtendienst X.
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