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Ein Lichtblick für die Metallkunst
Das Institut IRS in Erkner übernimmt den Papiernachlass von Fritz Kühn
Metallkunst hat es nicht leicht. Dabei lässt sich dieses selten gewordene Kunsthandwerk 6000 Jahre zurückverfolgen. Wie schwer das Erbe wiegt, weil es auch ein sozialistisches ist, erlebt die Familie des Metallbaukünstlers Fritz Kühn (1910–1967). Seit 57 Jahren bemüht sich Schwiegertochter Helgard Kühn um Schutz und Anerkennung. Erst kürzlich wurde wieder etwas abgerissen: Das sogenannte Generalshotel am Flughafen Schönefeld, das mit Arbeiten Kühns ausgestattet war.
2025 steht ein Jubiläum an: 100 Jahre Atelierschmiede in Berlin-Bohnsdorf. Dazu gibt es einen kleinen Lichtblick: Das Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung (IRS) in Erkner hat 2024 den Papiernachlass von Fritz Kühn übernommen und will ihn aufarbeiten.
»In der DDR wurde uns ein Museum für Schmiedekunst versprochen. Plan und Finanzierung stand bereits. Dann fiel die Mauer. Seither machen Verantwortliche Kulleraugen und spitze Münder, wenn ich dieses Thema anspreche«, sagt Helgard Kühn, die auch im Alter von 80 Jahren immer noch hartnäckig diese Sache verfolgt.
Allein im Land Brandenburg finden sich 56 Werke von Fritz Kühn: in Potsdam, Frankfurt (Oder), Rüdersdorf, Wildau, Ludwigsfelde und Fürstenberg. Kühn schuf mit der »Kunst am Bau« gemeinsam mit anderen Künstlern eine eigene Kunstform. Der Fotograf und Architekt Martin Maleschka hat in seinem Buch »Baubezogene Kunst DDR« 120 Kunstwerke und deren Urheber verewigt. Er behandelt dort restaurierte, abgerissene und vernachlässigte Werke. Es ist künstlerisches Erbe der DDR und deutsches Kulturerbe.
Im Vorwort schreibt der Kunsthistoriker Thomas Topfstedt: »Sicher wird nicht alles erhalten werden, was in der DDR in vier Jahrzehnten entstanden ist. Doch der Umkehrschluss, dass die Bewahrung oder Beseitigung dieser Werke letztlich vom Zufall, von individuellen Stimmungslagen oder aktuell wirtschaftlichen Verwertungsinteressen abhinge, wäre fatal.« Aber ist es jetzt nicht so?
In der Kühn’schen Atelierschmiede Berlin-Bohnsdorf werden die Kunstwerke von seiner Familie aufbewahrt, die sich nun schon in der dritten Generation mit Sohn Achim und Enkelsohn Tobias der Metallbaukunst widmet. Ein Glücksfall, dass es diese historische Schmiede gibt. Denn Kunst am Bau, Plastiken und Skulpturen im öffentlichen Raum, Springbrunnen und Ornament-Zäune fertigten in der DDR auch viele andere Künstler, unter anderen Willi Neubert, Elfriede Schade, Horst Ring, Hubert Schiefelbein, und Waldo Dörsch.
Helgard Kühn legt großen Wert darauf, ihren verstorbenen Schwiegervater als international anerkannten Künstler geschätzt zu wissen. Immerhin hatte Fritz Kühn 1969 eine Einzelausstellung im Pariser Louvre. »Leider hat er sie selbst nicht mehr erlebt. Mein Mann Achim fuhr also stellvertretend nach Paris«, berichtet Helgard Kühn. Fritz Kühn war 1967 in Berlin verstorben.
Fritz Kühns Arbeiten sind unter anderem für die KZ-Gedenkstätten Buchenwald und Dachau entstanden. Er entwarf ebenso Skulpturen und Brunnen, die oft leichter als Papier wirkten, gestaltete utopische Fassaden wie am Centrum-Warenhaus im thüringischen Suhl. Viele Bürger und ein Verein setzten sich dort vergeblich für den Erhalt der einzigartigen Fassade ein. Später gestaltete Sohn Achim eine ähnliche plastische Vorhangfassade in Schwedt. Auch in der aktuellen Kulturhauptstadt Chemnitz hinterließen die Kühns künstlerische Fingerabdrücke: Die Portale der Stadthalle stammen von Achim und wurden von ihm und seinem Sohn Tobias restauriert. Seit 2024 wird der Springbrunnen »Schwebender Ring« am Strausberger Platz erneuert.
In der DDR stand bei öffentlichen Gebäuden wie zum Beispiel Schulen ein Prozent der Bausumme für die Kunst am Bau zur Verfügung. Die Kunst wurde am Gebäude selbst angebracht oder stand in der unmittelbaren Umgebung. Immer arbeitete der beauftragte Künstler von Anfang an direkt mit den Architekten zusammen. Kreativität konnte sich entfalten. »Die Auftragslandschaft war früher anders«, erzählt Helgard Kühn. Häufig waren auch die Kirchen Auftraggeber. Wegen der Materialengpässe konnte bis zur Ausführung alles noch einmal überdacht werden, auch die oft komplizierte Ausführung. »Es war eine intensive und gemeinschaftliche Zusammenarbeit. Früher spielte Geld nicht die entscheidende Rolle. Heute steht bei allem das Geld zu sehr im Vordergrund und der Druck permanent im Raum.«
»Früher spielte Geld nicht die entscheidende Rolle. Heute steht bei allem das Geld zu sehr im Vordergrund.«
Helgard Kühn
Schwiegertochter von Fritz Kühn
Um die vielen plastischen Arbeiten Fritz Kühns zu präsentieren, schwebte der Familie ein Schaudepot vor, das auf dem Gelände der Schmiede errichtet werden könnte. Unter dem Motto »Fördern, Stiften, Mitgestalten« gründete Tochter Coco Kühn die Fritz-Kühn-Gesellschaft, um Fördermittel zu akquirieren. Zwei ausgearbeitete Entwürfe scheiterten, weil es keinen Sponsor gab.
Nun übernimmt das IRS das, was am leichtesten wiegt: das Papier. 100 200 Euro kommen aus dem Sonderprogramm der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur- und Medien, das Land Brandenburg unterstützt mit 95 200 Euro. »Die Arbeiten haben ein herausragendes Niveau. Der Künstler war sehr vielseitig und schuf außergewöhnlich viel. Er schonte sich nicht«, sagt Kai Drewes vom IRS. Fritz Kühn starb im Alter von nur 57 Jahren. Neben Hunderten Skizzen, Spezialliteratur und fotografischen Werkdokumentationen sind auch zahlreiche Ordner mit Korrespondenzen unter anderem mit dem Bildhauer Georg Kolbe und den Architekten Egon Eiermann, Hanns Hopp und Josef Kaiser erhalten geblieben.
In der Leipziger Firma Papermint werden die Papiere nun fachgerecht restauriert. »Wir haben Dokumente ab Ende der 1930er Jahre, fast 100 Jahre alt! Es muss gesäubert, manchmal Schimmel entfernt und alles gut lagerbar aufbereitet werden. Wir wollen als Einrichtung von öffentlichem Interesse den Nachlass zugänglich machen«, sagt Drewes. Seit 2014 gab es die Idee, das Material in die Sammlungen aufzunehmen. Dass der Nachlass in der Nähe aufbewahrt werde, wo er arbeitete, wirkte und seine Werke stehen, ergebe Sinn, so Kai Drewes.
»Es muss auch Verträge geben«, betont Helgard Kühn. »Es ist wichtig für uns, dass die miteinander verwobenen Rechte, Urheber- und Nutzungsrechte, von beiden Seiten eingehalten werden können. Der Schutz der künstlerischen Rechte ist ein wichtiges Gut.« Auch aus praktischen Gründen: »Wenn in einem Ort in einer Kirche Werke von Fritz oder Achim Kühn dauerhaft erhalten werden sollen, benötigen wir Einblick in die Unterlagen, um diese restaurieren zu können.« Daran wolle man mitwirken. Das internationale Urheberrechtsgesetz sieht vor, dass die Rechte bis 70 Jahre nach dem Tod eines jeden Künstlers bei den Erben bleiben. Danach werden sie frei für alle.
Zum 100. Jubiläum der Atelierschmiede Kühn plant die Familie eine Ausstellung. Die Finanzierung ist noch offen. »Davon hängt ab, ob es eine umfassende Ausstellung oder eine minimale wird.« Helgard Kühn ist optimistisch.
Indessen wünscht sich Martin Maleschka, der das größte Bildarchiv zur Kunst am Bau in Deutschland aufbaute: »Ein Museum für baubezogene Kunst der DDR wäre etwas Würdiges. Die Eröffnung könnte im November 2029 sein. Dann hatten wir 40 Jahre in zwei verschiedenen deutschen Systemen und 40 gemeinsame Jahre.«
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