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Bundestagswahlkampf: Hakenkreuze auf Wahlplakaten
Wahlkämpfer der Linken müssen einiges aushalten. Sie müssen noch froh sein, wenn es bei Beleidigungen bleibt und Rechte nicht gewalttätig werden
»Die politischen Kräfte, die gesellschaftlichen Hass schüren, Ungleichheit befürworten und menschliches Leben als unterschiedlich wertvoll einschätzen, werden lauter. Dass die Regierung den rechten Forderungen bei Flucht und Asyl nachgegeben hat, hat die Rechten stärker gemacht, nicht schwächer.«
Diesen Passus aus dem am Wochenende verabschiedeten Wahlprogramm seiner Linkspartei für die Bundestagswahl am 23. Februar zitiert Candy Boldt-Händel. Er ist Kreisvorsitzender in Oberhavel und meldet am Montagmorgen Hakenkreuze auf Wahlplakaten in Velten. Diese und andere Nazisymbole sind von unbekannten Tätern auf mehrere Großflächen und kleine Plakate der Linken und der Grünen geschmiert worden.
Die Polizeidirektion Nord meldete ihrerseits, eine Berliner Polizeibeamtin außer Dienst habe am Wochenende mehrere beschädigte Wahlplakate in der Poststraße von Velten entdeckt. »Unbekannte Personen beschmierten sieben Wahlplakate verschiedener Parteien mit politisch relevanten Symbolen. Die Beamten machten alle Schmierereien unkenntlich und fertigten Anzeigen wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen.«
Ein Foto zeigt das Plakatmotiv »Frieden kostet Mut«, das mit einem schwarzen Hakenkreuz übermalt wurde. Auf einer Großfläche mit dem Konterfei von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und dem Bekenntnis »Ein Mensch. Ein Wort« finden sich zwei Hakenkreuze und die Zahl 88, die in der Naziszene ein Code für den Gruß »Heil Hitler« ist. Zusätzlich steht dort auch noch ausgeschrieben: »Heil Hitler«. Die Zahl 88 steht dann auch auf einer Großfläche der Linken. Dazu »SS« und »AfD«. Weitere Schmierereien sind, bevor das Foto geschossen wurde, in diesem Falle mit gelber Kreide bereits unkenntlich gemacht.
Am Bahnhof Oranienburg wurde derweil ein Wahlplakat der Linken angezündet und nach Auskunft der Polizei zu zwei Dritteln verbrannt.
Für Candy Boldt-Händel und seine Mitstreiter beweisen diese Taten, wie notwendig Antifaschismus sei. Wenn demokratische Parteien in dieser Art mit Symbolen und Fäusten angegriffen werden, sei es Zeit für eine wehrhafte Demokratie mit einer starken Linken, sagen sie. Boldt-Händel erklärt: »Wenn Wahlkämpfer*innen sich nicht mehr trauen, am Tage in Velten Flyer zu verteilen, zeigt das, wie brisant die Situation ist.«
»Wenn Wahlkämpfer*innen sich nicht mehr trauen, am Tage in Velten Flyer zu verteilen, zeigt das, wie brisant die Situation ist.«
Candy Boldt-Händel Linke-Kreisvorsitzender
Bei der Kommunalwahl im Juni 2024 erzielte die AfD in Velten 25,7 Prozent und stellt ab da mit fünf Männern und einer Frau die stärkste Fraktion in der insgesamt 22 Köpfe zählenden Stadtverordnetenversammlung. Die SPD der langjährigen Bürgermeisterin Ines Hübner landete mit 22,6 Prozent und fünf Sitzen nur auf Platz zwei. Die einstige neofaschistische NPD hat sich inzwischen in »Die Heimat« umbenannt und ist von ihrer Bedeutung her nur ein Schatten einstiger Bedeutung. In Velten jedoch erzielte sie im Juni 2024 noch stolze 4,7 Prozent und hat so mit Robert Wolinski einen Stadtverordneten. Zum Vergleich: Die Linke verfügt in Velten mit 5,6 Prozent auch nur über einen Stadtverordneten. Es ist Alexander Moser-Haas. Die Grünen sind mit 2,5 Prozent im Stadtparlament nicht vertreten.
Eine rechte Szene habe es in Velten bereits in den 90er Jahren gegeben, sagt die Ex-Landtagsvizepräsidentin Gerrit Große (Linke). Wahlplakate der Linken seien damals schon beschmiert worden, erinnert sich die 70-Jährige. Aber: »Mit Hakenkreuzen haben sie damals noch nicht operiert.«
Auch bei sich zu Hause im zwölf Kilometer entfernten Oranienburg erlebt Gerrit Große, was früher unvorstellbar war. 60 bis 70 Jahre alte Genossinnen sind dort für die Sozialisten im Bundestagswahlkampf auf den Straßen. Wenn sie auf dem Bahnhofsvorplatz die Berufspendler ansprechen, werden sie noch »halbwegs freundlich« behandelt, erzählt Große. Doch anderswo kommt es vor, dass sie angepöbelt und als »Schlampen« oder »Schweine« beschimpft werden. Dass die rechten Täter nicht einmal mehr gegenüber Frauen Hemmungen haben, »das ist eine neue Qualität«, sagt Große.
Schon im Landtagswahlkampf des vergangenen Jahres ist Gerrit Große mit zwei Genossinnen von einem Mann angebrüllt worden, der dann auch noch die Tasche einer der Frauen samt Mobiltelefon auf die Straße schleuderte. Nach Einschätzung von Große ist die Stimmung nun im Bundestagswahlkampf »noch aggressiver«. Die Linken gehen in Oberhavel schon nur mehr zu zweit oder zu dritt Flyer verteilen, weil es allein zu gefährlich wäre.
Dass es so schlimm geworden ist, beschränkt sich nicht etwa auf den Landkreis Oberhavel oder das Land Brandenburg. »Wir erfahren von Angriffen auf linke Wahlkämpfer*innen aus ganz Deutschland«, sagt der Kreisvorsitzende Boldt-Händel, der auch dem Bundesvorstand angehört. In Dresden sei erst letztes Wochenende ein Wahlkampfstand der Linksjugend von Rechten massiv angegriffen worden. »Aus beschmierten Wahlplakaten werden schnell andere Taten«, warnt Boldt-Händel. Die Linke lässt sich derweil nicht einschüchtern und steht zu ihren Grundsätzen. »Alle Menschen sind gleichwertig und haben dieselben Grundrechte. Von diesem fundamentalen Prinzip werden wir niemals abrücken«, heißt es unmissverständlich im Wahlprogramm.
Im Bundestagswahlkreis 58, zu dem neben Oberhavel ein Teil des Havellandes gehört, kandidiert für Die Linke die erst 19 Jahre alte Annabell Rattmann. Die angehende Bauingenieurin – sie studiert noch – sieht in ihrer Nominierung »die Möglichkeit, aktiv für soziale Gerechtigkeit, gleiche Chancen und eine solidarische Gesellschaft einzustehen«.
Bei der Bundestagswahl 2021 hatte Ariane Fäscher (SPD) den Wahlkreis 58 mit 26,3 Prozent gewonnen. Platz zwei belegte damals mit 20,8 Prozent der Bundestagsabgeordnete Uwe Feiler (CDU). Die AfD war mit 16 Prozent der Erststimmen noch chancenlos. Aktuell wird allerdings befürchtet, dass sie abgesehen von Potsdam alle anderen Brandenurger Bundestagswahlkreise gewinnt. Am ehesten wird noch dem CDU-Politiker Feiler zugetraut, im Wahlkreis 58 dem hier nominierten AfD-Landtagsabgeordneten Andreas Galau einen Strich durch die Rechnung zu machen.
2021 hatte die Bundestagsabgeordnete Anke Domscheit-Berg (Linke) vor Ort acht Prozent der Stimmen erhalten. Sie verzichtete nun nach zwei Legislaturperioden auf eine erneute Kandidatur.
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