Stadtbad Charlottenburg: Die Blumen des Bösen

In dem 1898 eröffneten Bad begegnet unsere Kolumnistin mythischen Wasserbewohnerinnen

  • Anne Hahn
  • Lesedauer: 3 Min.
Berliner Nixen: Eines der Wandbilder im 1898 eröffneten Stadtbad Charlottenburg
Berliner Nixen: Eines der Wandbilder im 1898 eröffneten Stadtbad Charlottenburg

»Rriecht nicht gutt! Machen nicht sauberr Körperr vorr Bad!« Der postsowjetische Akzent der Dame lässt mich verzögert verstehen. Ihr Kopf zeigt zum nahen Schwimmbecken, wo ein Mann am flachen Ende planscht. Eben hatten wir noch beim Schuheanziehen einmütig festgestellt, wie gut wir uns fühlen nach Schwimmen, Duschen und Föhnen.

Das Stadtbad Charlottenburg ist außen hübsch backsteinrot, mit fauchenden Fischköpfen und Jugendstilornamenten verziert, innen wirkt es wie eine Burg. Ein breiter Gang mit Kreuzgewölben führt durch das 1898 eröffnete Gebäude, das einst allen Charlottenburgern eine Erfrischung in Wanne, Dusche oder Bassin ermöglichte, inklusive Seife und Handtuch.

Nach dem Erklimmen einer steilen Treppe landet man direkt im Bad. Es wird eng. Ein schmaler Gang führt zu den Damenspinden längs der Alten Halle, Schilder mahnen: Fotografierverbot, Schuhe aus, Ganzkörperreinigung! Umziehen, Duschen, um die Ecke, und schon ist das andere Ende der Halle erreicht, steigt man in das bescheiden kleine Becken mit seinen drei 25-Metern-Bahnen nebst integriertem Nichtschwimmerbereich.

Über Wasser

Anne Hahn ist Autorin von Romanen und Sachbüchern und schwimmt für »nd« durch die Gewässer der Welt.

Beim Lagen-Training rausche ich an Unterwasserstrahlern vorbei, das Metallbecken leuchtet milchig. Als es voller wird, schwimme ich Freistil-Rücken und Beine-Brust und gleite angenehm langsam. Ich blicke nach oben und seufze. Draußen lauert der Januarblues. Durch die Stahl-Glas-Konstruktion der Decke fällt graues Licht, die weißen Kacheln flirren, und der kopfstehende junge Mann auf dem Wandbild vor mir schaut verträumt auf zwei Wasserwesen im Teich.  

»Die einen, trunken von gehauchten Traulichkeiten. Gehen an den Bächen hin, sie lallen durch den Hain«, rezitiere ich eine Stunde später in der Sammlung Scharf-Gerstenberg, die im ehemaligen Ägyptischen Museum am Schloss Charlottenburg untergebracht ist. Hier werden noch bis Mai dieses Jahres Kunstwerke unter dem Motto »Böse Blumen« gezeigt. Dunkel sind die Räume, die Bilder und Installationen mysteriös. Charles Baudelaires Zyklus »Les Fleurs du Mal« enthält über 100 Gedichte – auch dieses: »Verdammte Frauen«.

Während ich Blumen betrachte, die Geschlechtsteilen ähneln, und Fotos passiere, die phallusartige Sträucher in Vorgärten aus Steinen zeigen, denke ich an die nackten Mädchen auf den Wandbildern im Stadtbad. »Und stammeln bang die Glut der scheuen Kinderzeiten. Und ritzen Namen in die jungen Bäume ein.« Als die Bilder anstelle der früheren Oberlichter bei der letzten Sanierung angebracht wurden, lockten FKK- und Warmbadetage das Volk in die Alte Halle der Krummen Straße 10; man tummelte sich unter den gemalten Landschaften, Reihern und Nixen.

Seit Beginn des Charlottenburger Stadtbadens ist der erste deutsche Frauenschwimmverein, die Berliner Nixen (gegründet 1893), hier beheimatet. Sie richteten die Eröffnungsrevue, Wettkämpfe und Feste in der Alten Halle aus, trainierten ab 1974 bis zu deren Schließung in der Neuen Halle und inzwischen in anderen Bädern Berlins. Folge 38 des Podcasts »Chlorgesänge« berichtet: Eine der Nixen kann unter Wasser riechen – ich begreife und nicke der älteren Dame mitfühlend zu.

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