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- Sundance-Filmfestival 2025
Die nahbaren Alltagsheldinnen
Auf dem diesjährigen Sundance-Filmfestival trafen die Geschichten einer US-Pferdereiterin und einer iranischen Motorradfahrerin zusammen
Die junge Filmemacherin Kate Beecroft war im US-Bundesstaat South Dakota unterwegs, um für ihren ersten Langfilm Geschichten und Gesichter zu finden, als jemand ihr erzählte, sie solle östlich der Kleinstadt Wall fahren, wenn sie eine richtige Geschichte haben wolle, da würde sie eine Frau namens Tabatha finden.
Der Weg brachte sie zu einer verkommenen Ranch nahe den Badlands von South Dakota, wo das junge Cowgirl Tabatha Zimiga wohnte; eine taffe, großflächig tätowierte Pferdetrainerin, die auf der einen Schädelhälfte lange blonde Haare hatte und die andere Hälfte kahl rasiert. Die vor Kurzem verwitwete Frau verkaufte über lokale Auktionen oder auf Tiktok Pferde, um sich und ihre Familie über Wasser zu halten. Bei ihr wohnten ihr dreijähriges Baby, ihre Mutter, ihr Partner, eine Menge Katzen und Hunde und eine Schlange. Ihre Ranch war außerdem das Zuhause etlicher Teenager, vor allem Mädchen – einige ihre eigenen Kinder, die meisten aber Waisen aus dem Ort oder Kinder, deren Eltern kaum da waren oder über keine Mittel verfügten, um sich um sie kümmern zu können. Alle haben bei ihr Zuflucht gefunden. Zimiga versorgte sie, brachte ihnen Pferdereiten bei. Einige wurden zu Rodeo-Reiterinnen. Bei den Auktionen führten nun auch sie akrobatische Übungen auf dem Pferd vor, die Zimiga sie gelehrt hatte, um zu demonstrieren, wie gut die Pferde trainiert sind. Und so konnten alle etwas zu der Community beitragen.
Fasziniert von Tabatha Zimigas Lebensstil und ihren kleinen, wagemutigen Cowgirls, blieb die Regisseurin für drei Jahre dort und lebte mit ihnen. Eine Sache stellte Tabatha Zimiga schon am ersten Tag klar: »I’ll show you some real cowgirl shit.« (»Ich werde dir echtes Cowgirl-Zeug zeigen.«)
Basierend auf dem Leben von Tabatha Zimiga und ihrer Mädchen-Community östlich von Wall entstand Kate Beecrofts Debütfilm »East of Wall«, der auf dem diesjährigen Sundance-Filmfestival in der Sektion »Next« Premiere feierte. Das Werk, das mit dem Audience-Award ausgezeichnet wurde, ist eine Dokufiktion, in der Tabatha Zimiga und die Teenagerinnen sich selbst spielen. Eine Schauspielerin übernimmt die Rolle der Mutter von Tabatha und ein Schauspieler verkörpert einen wohlhabenden Rancher aus Texas, der in South Dakota Geschäfte machen möchte. Eine kleine fiktive Story begleitet also die reale Geschichte eines einzigartigen, wortkargen, aber großzügigen Cowgirls. So präsentiert Kate Beecroft mit »East of Wall« einen neuen US-amerikanischen Western, abseits von gewöhnlichen, männerdominierten Cowboyfilmen.
Weit entfernt von den Erosionslandschaften der USA, in einem Dorf im Nordwesten Irans, wartete eine andere inspirierende, taffe, ungewöhnliche Frau, um entdeckt zu werden. Auch sie war verwitwet, aber im Gegenteil zum US-Cowgirl Tabatha Zimiga lebte die Iranerin Sara Shahverdi allein. Als einzige Frau in ihrem Dorf, die Motorrad fuhr, versuchte auch sie auf ihre Art, die Mädchen ihrer Gemeinde zu empowern. Doch dafür war das Motorradfahren lange nicht genug. Sie lebte in einer kleinen, patriarchalischen Gesellschaft, in der Kinderehen weitverbreitet waren. Kaum haben die Mädchen die Grundschule abgeschlossen, wurden sie zur Heirat versprochen. Shahverdi kandidierte als erste weibliche Person im Dorf für den Gemeinderat – und wurde gewählt. Als Gemeinderätin besuchte sie nun die Mädchenschulen, riet den Teenagerinnen dazu, nicht früh zu heiraten, schloss einen Pakt mit ihnen, die Schule nicht abzubrechen.
»Ich werde dir echtes Cowgirl-Zeug zeigen«, stellte Tabatha Zimiga der Regisseurin gegenüber schon am ersten Tag klar.
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Ihr Zuhause, das gleichzeitig ihr Büro war, wurde langsam der Treffpunkt vieler Dorffrauen. Doch das Patriarchat duldete ihre Aktivitäten nicht lange, vor allem ihre Bemühungen bezüglich weiblicher Selbstermächtigung. Als alle Versuche scheiterten, sie dazu zu bringen, ihren Posten abzugeben, griff man zu autoritären Maßnahmen. Letztendlich wurde ihre Identität als Frau infrage gestellt und sie wurde an die Rechtsmedizin verwiesen.
Die Geschichte von Sara Shahverdi erzählten die zwei jungen iranischen Filmemacher*innen Sara Khaki und Mohammadreza Eyni in ihrem Dokumentarfilm »Cutting Through Rocks«, der im Wettbewerb der Welt-Doku des Sundance-Filmfestivals uraufgeführt wurde. Das Regie-Paar hat sieben Jahre an diesem Projekt gearbeitet.
Am Ende der Doku erfahren wir, dass die Mehrheit der Schülerinnen doch geheiratet hat. Die Protagonistin Shahverdi erzählt, dass sie viele große Sachen in ihrem Dorf ändern wollte. »Doch manchmal müsste man vielleicht erst mal kleine Schritte machen.« So entschließt sie sich, den paar Mädchen, die noch nicht verheiratet sind, Motorradfahren beizubringen. »Cutting Through Rocks« hat den Preis für die beste Welt-Doku gewonnen.
Es ist sehr bemerkenswert, dass die Geschichten von Tabatha Zimiga und Sara Shahverdi dieses Jahr auf dem Sundance-Filmfestival zusammentrafen; zwei unbekannte, außergewöhnliche Kämpferinnen, beide verwitwet, beide irgendwo im Nirgendwo lebend, eine in den Prärien der USA, andere in einem abgelegenen Dorf im Iran, die eine bringt Mädchen bei, Pferde zu reiten, die andere Motorrad zu fahren. Während die sonstigen größeren Filmfestivals von Superstars und Promis besessen sind, ist das eine gute Nachricht, dass man auf dem Sundance noch einige bescheidene, nahbare Alltagsheldinnen zu sehen bekommen kann.
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