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- Sport und Nationalsozialismus
Freude und Terror im Fußballstadion
Die Nazis nutzten Sportstätten für die Internierung von Zwangsarbeitern und als Sammelstellen für den Transport in die Konzentrationslager
Die Gedenkstätte für Zwangsarbeit liegt im Nordosten von Leipzig, auf dem Gelände, wo einst der größte Rüstungsbetrieb Sachsens untergebracht war. Anja Kruse, zuständig für Bildung und Vermittlung in der Gedenkstätte, fährt mit ihrem Zeigefinger über einen Bildschirm und tippt von einem Foto zum nächsten. Während des Krieges errichteten Unternehmen in Leipzig auf mindestens zehn Sportplätzen Barracken für Zwangsarbeitende. »Das waren nicht irgendwelche Wiesen am Stadtrand«, sagt Anja Kruse. »Das waren beliebte und belebte Orte, wo viele Menschen früher ihre Freizeit verbracht haben.«
Zwischen 1939 und 1945 zwangen die Nationalsozialisten mehr als 20 Millionen Menschen zur Arbeit für die deutsche Wirtschaft. In Leipzig waren es allein 75 000. Die Arbeitskräfte kamen aus ganz Europa, vor allem aber aus der Sowjetunion.
In Leipzig spezialisierte sich etwa die Landmaschinenfabrik Rudolph Sack auf die Herstellung von Schützengräben. Für die Unterbringung von 1000 Zwangsarbeitenden pachtete das Unternehmen ein Grundstück des Vereins für Turnen und Bewegungsspiele. Hier wurden 16 Baracken errichtet. Anja Kruse spricht von einem komplexen System: »Sportvereine vermieteten Plätze und Räume. Auch sie profitierten indirekt von Zwangsarbeit.«
Mindestens 170 Sportplätze als Zwangsarbeiterlager
In ihrer Forschung ist die Gedenkstätte auf Luftbilder der Alliierten angewiesen, meist von 1944 und 1945. Darauf kann Kruse alte Baracken auf den Sportplätzen erkennen, die nach dem Krieg abgerissen wurden. Mit diesen Erkenntnissen entwickelt das Team dann digitale Rundgänge.
Insgesamt wurden in Deutschland und Österreich mindestens 170 Sportplätze als Zwangsarbeiterlager genutzt. Ein Forschungsnetzwerk der niedersächsischen Gedenkstätten »Gestapokeller« und »Augustaschacht« hat zum Thema eine Datenbank entwickelt. Der Titel des Projektes: »Von einem Ort des Jubels zu einem Ort des Unrechts«.
Ein Ort, auf den dieser Titel besonders zutrifft, ist das Praterstadion in Wien, das 1992 nach der österreichischen Trainerlegende Ernst Happel umbenannt wurde. Was in Österreich nicht zum Allgemeinwissen gehört: Im September 1939 verhaftete die Gestapo in Wien mehr als 1000 polnische und staatenlose Juden – und internierte sie im Praterstadion. Die meisten wurden im Sektor B unterhalb der Tribünen festgehalten. Andere mussten die kalten Nächte im Freien verbringen.
Stadien eignen sich als Gefängnisse
Der Historiker Bernhard Hachleitner lebt in Wien nicht weit vom Stadion entfernt. Er hat seine Dissertation dem Bau gewidmet. So zynisch es klingen mag, sagt er, aber Stadien wie das in Wien eigneten sich als Gefangenenlager. Im Innenraum konnten wenige Soldaten viele Inhaftierte überwachen. Auch die Infrastruktur war vorhanden: Strom, Wasser, eine Lautsprecheranlage und Zugangstore für Transporter.
Während des Interviews hebt Bernhard Hachleitner einen Aspekt besonders hervor: Die jüdischen Gefangenen mussten im Praterstadion »rassebiologische« Untersuchungen des Naturhistorischen Museums in Wien über sich ergehen lassen. »Es wurden unter anderem Nasen vermessen und Gesichtsmasken aus Gips angefertigt«, erklärt der Historiker. »Offenbar wollte man die Juden vor ihrer Vernichtung dokumentieren.«
Nach den Untersuchungen wurden die jüdischen Gefangenen zum Wiener Westbahnhof gebracht, und von dort ins Konzentrationslager Buchenwald. Nur 26 von ihnen überlebten den Holocaust. Wenige Tage später, im Oktober 1939, fanden im Praterstadion wieder Fußballspiele statt.
Forderung nach Aufarbeitung wird lauter
In Politik, Kultur und Wirtschaft waren es in den vergangenen Jahren oft kleine Initiativen, die große Institutionen unter Druck gesetzt haben, die Unrechtsgeschichte von Sportstätten endlich aufzuarbeiten. Auch im Fußball machen engagierte Fans und Mitglieder klar, dass Verbände und Vereine davon nur profitieren können. Inzwischen gehen etliche Profiklubs und Kommunen in Deutschland über symbolisches Gedenken hinaus.
Zum Beispiel in Köln. Ein schmaler Sandweg führt zum ehemaligen Barackenlager im Kölner Stadtteil Müngersdorf. Eine Skulptur und mehrere Infotafeln erinnern an die rund 3500 meist jüdischen Gefangenen, die von hier in die Vernichtungslager der Nazis deportiert wurden. Das Lager der Gestapo, errichtet 1941, befand sich in der Nähe eines Wohngebietes, mitten im Alltagsleben der Bevölkerung.
»Hier wurden Menschen auf engstem Raum zusammengepfercht«, sagt Thorben Müller und blickt in einen Halbkreis von interessierten Zuhörern. Der angehende Historiker ist Mitarbeiter des NS-Dokumentationszentrums in Köln. Immer wieder gibt er Führungen, auch im Sportpark Müngersdorf. »Die Gefangenen im Lager haben vermutlich den Jubel im Stadion gehört«, sagt Müller. »So eng lagen Freude und Terror zusammen.«
Die Anziehungskraft des Sports nutzen
Von der Gedenkstätte im Norden des Sportparks sind es zehn Gehminuten bis zum Rhein-Energie-Stadion, jenem Ort, wo der 1. FC Köln seine Heimspiele in der zweiten Fußball-Bundesliga bestreitet. Einige Teilnehmer der Führung sind Fans des Vereins. Diese Anziehungskraft möchte das NS-Dokumentationszentrum aufnehmen. Der Sport als Träger für historische Wissensvermittlung. Insbesondere in diesem Jahr, anlässlich des 80. Jahrestags der Befreiung von Auschwitz am Montag.
Thorben Müller zeigt auf einem Tablet alte Fotos und Zeitungsartikel. Der Kölner Sportpark Müngersdorf, eingeweiht 1923, war bis Mitte der 30er Jahre die größte Sportanlage im Deutschen Reich. Auf den Freiflächen veranstalteten die Nazis Wehrübungen. Im Kölner Stadion besiegte das deutsche Fußballnationalteam 1941 Ungarn 7:0. »Dieses Spiel sollte das Durchhaltevermögen der Bevölkerung stärken«, erklärt Müller.
Auf der Führung in Müngersdorf geht es um Kontinuitäten, um Sportler und Funktionäre, die vor 1945 erfolgreich waren – und auch danach. Am westlichen Rand des Sportparks hält Müller mit der Gruppe an der Peco-Bauwens-Allee. Der gebürtige Kölner Bauwens war in den 20er und 30er Jahren ein erfolgreicher Schiedsrichter gewesen. Nach dem Krieg war Bauwens für zwölf Jahre Präsident des DFB – trotz seiner Rolle im Nationalsozialismus.
Thorben Müller legt dar, dass Bauwens als Bauunternehmer selbst Zwangsarbeiter eingesetzt hatte. Nachdem Deutschland 1954 Weltmeister geworden war, hielt DFB-Chef Bauwens in München eine Rede, die einen Redakteur des Bayerischen Rundfunks an die Sprache aus dem »Tausendjährigen Reich« erinnerte. Der Redakteur brach die Übertragung ab. Und bei der Führung in Müngersdorf fragen sich Teilnehmer, warum in Köln noch immer eine Straße nach Peco Bauwens benannt ist.
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