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Serbiens Präsident steckt in der Sackgasse
Generalstreik gegen die Regierung erhöht den Druck
»Nehmen wir unsere Freiheit selbst in die Hand!« So hieß es in einem Aufruf von Serbiens Studierenden für den Generalstreik am vergangenen Freitag. Es war ein deutliches Zeichen des zivilen Ungehorsams. Nicht nur Universitäten und Schulen blieben geschlossen, auch Anwälte, Künstler und Journalisten beteiligten sich an dem Ausstand, Geschäfte, Kinos und Bars blieben geschlossen. Landesweit fanden Proteste statt, zudem wurden Straßen blockiert; in der Hauptstadt Belgrad zogen die jungen Menschen vor den Sitz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks RTS.
Studenten bleiben auf der Straße
Seit mehr als zwei Monaten protestieren die Studierenden, nachdem in der nordserbischen Stadt Novi Sad das Vordach des Hauptbahnhofs eingestürzt war. 15 Menschen verloren dabei ihr Leben. Für 15 Minuten blockierten anschließend landesweit Studierende immer wieder die Straßen und Plätze, um Aufklärung darüber zu fordern, wie es zu dem Unglück kommen konnte. In Belgrad wurde eine solche Kundgebung angegriffen – von Anhängern der regierenden Serbischen Fortschrittspartei (SNS) des Präsidenten Aleksandar Vučić, wie sich später herausstellte.
Es war der buchstäbliche Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Seitdem wurde Fakultät um Fakultät besetzt. Die Studierenden fordern nun nicht nur, dass die Dokumente der Bauarbeiten am Novi Sader Bahnhof offengelegt und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden, sowie die Repression gegen ihre Kommilitonen ein Ende hat. Es geht um mehr: die Korruption im Land, die Übernahme des Staats durch die SNS, die fehlende Zukunft und den Wunsch nach einem »normalen Leben«.
Die Studierenden haben dabei die Unterstützung der Bevölkerung. 61 Prozent der Befragten sagten gegenüber dem Meinungsforschungsinstitut CRTA, dass sie die jungen Menschen unterstützen. 57 Prozent denken, dass Serbien sich in die falsche Richtung entwickelt. So ist es nicht verwunderlich, dass sich weitere Teile der Bevölkerung den Protesten angeschlossen haben. Das zeigte sich etwa am 22. Dezember. Bei einer Demonstration in Belgrad kamen mehr als 100 000 Menschen zusammen; es war die größte Kundgebung in der jüngeren Geschichte Serbiens.
Auch andere Berufsgruppen haben ihre Arbeit niedergelegt – als Zeichen der Solidarität. Darunter sind Anwälte, aber auch Lehrer. So konnte das neue Schulhalbjahr nicht wie geplant in der vergangenen Woche beginnen. Auch Bauern, die von der Regierung im Stich gelassen werden, stellten sich auf die Seite der jungen Akademiker. Sie kommen mit ihren Traktoren zu den Kundgebungen, wie am vergangenen Samstag in Novi Sad, wo sie eine Blockade unterstützten. Auch bei den Gewerkschaften bewegt sich etwas. Eine rief ihre Mitglieder beim Energieversorger EPS am Donnerstag zu einer Kundgebung auf, um die Studierenden und ihre Forderungen zu unterstützen.
Tennisstar Novak Djoković solidarisiert sich
Die Machtbasis der Fortschrittspartei bröckelt. Diese reagiert darauf mit Repression und Einschüchterung. SNS-Politiker drohen, dass Studenten ihre Stipendien verlieren und das Studienjahr ein verlorenes ist. Auch tauchen immer wieder Provokateure auf, die Studierende angreifen – etwa indem sie mit Autos in die Kundgebungen fahren. Das passierte auch wieder am Freitag. Bereits am 16. Januar wurde die Jurastudentin Sonja von einem Auto erfasst. Sie musste im Krankenhaus behandelt werde. Mit ihr solidarisierten sich zwei Schwergewichte der serbischen Gesellschaft: der Tennisstar Novak Djoković und Patriarch Porfirije, Oberhaupt der Serbisch-Orthodoxen Kirche.
Präsident Vučić steckt in der Sackgasse. Konnte er frühere Protestbewegungen gegen ihn und seine SNS vorwerfen, vom Ausland gesteuert zu sein, ist das nun nicht so einfach möglich. Bei den Kundgebungen gibt es praktisch keine EU-Fahnen; zwar beteiligt sich die Opposition an den Protesten, sie hat aber bislang kaum Einfluss. Außerdem ist es der Präsident selbst, der sich der Europäischen Union und vor allem Deutschland an den Hals geworfen hat, indem er die Lithiumvorkommen des Landes verscherbeln will – gegen den Willen der Mehrheit der Bevölkerung. Für Brüssel und Berlin ist Vučić als Garant für die reibungslose Ausbeutung der wertvollen Rohstoffe noch unersetzlich.
Das System Vučić beruht auf der Zustimmung der Mehrheit der Bevölkerung. Um sich diese zu sichern, hat er und seine SNS nun begonnen, eine Gegenbewegung zur studentischen aufzubauen. Deren Auftakt war am Freitag eine Massenkundgebung in der zentralserbischen Stadt Jagodina. Dort warnte Vučić davor, dass Serbien von innen und außen angegriffen wird, um die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit zu sichern, hob er die Bewegung für Volk und Staat aus der Taufe. Dass nun Tausende Menschen an der Veranstaltung teilnahmen, kann indes nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Macht der SNS am Schwinden ist.
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