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Entschuldigung des RBB: Stefan Gelbhaar vergibt nicht
Stefan Gelbhaar nimmt Entschuldigung des RBB vorerst nicht an
Der geschasste Grünen-Abgeordnete Stefan Gelbhaar will dem RBB nach fehlerhafter Berichterstattung vorerst nicht vergeben. »Man kann sich erst entschuldigen, wenn man die Fehler aufgearbeitet hat«, sagte der Noch-Bundestagsabgeordnete in einem längeren Interview mit der »Berliner Zeitung«. David Biesinger, der Chefredakteur des öffentlich-rechtlichen Radio- und Fernsehsenders, habe sich persönlich mit ihm getroffen, um ihn um Entschuldigung zu bitten, so Gelbhaar. Er habe sich gefreut, dass das Vorgehen des Senders nun aufgearbeitet werde, aber für eine Entschuldigung sei es noch zu früh.
Der Fall Gelbhaar beschäftigt die Grünen seit Ende des vergangenen Jahres. Der Verkehrspolitiker vertritt die Linksliberalen seit 2017 im Bundestag, zunächst über Landesliste gewählt und seit 2021 über das Direktmandat in Pankow – das erste und einzige für die Grünen in Ostdeutschland. Zum Ende des vergangenen Jahres erhoben mehrere Frauen Vorwürfe sexueller Belästigung gegen Gelbhaar, von denen sich später der gewichtigste Teil als mutmaßlich gefälscht herausstellte.
Gelbhaar verzichtete nach Bekanntwerden der Vorwürfe auf eine Kandidatur für den sicheren Listenplatz zwei bei der Landesdelegiertenkonferenz der Grünen im Dezember. Seine Bewerbung für die Kandidatur um das Direktmandat im Bundestagswahlkreis Pankow hielt er allerdings aufrecht, scheiterte jedoch bei einer Versammlung des Grünen-Kreisverbands an der Gegenkandidatin Julia Schneider.
Kurz darauf stellten sich zentrale Teile der Vorwürfe gegen Gelbhaar, die auch der RBB verbreitet hatte, als falsch heraus. So war unter anderem behauptet worden, dass Gelbhaar junge Frauen zu Küssen gezwungen und eine Frau mit K.o.-Tropfen betäubt und gegen ihren Willen entkleidet haben soll. Diese Vorwürfe waren mit eidesstattlichen Erklärungen hinterlegt worden. Diese stellten sich allerdings als gefälscht heraus: Die angebliche Unterzeichnerin existierte offenbar gar nicht, wie Recherchen des »Tagesspiegel« zeigten. Eine Grüne-Bezirkspolitikerin trat daraufhin von ihren Ämtern zurück und aus der Partei aus. Gegen sie läuft nun ein Strafverfahren, weil sie die Urheberin der gefälschten eidesstattlichen Erklärungen sein könnte. Der RBB hat eine interne Untersuchung angekündigt.
Gegenüber der »Berliner Zeitung« erhebt Gelbhaar nun weitere Vorwürfe gegen den RBB. So habe der Sender ihn vor der Landesdelegiertenkonferenz der Berliner Grünen nicht konfrontiert. »Ich habe es erst gelesen, als es erschienen ist«, sagt Gelbhaar. Als der Sender später konkrete Vorwürfe publik machte, sei ihm nur eine kurze Frist über ein Wochenende für eine Reaktion eingeräumt worden. »Ich hatte das Gefühl, der RBB hat sein Stück im Kopf fertig und wollte quasi nur der guten Ordnung halber noch die Stellungnahme von mir haben«, so Gelbhaar.
Die Auseinandersetzung um die Vorwürfe nennt Gelbhaar die »schwierigste Situation meines politischen Lebens«. Sie sei »emotional und auch physisch extrem anstrengend« gewesen. »Ich befand mich unter massivem Druck, ich wurde umfassend infrage gestellt«, so Gelbhaar. Ziel von falschen Anschuldigungen geworden zu sein, habe einen »sehr tiefen Riss« beim ihm hinterlassen. »Das macht dich kaputt«, sagt Gelbhaar.
»Die Möglichkeit zurückzuziehen, gab es gar nicht für mich.«
Julia Schneider (Grüne)
Direktkandidatin in Pankow
Während die schwerwiegendsten Vorwürfe gegen Gelbhaar sich als falsch herausgestellt haben, halten sieben weitere Frauen noch Anschuldigungen gegen ihn aufrecht. Diese Meldungen liegen bei der Ombudsstelle der Grünen vor und sind nicht öffentlich bekannt. Sie sollen allerdings deutlich weniger schwer wiegen als die ursprünglich erhobenen Vorwürfe. Gelbhaar selbst sprach in seiner Rede vor der Kreisversammlung der Grünen in Pankow davon, dass ihm signalisiert worden sei, »dass ich mich nicht immer in meiner Rolle adäquat verhalten habe«. Daher nehme er inzwischen »professionelle Hilfe« an.
»Betroffenen zu glauben und nicht in Abrede zu stellen, was sie meinen, wahrgenommen zu haben, das ist ein wichtiger Punkt«, sagt Gelbhaar nun. Er kenne die Meldungen nicht und wisse nicht mal, ob hinter ihnen reale Personen stünden. Seines Wissens handele es sich um Anschuldigungen, die subjektives Unwohlsein und Eindrücke thematisieren. »Da ist es unheimlich schwer, überhaupt von Schuld oder Unschuld zu sprechen«, so Gelbhaar.
Gelbhaars letzten Endes erfolgreiche Gegenkandidatin Julia Schneider denkt indes nicht an einen Rückzug. »Die Möglichkeit zurückzuziehen, gab es gar nicht für mich«, sagte sie ebenfalls der »Berliner Zeitung«. Wenn sie sich zurückgezogen hätte, hätte es entweder keine Kandidatur oder eine neue Wahl geben müssen, so Schneider. Es gebe allerdings »ein großes Unbehagen bei mir«. »Egal, von welcher Richtung man auf das Thema guckt, es ist total emotional«, sagte Schneider.
Sie habe ursprünglich nicht gegen Stefan Gelbhaar antreten wollen, weil er so für den Kreisverband Pankow stehe. »Aber als klar war, dass andere sowieso gegen ihn antreten werden, war es für mich mental etwas anderes«, so Schneider. Neben Schneider hatten sich noch zwei weitere Männer um die Kandidatur für das Direktmandat beworben, von denen einer seine Kandidatur vor dem Beginn des Wahlgangs zurückzog. Der dritte Kandidat erhielt nur wenige Stimmen.
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