Musik für Baldwin

Meshell Ndegeocello macht aus den Essays von James Baldwin politische Musik

  • Benjamin Moldenhauer
  • Lesedauer: 3 Min.
Plattenbau

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Nur die Poet*innen kennen die Wahrheit: Meshell Ndegeocello
Nur die Poet*innen kennen die Wahrheit: Meshell Ndegeocello

James Baldwin (1924–1987) ist im Zuge der Black-Lives-Matter-Bewegung als einer der wichtigsten aforamerikanischen Autoren wiederentdeckt worden. Was nicht heißt, dass seine Texte jemals komplett aus der Wahrnehmung verschwunden waren. Die Bassistin Meshell Ndegeocello hat mit »No More Water: The Gospel Of James Baldwin« ein Album veröffentlicht, das ins Genre der Hommage gehört. Die Texte beziehen sich zitierend immer wieder auf Baldwin. Zum einen. Zum anderen aber greift die Musik umfassender aus.

»No more Water« verweist auf »The Fire Next Time«, den Titel eines Essaybands von Baldwin aus dem Jahre 1963. Es soll nichts mehr gelöscht, also befriedet werden. Baldwins Denken kreiste, unter anderem, um die Widersprüche, die entstehen, wenn das weiße Amerika sich fortlaufend am eigenen humanistisch-universalen Selbstverständnis blamiert: »I can’t believe what you say, because I see what you do.«

Wie sehr der rassistische Konsens in den vergangenen Jahren porös geworden ist, hat Baldwin nicht mehr erleben dürfen, den rassistischen Backlash, der mit den Erfolgen des antirassistischen Kampfes einherging, nicht mehr erleben müssen. Je poröser der einst weitgehende Konsens aus den späten 60er Jahren wird, desto klarer erscheint das historisch Falsche. »The delusion and the illusions are falling to the wayside« (Der Wahn und die Illusionen bleiben auf der Strecke), hat Meshell Ndegeocello im Interview postuliert.

Die Musik auf »No Mote Water« strahlt allerdings keinen Triumph aus. »Pain makes you humble«, singt Justin Hicks im Stück »Trouble«. Die 17 Stücke greifen weiter aus und fließen in fast anderthalb Stunden zu einem musikalischen Strom zusammen, in dem Jazz, Gospel, Predigten im Spoken-Word-Gestus, Blues, Folkstücke und die Tradition der Gesänge der Sklaven, die all dem zugrunde liegen, sich verbinden. Zusammengehalten, grundiert und gestützt wird das alles vom warmen, weltumarmenden Bassspiel Meshell Ndegeocellos.

Die größte ästhetische Kraft entfalten paradoxerweise die Stücke, in denen die Instrumente Fragiles produzieren: das von Meshell Ndegeocello gesungene Akustikgitarrenstück »The Price of the Ticket«, das von Polizeiwillkür erzählt (»Officer, officer, officer/I know you’re afraid like me/But look at my hands/Please don’t shoot me«) oder der Ambient-Jazz von »What Did I Do?«. Demgegenüber stehen Stücke, die klarmachen, dass gewisse Dinge jetzt einfach ein Ende haben werden: »Just be, be right here, right now, we can’t lose our way/All my people/Struggle starts now, right here today«.

Meshell Ndegeocello stellt Kontinuitäten zwischen der schwarzen Musik der Vergangenheit und der Gegenwart her. Die Rolle der Kunst, Musik und Poesie definiert das Album in zwei Manifesten, die James Baldwins Radioessay von 1962 »The Artist’s Struggle for Integrity« entnommen sind. Er wolle zwei Möglichkeiten empfehlen, hatte Baldwin geschrieben – auf »No More Water« sind sie zu einem Spoken-Word-Stück neu collagiert. Danach seien die Poeten, mit denen er alle Künstler meint, »the only peoplе who know the truth about us/Soldiers don’t/Statesmen don’t /Priests don’t /Union leaders don’t/Only the poets«. Die Musik auf »No More Water: The Gospel Of James Baldwin« ist eine politische Musik, die nicht auf Parolen zurückgreifen muss und stattdessen ihren eigenen Maßgaben folgt.

Meshell Ndegeocello: »No More Water: The Gospel of James Baldwin« (Blue Note/Universal Music)

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