KI-Unternehmen Deep Seek: Platzt eine »KI-Blase«?

Kursabstürze von US-Konzernen erinnern an die Dotcom-Blase. Doch seitdem stieg die Marktkonzentration

Eine mit künstlicher Intelligenz erzeugte Spekulationsblase.
Eine mit künstlicher Intelligenz erzeugte Spekulationsblase.

Um annähernd 17 Prozent rutschten am Montag zeitweilig die Aktienkurse der US-Chiphersteller Nvidia und Broadcom ab. Die Konzerne rissen zeitweise auch andere Unternehmen wie Microsoft, Alphabet (der Dachkonzern von Google) und Amazon mit. Der führende Techindex S&P 500 gab um 3,4 Prozent nach. Hintergrund war die Veröffentlichung eines neuen leistungsfähigen Künstliche-Intelligenz-Modells (KI) namens Deep Seek in China. Anleger fürchten, dass damit die US-Unternehmen ausgestochen werden könnten.

Auch weil sich um KI ein Hype entwickelt hat, fühlen sich Beobachter*innen mit Blick auf den Kursrutsch an die Dotcom-Blase in den 2000er Jahren erinnert. Die fußte durch den einsetzenden Siegeszug des Internets und des Mobilfunkmarktes auf einer ähnlichen Tech-Euphorie. In deren Windschatten wurden auch zahlreiche neue Unternehmen gegründet und deutlich überbewertet an die Börse gebracht.

Zu den großen Verlierern damals – wie auch am Montag – gehörte der Tech-Riese Cisco. In den 1990er Jahren verkaufte das Unternehmen Router und Switches – die Infrastruktur des expandierenden Internets. Das Unternehmen bildete wie Nvidia die Speerspitze der Digitalisierung und konnte seinen Umsatz zwischen 1995 und 2000 um 850 Prozent steigern. Innerhalb weniger Jahre entwickelte sich der Konzern zum weltweit wertvollsten Unternehmen. Der Preis von Cisco-Aktien stieg in den Jahren von 1995 bis 2020 um ganze 4400 Prozent an.

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In Deutschland waren vor allem Unternehmen wie die Telekom, das Tochter-Unternehmen T-Online und Infineon an der Finanzmarkt-Rallye beteiligt. Der deutsche Chip-Hersteller war erst im März 2000 an den Markt gegangen, wenige Wochen, bevor die New-Economy-Blase platzte, wie sie auch genannt wird. Noch am selben Tag verdoppelte sich der Aktienkurs und die Begeisterung schien keine Grenzen zu kennen.

Das änderte sich wenig später. Im April büßte der US-Technologie-Index Nasdaq 25 Prozent ein und die gewichtige Tech-Ökonomie Japans rutschte in die Rezession. Im Herbst folgten Meldungen über sinkende Umsätze und bald darauf mehrere Insolvenzen großer IT-Unternehmen. Die Aktie von Infineon verlor im Zuge des Crashs fast 90 Prozent seines Preises, ähnlich auch Cisco. Insbesondere unerfahrene Privatanleger*innen mussten große Verluste hinnehmen, viele Beschäftigte verloren ihre Jobs.

»Der damalige Internet- wie der heutige KI-Hype unterliegt Unsicherheiten, welche langfristig werthaltigen Geschäftsmodelle sich aus der neuen Technologie entwickeln.«

Thomas Theobald IMK

Von solchen Dynamiken ist der Crash vom Montag weit entfernt. Doch es gibt Parallelen. »Der damalige Internet- wie der heutige KI-Hype unterliegt Unsicherheiten, welche langfristig werthaltigen Geschäftsmodelle sich genau aus der neuen Technologie entwickeln werden«, erklärt Thomas Theobald, Finanzmarktexperte des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturanalyse (IMK) gegenüber »nd«.

Hinzu kommt die vergleichbar hohe Marktkonzentration. Die zehn größten Konzerne, die auf dem führenden US-Technologie-Index S&P 500 gelistet sind, vereinen derzeit etwa 36 Prozent von dessen gesamter Marktkapitalisierung auf sich. Das bezeichnet den rechnerischen Gesamtwert der in Umlauf befindlichen Aktien von börsennotierten Unternehmen. Die sogenannten »Magnificent 7«, die gewichtigsten Tech-Konzerne der USA, machen allein 30 Prozent aus. Dazu gehören Apple, Amazon, Alphabet, Meta, Microsoft sowie Tesla.

Derartige Werte wurden zuletzt im Zuge der Großen Depression der 1930er Jahre erreicht, wie aus einer Studie der Investmentbank Goldman Sachs vom November hervorgeht – sie ist deutlich stärker ausgeprägt als während der Dotcom-Bubble.

»Grundsätzlich ist eine hohe Marktkonzentration kritisch zu sehen, weil sie ein Funktionieren des Marktes gefährdet«, erklärt IMK-Experte Theobald. »Von daher ist es richtig, dass die Europäische Kommission Strafen gegen mehrere Tech-Giganten bei Verstößen gegen die Wettbewerbsregeln ausgesprochen hat. Diesen Weg sollte man aus europäischer Sicht energisch weiterverfolgen.«

Doch es gibt auch maßgebende Unterschiede. »Ob die Situation derzeit vergleichbar mit der New-Economy-Blase ist, darüber lässt sich streiten«, erklärt Theobald. »Die größten Unternehmen waren damals weniger profitabel und unterlagen einem noch höheren Kurs-Gewinn-Verhältnis.« Auch dadurch sind viele Tech-Unternehmen heute finanziell besser aufgestellt als die Firmen der 1990er Jahre. »In dem Sinne hat die jüngste Kurskorrektur von Nvidia etwas Bereinigendes, weil sie eine realistischere Bewertung der langfristigen Wettbewerbssituation auf den Chipmärkten widerspiegelt«, sagt der Finanzmarktexperte.

Daraus erklärt sich auch, dass die Aktienkurse am Montag zwar kurzzeitig abrutschten. Aber gegen Abend die meisten Verluste wieder ausgeglichen waren. Außer im Fall von Nvidia und Broadcom: Da bereitet Anleger*innen Sorge, dass das KI-Modell von Deep Seek deutlich weniger Rechenleistung erfordert und damit die Nachfrage nach den neuesten Chips des US-Herstellers sinken könnte. Zudem könnten die US-Handelsbeschränkungen weniger effektiv ausfallen als gedacht. Wie schwer die leistungsfähige KI aus China den Chip-Unternehmen am Ende zusetzt, ist ungewiss. Anzeichen einer Überproduktion im Halbleitermarkt scheint es weiterhin nicht zu geben.

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