Rote Armee Fraktion: Sie haben es zumindest wirklich versucht

Die staatlichen Ermittlungsmethoden gegen vermeintliche RAF-Mitglieder und Bewegungsaktivisten gleichen sich

  • Hanna Poddig
  • Lesedauer: 5 Min.
Mit einem unverhältnismäßigen Aufgebot belagerte die Polizei im März 2024 einen Bauwagenplatz in Berlin-Friedrichshain, auf dem Burkhard Garweg gelebt haben soll.
Mit einem unverhältnismäßigen Aufgebot belagerte die Polizei im März 2024 einen Bauwagenplatz in Berlin-Friedrichshain, auf dem Burkhard Garweg gelebt haben soll.

Hanna Poddig schreibt im nachfolgenden Text über ihre Gedanken zum Brief von Burkhard Garweg. Der mit einem riesigen Aufwand polizeilich Gesuchte greift in seinem Schreiben aus der Illegalität viele Themen linker Bewegungen auf. Deshalb haben wir mit Hanna Poddig und Markus Mohr zwei Aktivist*innen gebeten, den Brief aus ihrer Sicht zu würdigen.

Es gibt einen Calvin-und-Hobbes-Comic, in dem Calvin eine Zeitmaschine nutzen möchte, um von seinem zukünftigen Ich seine Hausaufgaben abzuschreiben. Eine solche Zeitmaschine hätte ich für diesen Text auch ganz gerne. »Deine Positionierung zur RAF möchtest du in Worte fassen?«, fragt mich eine Freundin und meint dann, da hätte ich vermutlich schneller eine Zeitmaschine erfunden.

Wo also anfangen? In der Silvesternacht 2022/23 besetzten Anti-Atom-Aktivist*innen das Dach der Brennelementefabrik in Lingen, um gegen den Ausbau und unbefristeten Weiterbetrieb der Atomanlage zu demonstrieren. Während einige der Protestierenden vom Staatsschutz namentlich begrüßt wurden, tappte die Polizei bei anderen auch nach erfolgter erkennungsdienstlicher Behandlung im Dunkeln bei der Frage, um wen es sich dabei handelte. Fotos wurden ans LKA geschickt und dort in eine Gesichtserkennungssoftware eingespeist, die dann Vorschläge ausspuckte, mit welcher errechneten Wahrscheinlichkeit es sich dabei jeweils um die Personen aus ihrer Datenbank handeln könnte.

»Jeder Wagenplatz wirkt gleich viel terroristischer, wenn er martialisch durchsucht wird.«

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Der untergetauchte Burkhard Garweg schreibt, dass reale Beispiele wie die Verhaftung Daniela Klettes maßgeblich aufgrund von Fotos und KI-Einsatz die Debatte um die »angebliche Notwendigkeit biometrischer Kontrolle durch Gesichtserkennung« befeuern und dies den »Weg zum totalitären Kontrollstaat« bedeute. Die Kletteraktivist*innen aus Lingen haben schon zuvor eine Facette dieser Entwicklung erlebt. Freiheit stirbt mit Sicherheit.

Ich persönlich bin maßgeblich als Teenie bei den Protesten gegen Castortransporte ins Wendland sozialisiert worden. Ich erlebte Polizeiaussagen wie »Wir tragen Sie hier, wo die Fernsehkameras sind, dann haben Sie Ihre Bilder und danach laufen Sie dann freiwillig oder es wird ungemütlich«. Spätestens dort habe ich gelernt, dass staatliche Repression auch über gezielt hergestellte Bilder funktioniert. Es wäre naiv zu glauben, polizeiliches Handeln würde nicht auch hinsichtlich seiner medialen Wirkung geplant. Jede Demo wirkt gefährlicher, wenn sie von schwer bewaffneten und gepanzerten Sondereinheiten bewacht wird. Und, um wieder zu Garwegs Text zu kommen, jeder Wagenplatz wirkt auch gleich viel terroristischer, wenn er martialisch durchsucht wird.

Ich könnte problemlos eine Menge weiterer Beispiele finden, an denen klar wird, dass ich viele von Garwegs Thesen und Betrachtungen der Welt teile oder sie jedenfalls für plausibel halte. Das war der einfache Part dieses Textes.

Wer sind die Guten?

»Mit [dieser] Behauptung [...] spalten und kanalisieren die Herrschenden den Unmut breiter Teile der Bevölkerung und verschleiern, dass sie selbst und der Kapitalismus die Ursache der grundlegenden Probleme sind«, schreibt Garweg. Ich teile diese Auffassung aus mehreren Gründen nicht. Zum einen frage ich mich, wer diese »Herrschenden« genau sein sollen und zum anderen unterstellt die Wortwahl »verschleiern«, dass »die Herrschenden« wüssten, was sie tun.

Wir haben heute aber in der BRD keine personelle Herrschaft mehr (im Sinne von Feudalherren, Königen, Diktatoren), die als das Problem identifiziert werden könnten. Stattdessen haben wir eine formale Gleichberechtigung der Staatsbürger*innen, in der es aber weiterhin Entmündigung, Dominanz und Ausbeutung gibt.

In der Betrachtung Garwegs fehlen mir unsere eigenen »Täteranteile« und die diskursive Komponente von Herrschaft. An den Beispielen Sexismus und Rassismus lässt sich vielleicht am besten erklären, was ich damit meine. Wir reproduzieren, was wir gelernt haben, und wenn wir Rassismus und Sexismus überwinden wollen, müssen wir zwingend auch Teile unseres eigenen Handelns infrage stellen. Begriffe wie »Unlearning« oder »Undoing« versuchen, das explizite Ablegen festgefahrener und unbewusst ausgeübter Verhaltensweisen zu benennen. Zudem bin ich davon überzeugt, dass es zwar Funktions- und Deutungseliten in dieser Welt gibt, aber die Erde eigentlich nicht von einigen wenigen benennbaren Personen beherrscht wird, sondern von den sie prägenden Denkmustern und Normalitäten – und damit die Einzelpersonen nahezu folgenlos austauschbar sind. Es gilt also, das Denken und darüber die Diskurse zu ändern.

Dementsprechend ist mir auch die Vorstellung Garwegs fremd, eines Tages könne »der Emanzipationskampf über das Unrecht« siegen, weil darin für mich eine zu simple Vorstellung von Gut und Böse mitschwingt. Und weil solch eine Weltsicht potenziell Taten rechtfertigt, die ich verurteile.

Der Abwehrreflex

Ich unterstelle, dass der Abwehrreflex gegen alles, was im weitesten Sinne von Menschen kommt, die der RAF zugerechnet wurden, daraus resultiert, dass Menschen eigentlich doch sehr gern ein bestätigendes Okay dafür haben wollen, sich mit dem System arrangiert bis angefreundet zu haben; also dass »Taz« und Konsorten so eine Art Versöhnungsversprechen reproduzieren müssen. So wird Leser*innen, denen diffus klar ist, dass wir eine Menge ändern müssen, durch dauernde Wiederholung der Behauptung der Wirksamkeit von Appellen und Reformen und der vermeintlichen Alternativlosigkeit der jetzigen Demokratie immer versichert, dass es okay ist, an einen grundlegenden Wandel nicht mehr zu glauben. Und jene werden belächelt, die das anders sehen. Denn damit konfrontiert zu sein, dass es nach wie vor Menschen gibt, die das herrschende System grundsätzlich infrage stellen, greift die eigene Verdrängung und Bequemlichkeit an. Und so bleibt am Ende, dass wir der RAF eine ehrliche Unversöhnlichkeit mit dem System inklusive persönlicher Risikobereitschaft nicht absprechen können.

An dieser Ehrlichkeit mangelt es manchen Akteur*innen heutzutage leider. Als öffentlich wurde, dass der Verfassungsschutz »Ende Gelände« als Verdachtsfall führt, folgte eine aus meiner Sicht inkonsequente Unschuldsstrategie. Wer es mit Antikapitalismus ernst meint, sollte sich in einem zutiefst kapitalistischen Staat nicht scheuen, als Staatsfeind zu gelten.

Hanna Poddig, geboren 1985, ist Autorin und engagiert in Anti-Atom- und Klimabewegung. Sie arbeitet außerdem zu Antirepression und schreibt derzeit an einem Buch über die völkische Anastasia-Bewegung.

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