Brandmauern: Keine Diskreditierung von Pippi Langstrumpf, bitte!

Jakob Springfeld weiß, warum das Erstarken der Rechten eine Bedrohung für uns alle ist

  • Jakob Springfeld
  • Lesedauer: 7 Min.
Sie bröckelt und bröckelt und bröckelt und bröckelt – die Brandmauer.
Sie bröckelt und bröckelt und bröckelt und bröckelt – die Brandmauer.

Ich kann es echt nicht mehr hören. Brandmauer hier, Brandmauer da – seit ein paar Jahren gehört der Begriff zum festen Repertoire, wenn Politiker:innen über den Umgang ihrer jeweiligen Partei mit der AfD sprechen. Zum einen beschleicht mich der Verdacht, dass es um die viel beschworene Brandmauer nicht so gut bestellt sein kann, wenn man sie am laufenden Band beschwören muss. Und zum anderen bin ich davon überzeugt, dass es diese Brandmauer noch nie wirklich gegeben hat. Etwas abseits der großen Öffentlichkeit auf kommunalpolitischer Ebene, aber auch ganz unverhohlen in der Landespolitik war und ist von einer Brandmauer weit und breit nichts zu sehen. Das eigentliche Gebot, dass eine Zusammenarbeit konsequent unterbleibt, wird ständig gebrochen. Die Beispiele dafür sind mittlerweile zahllos.

Einen Gesamtüberblick liefert die Rosa-Luxemburg-Stiftung in einer Studie, die passenderweise mit »Hält die Brandmauer?« überschrieben ist. Die Autor:innen haben zwischen 2019 und 2023 insgesamt 121 Fälle konkreter Zusammenarbeit anderer Parteien mit der AfD auf kommunaler Ebene in Ostdeutschland dokumentiert. Sachsen ist mit einem Drittel der Fälle wieder einmal Spitzenreiter in diesem Negativ-Ranking. Wenig überraschend: Am häufigsten geht es um die Zusammenarbeit von CDU und AfD. Aber auch Beispiele von FDP, SPD, einigen Linken und Grünen lassen aufhorchen. Am ausgeprägtesten ist die Kooperation der Par-teien mit der AfD beim gemeinsamen Abstimmungsverhalten.

Wenn es um »Herzensanliegen« der Konservativen geht oder um die Verhinderung verhasster Projekte, dann wird großzügig hinweggesehen über das eigentlich von der CDU-Spitze in Berlin ausgegebene Gebot, nicht gemeinsame Sache mit der AfD zu machen. CDU-Chef Friedrich Merz selbst war es, der die Angelegenheit zunächst verunklart hatte. Im ZDF Sommerinterview im Juli 2023 bekräftigte er die Abgrenzung seiner Partei zur AfD, um dann einschränkend die Kommunalpolitik davon teils auszunehmen – die sei doch »etwas anderes als Landespolitik oder Bundespolitik«. Er plädiere hier für Pragmatismus.

Merz wird selbst überrascht gewesen sein, wie viel Widerspruch ihm aus der eigenen Partei entgegenschlug. Parteigrößen wie der Regierende Bürgermeister von Berlin, Kai Wegner, oder der Bayerische Ministerpräsident Markus Söder widersprachen Merz. Auf »X« sah er sich genötigt, sich noch einmal zu erklären: »Um es noch einmal klarzustellen, und ich habe es nie anders gesagt: Die Beschlusslage der #CDU gilt. Es wird auch auf kommunaler Ebene keine Zusammenarbeit der #CDU mit der AfD geben.« Nie was anderes gesagt – aha.

Vollzieht sich erst einmal eine Normalisierung und gibt es eine breite Akzeptanz auf unterer politischer Ebene, so ist es nur eine Frage der Zeit, wann das auch auf der nächsthöheren Stufe klappt.

Na klar, es gibt einen solchen Beschluss, nur kümmert das so einige Parteifreund:innen im Osten recht wenig. Nicht schnell genug konnte es der Dresdner CDU gehen, die Bezahlkarte für Asylbewerber:innen einzuführen. Zwar gab es bereits einen Kabinettsbeschluss für das Bezahlkartensystem, in Sachsen startete am 1. April 2023 das Pilotprojekt zur schrittweisen Einführung der Karte – aber trotzdem: Im März 2023 stimmte die CDU-Fraktion des Dresdner Stadtrats einem Antrag der AfD zur Einführung der Bezahlkarte in Dresden zu. Mitgetragen wurde der Beschluss auch von FDP und Freien Wählern. 33 zu 32 Stimmen war das Ergebnis – für die Bezahlkarte. Das fragwürdige System, das verhindern soll, dass Geflüchtete Geld in die Heimat transferieren, wäre sowieso gekommen. Aber nein, es musste in Dresden noch ein bisschen schneller gehen. Warum also dieses Abstimmungsverhalten der CDU in Dresden?

Der Fall schlug jedenfalls hohe Wellen – immerhin kooperierten hier CDU und AfD nicht in irgendeinem Dorf im Vogtland, sondern in der sächsischen Landeshauptstadt. Die Dresdner CDU hatte Merz gezeigt, was sie von seiner Order hielt: nichts. Merz war verärgert. »Die Entscheidung ist in der Sache richtig, im Verfahren inakzeptabel. […] Das war ein Fehler. Und wir werden über alles Weitere mit den Betroffenen sprechen.«

Keine Ahnung, was oder ob da was passiert ist. Was ich weiß, ist, dass die sächsische CDU ziemlich selbstbewusst ist und sich ungern etwas sagen lässt – schon gar nicht aus Berlin. Die AfD jedenfalls verbuchte die Abstimmung vollkommen zu Recht als riesigen Erfolg. »Die Brandmauer fällt krachend in sich zusammen«, jubelte die AfD-Stadträtin Silke Schöps. Diese Erfolge in den Kommunen – in Dresden auf der großen Bühne, aber auch in den kleinen Dörfern – sind für die AfD besonders wertvoll. Vollzieht sich erst einmal eine Normalisierung und gibt es eine breite Akzeptanz auf unterer politischer Ebene, so das Kalkül, dann ist es nur eine Frage der Zeit, wann das auch auf der nächsthöheren Stufe klappt ...

Einen Tag nach den niederschmetternden Ergebnissen der Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen am 1. September 2024 fahre ich ins thüringische Zeulenroda-Triebes. Dort findet, wie jeden Montag, eine lautstark trommelnde Kundgebung von Querdenker:innen und AfDlern statt. Doch auch am Tag nach der Landtagswahl gibt es Gegenprotest. Dort treffe ich Marcel Buhlmann. Empört erzählt er, es habe gerade einmal 24 Stunden gedauert, bis Martina Schweinsburg (CDU), die das Direktmandat im Wahlkreis Greiz I gewonnen hatte, sich für Sondierungsgespräche mit der AfD starkmachte. Für Marcel keine große Überraschung, bewegt sich die langjährige Greizer Landrätin Schweinsburg doch stets am rechten Rand der CDU.

Martina Schweinsburg sagte: »Über 30 Prozent der Thüringer haben AfD gewählt. Und das ist ein Respekt vor dem Wähler, mit denen, die sie gewählt haben, auch zu reden.« Und weiter ließ sie verlautbaren: »Diese Pippi- Langstrumpf-Politik, in der man sagt: ›Die AfD ist ein böses Kind, mit dem darfst du nicht spielen‹, ist gescheitert.« Außerdem behauptet Schweinsburg, die AfD lasse sich in Sondierungsgesprächen entzaubern. Glaubt sie das ernsthaft? Wahrscheinlich schon. Die frühere Greizer Landrätin und frischgebackene Landtagsabgeordnete war schon früher durch rechte Tendenzen aufgefallen und ist mit dem Wahlergebnis vielleicht sogar ganz zufrieden. Wie auch immer: Für mich gibt es überhaupt keinen Grund, keine Notwendigkeit, mit einer antidemokratischen Partei nur deshalb zu reden, weil diese viele Stimmen erhalten hat ...

Wäre ich CDU-Wähler, dann empfände ich es als äußerst respektlos und unverschämt, wenn die Landes-CDU den gesamten Wahlkampf über von der Brandmauer faselt und den Unvereinbarkeitsbeschluss betont, nur damit einen Tag nach der Wahl eine Landtagsabgeordnete Werbung für Sondierungsgespräche mit der AfD macht. Und wenn dieselbe Frau eine klare Haltung gegenüber der AfD als »Pippi-Langstrumpf-Politik« lächerlich macht, sagt das doch einiges aus. Der leichtfertige Umgang mit der AfD, den Schweinsburg an den Tag legt, ist mehr als bedenklich. Und dass sie allen Ernstes das Uralt-Argument »Einbindung entzaubert« immer noch anführt, ist lächerlich.

Sachsen: So wehrt sich Jakob gegen Nazis

Diese Taktik hat sich schon vor langer Zeit und immer wieder als falsch herausgestellt. Da reicht ein Blick in unser Nachbarland. Lange galt die 1956 gegründete Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) als Schmuddelkind in der Parteienlandschaft: ein Sammelbecken von Alt-Nazis und Ewiggestrigen. Jörg Haider, einer der Pioniere des Populismus, verpasste der Partei einen Modernisierungskurs, ohne an der extrem rechten Ausrichtung etwas zu ändern ... Die Skandale, die Österreich wirklich erschüttern, können den extremen Rechten nichts anhaben. Sie hetzen ungerührt weiter – mit Erfolg.

So wie manche Tendenzen in Ostdeutschland als Vorboten gedeutet werden, kann man bisweilen auch Österreich als warnendes Beispiel heranziehen, was auf Deutschland noch zukommen könnte ...

Und diese Grenzverschiebung geschieht nicht nur in der Politik.

Vorabdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlages aus dem am 31. Januar erscheinenden Buch von Jakob Springfeld: »Der Westen hat keine Ahnung, was im Osten passiert. Warum das Erstarken der Rechten eine Bedrohung für uns alle ist« (Quadriga-Verlag, 224 S., br., 18 €); Buchvorstellung mit dem Autor am 3. Februar in der Kulturbrauerei, Schönhauser Allee 36, 10435 Berlin, 20 Uhr.
Jakob Springfeld, geboren 2002 in Zwickau, Sachsen, ist Menschenrechts- und Klimaaktivist sowie Mitglied des PEN Berlin.

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